apt-get install horrorvorstellung

Diese modernen Gerüchte. Den Medien sei Dank ist es ja so einfach, eigenartiges Wissen unters Volk zu schmuggeln. Die Medien sind nämlich verzweifelte Buhler um die Gunst der Unterhaltungswilligen. Dass dies und ein Übersetzungsfehler mir das gestrige Mittagessen verdirbt, zeigt, wie gutgläubig ich doch bin, ich Pseudorationalist, ich.
Kürzlich gerate ich mit Thomas aneinander wegen dieser Sache mit der Lichtnahrung, über die neuerdings öfters berichtet wird. Er erzählt der Happy Family auf Englisch davon und das Ganze wird von Roser und Rodrigo ins Spanische übersetzt. Als ich einwende, dass man dem, was im Fernsehen kommt, nicht ungeprüft glauben darf, weil die Redakteure im Kampf um die Kunden über In-Themen berichten und diese in Pro Contra Diskussionsform so geschickt verpacken, dass eine Sache gleichzeitig wahr und unwahr ist, ernte ich nur Unverständnis. Der Kunde kann sich seine Wahrheit aussuchen, schlägt sich gerne auf die spektakulärere Seite der Information. Im Internet erledigen wir dann den Rest in Form von Blogbeiträgen mit dem Tenor: „Im Fernsehen hab ich gesehen, dass …“ und „Ein Freund von einem Freund von einem Freund kennt da jemand, der …“
Zweifach übersetzt und bruchstückhaft binnen zwei Minuten wieder gegeben weiß die Happy Family nun, dass es Menschen gibt, die weder essen noch trinken und so zynisch es klingt: Afrika ist gerettet.
Nach 4 Stunden laufe ich in einer Pulperia in Melida ein, wo mich die Family schon freudig erwartet. Eine Pulperia ist ein Tintenfischrestaurant. Und diese Pulperia ist DAS Tintenfischrestaurant schlechthin in dem quirligen Städtchen, sagt Carlos. So bestelle ich natürlich Tintenfisch, den ich zu Hause nur als gefrostete, frittierte Ringe kenne. Der Teller enthält offenbar ein ganzes, in Scheiben geschnittenes Tier, lila-schwarze Haut, Saugnäpfe an den zerstückelten Beinchen, festes, elfenbeinfarbenes Fleich. Die Stücke spieße ich mit dem Zahnstocher auf. Dazu gibts Brot und Weißwein. Um wie Vieles besser als die Schockfrostkost! Bis … Naja, Thomas übersetzt das, was Roser ihm vorhin auf Englisch erzählt hat, dass das Tier bei lebendigem Leib erstmal eine halbe Stunde geklopft wird, bevor man es kleinschneidet und kocht. Damit das Fleisch schön weich wird. Apt-get install horrorvorstellung. Ich sehe den Koch vor mir, ungeprüfte Wahrheit, wie er das arme Wesen bei den acht Beinchen packt und es wieder und wieder auf den Tisch haut. So naiv bin ich, dass es mir den Appetit verdirbt, ich mich verzweifelt dem Brot zu wende. Auch Rosers Intervention, dass das falsch übersetzt ist, dass das Tier natürlich längst tot ist, nutzt da nix mehr. Für mich ist es lebendig, klatsch, klatsch, klatsch und der Koch grinst und schwitzt und wischt sich mit der linken Hand über die Stirn. Thomas setzt noch einen drauf, ich solle mich nicht so anstellen, schließlich sei alles, was wir Menschen essen, einmal lebendig gewesen, auch das Brot.
Wie es gelitten haben muss, halb verdurstet im Hochsommer von einer Diesel getriebenen Maschine bei lebendigem Leib gedroschen worden, nicht genug, das noch immer lebende, derart gehäutete Korn von schweren Steinen gemahlen und im Backofen …
Spaß bei Seite. Keiner von uns ist gefeit gegen das Glauben. Die Informationswelt, so scheint es, macht das Glauben einfacher denn je. Sie ermöglicht aber auch das Wissen.
So gebe ich die Empfehlung, die ich in Bezug auf dieses Blog schon öfter ausgesprochen habe, es als subjekive, in sich bewegliche Information zu sehen, die keinerlei Anspruch erhebt, Wahrheit zu sein.
Kürzlich wurde mir bewusst, dass jedes Foto, das hier gezeigt wird nur einen Ausschnitt von 50 bis 90 Grad aus meiner Umgebung zeigt. Ist die Landschaft noch so schön. Hinter dem Fotografen könnte eine Müllkippe sein, eine Autobahn, ein Schlachthaus. Auch das geschriebene Bild ist nur eine, von einem Fremden gemachte Stimmung, die du prüfen musst, bevor du sie annimmst.

Eine Antwort auf „apt-get install horrorvorstellung“

  1. jaja, die lichtnahrung. dadrüber hab ich neulich auch schwadroniert: http://sofasophien.wordpress.com/2010/11/28/lichtnahrung-und-so-sachen/ ist auch nicht mein ding. der involvierte zynismus ist es ebenfalls, der mich am meisten stört.
    sich übers tiere-essen gedanken zu machen – und auch wenn die story mit den gefolterten tintenfischen hoffentlich nicht stimmt, gibts doch immer noch die froschschenkel u. dergl. mehr – finde ich dennoch im fleisch- und fischland spanien nicht schlecht. korn und gemüse verdirbt und verfault resp. wird wieder erde, wenn wir es nicht ernten. tiere nicht. sie sterben friedlich, wenn sie nicht geschlachtet werden. und unfriedlich im schlachtfall. ob auch das nur halbwahrheit ist und wie lebendig, schmerzempfindlich und beseelt ein tier ist, ist vielleicht letzlich auch nur glaubenssache.
    wie sich leben anfühlt, kann auch nur jede und jeder für sich selbst entscheiden. ob er oder sie es glaubt oder nicht. :-) es leben der individualismus und die meinungsfreiheit.
    nachdenkliche grüße

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert