Ich hasste Deutschunterricht. Aufsätze und Diktate schreiben. Vorlesen. Lesen selbst im Stillen, in mich hinein, war okay. Diktate schreiben hatte einen sportlichen Reiz. Im Nachhinein betrachtet: ich hasste die Kommunikation. Die verbale Schnittstelle zwischen den Menschen. Ich erinnere mich, wie schwer es mir gefallen ist, Aufsätze zu schreiben. Eine geheime Hürde in mir verhinderte das Nach-außendringen freier Worte, weshalb ich mich stets auf Banales bezog. Wie vermutlich die meisten Kinder in meinem Alter. Dort wo unsere Hemmungen sind, sind oft die größten Stärken verborgen. Schlummernde Kräfte, die nicht entfesselt werden können, weil wir uns nicht trauen. Weil die anderen hinschauen. Weil die anderen etwas komisches denken oder gar sagen könnten über einen. Deshalb stoppen wir an diesen Grenzen, gehen nicht weiter. Angst!
Erst um 1990 schrieb ich erste Zeilen auf Papier. Getreu dem Motto: Alles ist erlaubt, korrespondierte ich mit meinem Freund Ernest P., der in Hongkong und Japan Abenteuer erlebte – wir schrieben gemeinsam unser erstes Buch mit dem Titel „Eine berühmte Korrespondenz, die niemals geführt wurde.“
Ab 2000 Onlineschreiben, paar Jahre später Bloggen. Liebling, so sieht meine „Karriere“ aus.
Von Anfang an war das Schreiben für mich ein Experiment. Ein stetiger Versuch, die Grenzen auszuweiten, Neues zu erforschen, mich selbst auszuprobieren. Besser werden kommt dabei praktisch von alleine. Ich glaube auch, dass mein Dogma: „Kümmere dich nicht um Literatur“ seit Anbeginn mitspielt. Kümmere dich nicht darum, was die anderen tun, eifere nicht denjenigen nach, die man zu Recht oder Unrecht für die Großen hält, kümmere dich nicht um Satzbau, Tippfehler, Zeichensetzung und den ganzen Rest, denn es hindert deine Gedanken nur am freien Fluss. Jeder Blick aufs Papier oder auf den Monitor, kostet dich einen wichtigen Gedanken, den du vielleicht gerade, mitten im Fluss deines Tippens oder Kritzelns zu Papier bringen möchtest. Das moderne Liveschreiben, so wie ich es praktiziere, und wofür ich eine zweiundzwanzigjährige Liveliteraturausbildung gemacht habe, Operation am offenen Herzen des Diktats, wäre nicht möglich, wenn ich gleichzeitig auch noch Recherchieren, Fipptehlerverbessern, ausarbeiten und feilen wollte. Die Worte müssen rutschen, fallen, liegen bleiben, Ortsangaben falsch geschrieben? Tse, Shit happens.
Ein Blick in die Karte, nachdem du fertig geschrieben hast, genügt, diese verflixte Soundso-Bru, die Sundsobrücke, die über einen winzigen Bach führt, wo sich der Soundsosee in einen Soundsoanderssee ergießt, herauszufinden. Du hast dein Zelt aufgeschlagen an dieser Brücke, Tag 64 der Reise, nicht wahr, frühmorgens, Vöglein zwitschern, kramst auf dem Diktiergerät deines iPhones die Notizen heraus, deine To-dos. Ein Beitrag listet sämtliche Liveschreib-Empfehlungen, die du noch schreiben wolltest. Bei Nummer 7, 8 und 9 bist du jetzt, allesamt winzige Fetzen von Ideen, die ausgearbeitet werden wollen. Von alleine tun sie das nicht. Du musst schreiben, um geschriebenes zu erhalten. Korrigieren, um korrigiertes zu erhalten, Richtig stellen, um richtig gestelltes zu erhalten, enttippfehlern, um entfippptehlertes zu erhalten und so weiter. Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Aber zunächst musst du skizzieren. Und dabei darfst du dich nicht auf das fein ausgearbeitete Bild konzentrieren. Lasse es ungebremst aus deinem Inneren heraus. Mache Fehler. Sei dir bewusst, dass etwas nicht stimmt. Gehe darüber hinweg. Lass es liegen. Wichtig ist die Macht, die du entfesselst, wenn du wie ein Gletscher ins Meer der Ereignisse rutschst.
Wenn ich mich von Anfang an in meiner Schreibe um die Feinheiten gekümmert hätte, und darum, wer wann was vor mir schon gemacht hat, Reviermarkierung und so weiter, dann wäre ich noch kein Wort weit gekommen.
Vielleicht der Mut, den eigenen Weg zu gehen, egal, ob andere ihn schon vorher gegangen sind? Es wird trotzdem immer ein individueller Weg sein. Wenn du nicht bereit bist, ein Bad im Fettnapf der Literatur zu nehmen, wirst du den Weg nicht gehen könne. So gibt dir die Blöße. Jetzt.
(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)
Es ist eigentlich klar: wenn man sich zensiert, geht das große Ganze verloren und man bleibt im Kleinen stecken. Einfach drauf los muss sein. Wenn nachher mehr draus werden soll oder anderes, kann man immer noch verbessern, ausarbeiten, ergänzen, überarbeiten. (Aber ich glaube, das willst du gar nicht.) Bis jetzt ist doch alles gut so …