Skelett

Eine gewisse Zeitspanne

Geschrieben nachts am Fjord – die rohe Basis eines Texts, der eigentlich velosophisch fleischlich sich um die Struktur ranken sollte.

Um etwas nachhaltig zu verändern im Leben, braucht es eine lange Zeit. Mindestens sechs Wochen, sagt mein Freund Journalist F. Ich glaube, wir hatten über Gewohnheiten geredet und wie sie sich, ähnlich wie ein Skelett, als Grundkonstruktion des eigenen Lebens etablieren, wie sie verkettet sind miteinander, und wie schwer es ist, sie zu verändern. Weil eben alles miteinander zusammenhängt. Eine gewisse Zeitspanne.

So lange wie auf dieser Reise, war ich noch nie alleine unterwegs.

Mein Lagerplatz auf einer großen Wiese unweit von Fana. Ich stelle fest, dass ich mir die Vorstellung von Stadt oder Dorf, die ich von zu Hause gewöhnt bin, hier gänzlich abgewöhnen muss. Es gibt keine erkennbare geschlossene Siedlung namens Fana. Überall in den zerklüfteten Wald und Wiesenregionen liegen einzelne Gehöfte. Ein Ortszentrum ist nicht auszumachen. Ohne Karten, die manchmal am Straßenrand auf großen Blechtafeln gemalt sind, Infopunkte, würde ich hier weder einen Laden, noch die Bank finden.

Kurz hinter der Kirche endet der Radweg Nummer 1, der seit Bergen teils auf einer alten bahntrasse, teils neben der Straße auf einem Extraweg geführt wird. Über eine serpentinöse 12% Steigung geht es kilometerweit berghoch. Der Fanaseter. Viele Rennradler, Hunderte, teils in Gruppen von 20-30, machen den Autofahrern an diesem Sonntag das Leben zur Hölle auf der schmalen Passstraße. Oben ein Heimatmuseum, das Gebäude aus den späten 1800er Jahren, verteilt im Wald, zeigt.

Weiter abwärts mit 50-60 km/h. Vorbei an einem Zisterzienserkloster, den Grundmauern des Lysseklosters. Die Sonntagstouristen machen sich gegenseitig das Leben zur Hölle. Die Straße ist so schmal, dass keine zwei Autos aneinander vorbei passen. Selbst bei mäßigem Verkehr fühle ich mich relativ sicher, weil man hier nicht schnell fahren kann.

In Halhjem, südlich von Osøyro führt die E39, deren Verlauf der Radweg im Groben folgt, mit einer Fähre über den Björnafjord. Als Radler kann man einfach auffahren, zahlt an einem Kassenhäuschen an Bord. Auf Vertrauensbasis. Niemand kontrolliert. Die gut halbstündige Fahrt kosstet 55 Kronen. An einer Steckdose unter einem Tisch in der Cafeteria lade ich das iPhone.

Buntes Volk. Viele fummeln auf ihren Smartphones. Ein Mann mit schwarzen Fingern setzt sich zu mir. Radler? Ja. Ray aus Schottland, der heute seinen ersten Tag auf der Nordseerunde radelt. Von Edinburgh ist er mit dem Flieger nach Bergen gekommen, hat zwei Tage in der Herberge des YMCA verbracht. Wir radeln gemeinsam weiter. Er hat eine schlechte Radlerkarte, in der die Strecke des Nordseeradwegs als rote Linie eingezeichnet ist, ich habe eine Autokarte und den GPS-Track im iPhone. Der rettet uns die Strecke.

Die Beschilderung ist an entscheidenden Stellen manchmal nicht vorhanden. Ray hatte sich morgens schon auf eine Halbinsel verirrt, kilometerweit, stand plötzlich an einem Hafen. Ende der Straße.

Die Landschaft ist unbeschreiblich schön. Ein zerklüftetes Etwas, bestehend aus Felsen, die im Laufe des Tages die unterschiedlichsten Farbtöne annehmen, je nach Sonnenstand, Kiefernwälder, Fichten, Birken, wilde Bäche, Wasserfälle, als habe die Natur alle Schönheiten zu einem Carepaket geschnürt und noch einen Shuss Schönwetter draufgelegt.

Das Fahren zu zweit ist kompliziert. Ich merke, wie wichtig es ist für meine Fotografie, dass ich alleine bin, dass ich nach Belieben hemmungslos an jeder Stelle anhalten kann, an der ich etwas interessantes sehe. Sei es auch nur ein alter Traktor. Bei Km 3100 macht es, just, als ich den Auslöser betätige, einen lauten Knall. Der Vorderreifen hat sich verabschiedet. Offenbar habe ich den Schlauch eingeklemmt, nachdem ich ihn an der Tanke beim Flughafen wieder befüllt habe. Nicht auszudenken, wenn die Panne beim Abstieg vom Fanapass passiert wäre. Ersatzschlauch rein. Heute ist Pannentag. Schon am Morgen ist eine der angeblich unbrechbaren Zeltstangen gebrochen.

In der Nähe von Sagvåg finden wir einen prima Lagerplatz, wild in einem Strandbad am Digernessund.

