Am Morgen beschließe ich, mir Langesund anzuschauen. Irgendwie bin ich das dem Städtchen schuldig nach der freundlichen Einladung bei Ahne und Sylvie. Sind auch nur zwei Kilometer zurück, vorbei an den gelben Ölplattformstoßdämpfern. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Fähre. Unrasierter Radler mit verdammt wenig Gepäck begegnet mir. Gordon aus Schottland, der ohne Zelt auf dem Nordseeradwerg unterwegs ist. Wie die meisten Menschen kann er sich die lange Auszeit von über drei Monaten, die sich Monsieur Irgendlink-loser-Vogel-Europenner gönnt, nicht leisten und macht den Weg in Etappen jährlich. Er steht unter Zeitdruck, weil er einen gebuchten Flug erreichen muss und keucht wegen der unstabilen Fährverbindungen. Ich gebe ihm die Telefonnummer von Risør, er sondiert die Lage, entscheidet sich, ins Landesinnere zu radeln nach Porsgrunn, um vielleicht einen Zug zu nehmen. Ich beneide ihn nicht, bin froh, um mein vollkommen freies Zeitkonzept, trödele im Hafen von Langesund, treffe einen deutschen Shanty Chor aus Wolfsburg. Männer und Frauen, die allesamt einen Fischerkahn besteigen und eine Kurztour durch die Schären machen – ich hätte können einsteigen und mitkommen. Fähren fahren erst ab 24. Juni zwischen Langesund und Helgeroa. So fotografiere ich die Stadt. Ein grüner Motor, ich nenne ihn das Monster, der vorm Museum steht, hat es mir besodners angetan. Ich mache zwanzig Hipstamatics von den Details, genau wie bei der Tankstelle neulich, um später eine coole Montage zu gestalten, Liebling, so sieht mein Künstleralltag aus. Ich tue es gerne.
Später liege ich erschöpft auf einer Parkbank bei der Diplom-Is-Fabrik in Brevik, Muskeln sind müde, ich bin es auch, verzehre das Lunchpaket, das mir Sylvie so liebevoll gemacht hat, ein lachendes Wurstbrot mit Eischeiben als Augen, haha, und über mir flattern die Fähnchen der Eisfabrik mit dem Eskimokind als Konterfei.
Neben einem bronzenen Denkmal des Soundso von Siam, der Anno 1917 die Stadt besucht hatte. Was er wohl gebracht hat? Handelsabkommen? Kooperation, Bilateralität? Und schon denke ich über den Egoismus meiner eigenen Kunst nach, wie sie so ganz und gar nur der eigenen Absicht folgt, nämlich den Weg zu gehen, wie ich ihn für richtig halte und ihn zu dokumentieren so gut es geht und ansonsten keine Kompromisse mit dem Leben einzugehen – könnte ich nicht irgendwas oder irgendwen in Bronze gießen und die Skulptur verkaufen an die öffentliche Hand, die sodann über Jahrhunderte auf dem Herzogplatz zuhause stehen und den stolzen, kupferoxidgrünen Bismarck anstarren könnte.
Wer oder was ist bedeutend genug, dass sich die Öffentliche Hand das Kleid anzieht, an dem du unsichtbar webst? Der Weg, meine Lieben, in seiner schweren Darstellbarkeit und in seiner individuellen Art und in seinem gnadenlos natürlichen Egoismus, mit dem er sich von dir, dir und dir, von jedem nur erdenklichen Individuum dieser Welt begehen lässt, ist jedenfalls ein schweres Kunstwerk, das man mit Bedacht umsetzen muss.
Mühsam schufte ich mich dreikilometerweise auf und ab, vorbei an Porsgrunn, pausiere und pausiere und pausiere und will so ganz und gar nicht in die Gänge kommen, bis mir bei Tveidalen ein abgewetzter Radler entgegen kommt, ob ich Englisch spreche und ich bereite mich schon vor, ihm 10 Kronen zu geben, die ich im Seckel bereit halte, eigentlich für den Clan aus Kristiansand und Arendal. Aber der vermeintliche Bettler erklärt mir nur, dass, wenn ich nach Larvik radeln wolle, ich heute die einmalige Gelegenheit habe, über die nigel-nagelneue E18 zu radeln, die sich von hier 12 km weit über Brücken und Tunnels fast geradeaus dorthin erstreckt. In der Mitte etwa gäbe es sogar einen Würstchenstand gratis, prophezeiht er.