Dieser Sonntag ist der erste Tag seit 7 Wochen ohne Regen. Sonne von morgens bis abends.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

11 Antworten auf „Skelett“

  1. boah, dass ein reifen platzt, wenn du stehst, ist ja mal glück im unglück. das mit der zeltstange – seltsame sache. war es eine wichtige oder kannst du improvisieren? vielleicht findest du in stavanger ersatz?
    ich hoffe, ihr findet einen guten takt mit zusammenreisen. du hattest das dilemma ja auch zeitweise auf dem jakobsweg, erinnere ich mich.
    einen wunderbaren tag euch beiden!

  2. Auf so einer Reise sollte man immer ein ca 15-20 cm langes Röhrchen dabei haben, in das man die gebrochene Stange reinstecken kann und so fixiert wird. Einfach aber wirkungsvoll. Ebenso gehören vorbereitete Ersatzspeichen in Gepäck, die einfach zu montieren sind. Weiterhin gute Reise und geniesse die traumhafte norwegische Landschaft.
    Speedy49

    1. Das Röhrchen hat mich gerettet. Im Gegensatz zum alten Zelt, das 1991-2007 im Dienst war, ist die Stange nicht gleich beim nächsten Aufbau gebrochen. Ersatzspeichen sind auch da. Aber ich könnte sie nicht montieren, da ich keinen Zahnkranzabnehmer dabei hab. Schwitz.

  3. Pannentag lese ich und Gefährten gefunden (zweitweise) lese ich auch und Sonne satt und ein wunderbares Carepaket, das Norge heißt- alles ist gut gegangen und irgendwie bin ich total froh, dass du Britannien durchgehalten hast, auf deine Berichte aus Lieblingsland hätte ich nur ungern verzichtet-
    Norge überall, ich lese „Dina“, schaute den Film, schwelge in Erinnerungen an meine eigenen Reisen durchs Land und plane gerade eine im nächsten Jahr, bis dahin müsste ich die Kohle zusammenverdient haben

    wünsche dir weiterhin solche WunderBarTage, allerdings bitte ohne weitere Pannen
    liebgrüßt Li Ssi

  4. „Um etwas nachhaltig zu verändern im Leben, braucht es eine lange Zeit. Mindestens sechs Wochen, sagt mein Freund Journalist F. Ich glaube, wir hatten über Gewohnheiten geredet und wie sie sich, ähnlich wie ein Skelett, als Grundkonstruktion des eigenen Lebens etablieren, wie sie verkettet sind miteinander, und wie schwer es ist, sie zu verändern. Weil eben alles miteinander zusammenhängt. Eine gewisse Zeitspanne.“

    ……meine Güte was sprecht ihr mir aus der Seele!!!!!!

  5. Es ist schön, in Gesellschaft zu reisen, sich helfen zu können und sich austauschen. Aber es bringt eben eine gewisse Notwendigkeit zu Kompromissen mit sich. Wir haben dieses Problem schon beim Wandern … Radfahren und immer anhalten ginge gar nicht.
    Ich hoffe, dass du von weiteren Pannen verschon bleibst. LG, April

  6. Seid ihr Menschen nicht besessen davon, euch zu ändern? Masterchen hält es für fraglich, ob man sich je ändert, wir Feen bleiben uns eh immer gleich. Klar, langsam ändern sich Menschen im Kleinen (6 Wochen ist ja Düsentempo, ich würde als Dimension eher ein Jahr mindestens annehmen), aber die Grobstrukturen bleiben, da sie als Identität erfahren werden. Also, ich finde als Fee, ihr Menschen vergesst vor lauter Änderungswahn die zu werden, die ihr seid. Tantchen hat uns ja gesegnete Gebetsfahnen aus Bhutan mitgebracht, wenn ich zwischen denen hindurch fliege, höre ich ein fernes Murmeln „akzeptiere dich, wie du bist.“
    Dennoch, Wiederholungen, die euch nicht gut tun, solltet ihr erkennen, um sie dann mit preußischer Disziplin (gut, dass wir Feen damit nix am Hut haben ;-) ) aufzugeben. Jaja, ich seh`s am Masterchen, es ist schon schwer ein Mensch mit Anspruch zu sein. Die Engländer sind da weiser: „ignorance is bliss“ ;-)

    Lieber Irgendlink, genieße das feine Norwegen, das Wetter und überhaupt alles.
    Silberenen Feenhauch von Sirifee
    Selma und Dina lassen von den Schären aus grüßen und Masterchen aus sunny Norfolk, wo er gerade die Dachrinnen säubert – iiiieh …

  7. Du hast den geplatzten Reifen ohne Unfall überlebt, du bist in Norwegen unterwegs, du hast allerschönstes Sommerwetter, du radelst duch die tollsten Landschaften, du hast einen Reisegefährten gefunden und du sitzt sicherlich gerade vor’m Zelt und lässt es dir so richtig gutgehen. He, Pannentage sehen aber anders aus, oder? :D
    Tolle Fotos! Ich trau mich gar nicht, sie richtig lange anzuschauen, denn dann krieg ich sofort wieder Fernweh. ;)
    Gute Nacht und weiterhin eine schöne Reise,
    und liebe Grüße, auch an die Homebase,
    Andrea

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