Ich radele zur Busstelle hoch und kann mein Glück kaum fassen: vier Spuren nach Larvik, totenstill, ab und zu fährt ein Bus Interessierte bis zur Autobahnraststätte und die Organisatoren patrouillieren mit Kleinwagen, damit auch ja niemandem das Herz stehn bleibt. Ich jubiliere, fahre Schlangenlinie, radele auf der linken Spur, scharwenzele zwischen Lücken in der Leitplanke als frühberufener Geisterfahrer auf die Gegenfahrbahn. Hinter mir jagt ein Gewitter, was mich ganz kalt lässt, denn in den Tunnels kann ich mich unterstellen, falls es zu mir her zieht.
Auf dem Rastplatz bei der Varedsenbrücke herrscht Volksfeststimmung. Überall liegen, stehen, lehnen Fahrräder. In Pavillonzelten sind Informationsstände untergebracht, die über den Bau der Straße und die Geologie informieren. Ganz in der Nähe ist Norwegens größter Grabsteinbruch. Das hat mir Ahne schon erzählt. Und es gibt Schiefer usw. Die Gegend ist eine Art geologisches Kulturerbe. Eine Europakarte gibt Auskunft über die Geoparks europaweit. Eine zentrale Würstchenbude zieht eine lange Menschenschlange an. Ich will schon weiter radeln, als ich die pulsierende Frequenz der Schlange erkenne. Immer, wenn ein Bus neue Gäste auf den Parkplatz pumpt, schwillt sie an, und sie verebbt genauso schnell. Es gibt einen Eisstand, einen Cola/Limo-Stand, Kaffeestand, so dass es mir schwer fällt, zu entscheiden, in welche Warteschleife ich mich einsortieren soll. Alles kostenlos. Klar: wer eine Milliarde Kronen für eine neue Straße ausgibt, für denn muss es sich bei fünf Kilometern Freiwurst und tausend Litern Cola, Kaffee und einer halben Tonne Eis so anfühlen, wie wenn unsereiner 10 Kronen an einen Bettelclan spendet.
Für einen Moment stehe ich still im Treiben und werde mir bewusst, dass diese Straße, dieser Ort nie wieder so friedlich sein wird wie jetzt. Wie viele Menschen werden schon bald erschöpft oder mit übervoller Blase hier einfahren, hinüber hechten zum Rasthaus, aufs Klo, und dann weiter weiter weiter, nur eins, ihr Tagesziel im Kopf?
Mein Tagesziel? Hinter Larvik, hatte ich mir morgens überlegt, hatte es mittags revidiert wegen der müden Muskeln. Es würde schwer werden, die vierzig Kilometer von Porsgrunn über Helgeroa zu radeln, einen Kreuzberg nach dem anderen, zehn mal dreißig Höhenmeter in kleinen Scheibchen, so dass es, bis ich dieses Wurmloch entdecke, so aussieht, dass ich irgendwo zwischen Helgeroa und Larvik zur Ruhe komme.
Irgendetwas räumt mir den Weg frei. Am Ende der neuen Straße erklärt mir ein Einweiser, der die Autotouristen auf den Parkplatz lotst, wie ich am ruhigsten nach Larvik reinfahre. Das ist nämlich gar nicht so einfacch. Logischerweise mündet das neue E 18-Stück auf die monströs befahrene bestehende E 18. Aber ich könne nach zweihundert Metern links und dann parallel zum Fluss in die Stadt radeln, erklärt mir der Einweiser.
In Larvik radele ich durch die Gassen. Feierabendstill. Ein blonder Typ spricht mich an, ob er ein Foto dürfe, er sei ein Medienmensch, hum, seltsam. Dennoch sage ich ja. Ist ja okay. Gelb gekleideter Radler vor Larvik. Vielleicht schickt er mir das Foto per Mail.
Raus aus der Stadt. Über ruhige Straßen. Meine Kräfte sind zurück. Ich stelle fest, ich bin ein Abendradler. Ab 17 Uhr läuft es meist bestens. Das sollte ich beherzigen. Morgens schreiben, abends radeln.
(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)
vielen lieben dank für deine wunderbaren texte, ich sitz hier mit fußverband und freu mich an deinen faszinierenden geschichten und bildern….weiterhin magisches radeln
lgbaba :)
oh, du arme barbara! kohlwickel hilft vielleicht. rohe kohlblätter weichklopfen bis sie „feucht“ sind, dann mit verband den fuß damit einwickeln! wirkt wunder!
gute besserung!!!
Danke, Baba und gute Besserung.
Das mit den Kohlwickeln kann ich nur bestätigen, guter Vorschlag udn gute Besserung von mir.
Lieber Irgendlink, es war wieder ein wahres Vergnügen dich zu lesen und dich zu begleiten. Ich hoffe sehr, Fredrikstad wird dir gefallen.
Schönen Abend,
Dina & Co
:-)
oh vielen dank ihr lieben- dafür habe ich aber auch zeit all eure blogs zu lesen :) eine bereicherung und inspiration im fußlahmen, ausgebremsten all-tag!