Alle haben mich gewarnt. Seit Jahrzehnten. Tu das, was du tun musst, weil nur du es tun kannst und weil ums Verrecken kein anderer auf die Idee kommt, deine Aufgabe in dieser Welt zu erledigen. Das klingt elitär und ist doch natürlich. Wir Künstler ticken nunmal immer ein wenig aus dem Takt. Die Gesetze der Leistungsgesellschaft stehen Kopf im kleinen feinen Lebenssystem des Künstlers, so dass mancheiner es sich leisten kann, scheinbar sinnlose Dinge zu kreieren, die, wenn man sie dem alles beherrschenden Markt anbieten würde, nie produziert werden dürften, weil sie sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Dieses Blog ist ein gutes Beispiel dafür. „Wieviele Stunden“, würde der Geschäftsmensch, mahnen, „verschwendest du an sinnlosen kleinen Artikeln, die nur zwanzig dreißig Leute ab und zu lesen!“ Hör mal Rudi, hör mal, lass es sein mit der Gitarre. Du haust dir Dinge raus, die holst du doch im Leben nicht mehr rein, sang einst Herwig Mitteregger.
Seit einiger Zeit fahre ich eine halbherzige Schiene zwischen Kunst und Werktätigkeit. Anfang des Jahres riet mir Künstlerkollege und Unternehmensberater Konzeptkünstler R.: „Wenn du das alles erreichen willst, dann musst du spätestens im Juni deinen Tackerjob kündigen“. Ich hatte ihm eine Liste gemailt, grob skizziert, was ich in diesem Jahr gerne alles im Bereich Kunst erreichen möchte. Er hat daraus einen professionellen Zeit- und Finanzplan gemacht, wobei er es tunlichst vermieden hat, bei der Rentabilitätsstudie die beiden Berufe zu vermischen. Du kannst es schaffen, wenn du dich traust, hatte er auf das Beratungsheftchen notiert. Ich legte es bei Seite zu einem Stapel anderer wichtiger Briefe und tackerte weiter in der Loungemöbelwerkstatt. Tagein tagaus. Die Reise Zweibrücken-Andorra und die daraus resultierende Ausstellung vergangene Woche, gaben mir das Gefühl, dass ich es sogar schaffen kann, ohne auf die Ratschläge des erfahrenen Experten zu hören. Ich Tor, ich. Schäbig genug, dass ich die Gratis-Beratung, die sonst im Bereich 1000 Euro plus X liegen dürfte so achtlos behandele … aber halt halt halt. So schäbig bin ich gar nicht. Natürlich habe ich mir die Analyse genau durchgelesen – auch das Kapitel mit den Risiken: abhängige, versicherte Tätigkeit versus Selbstständigkeit – du bist nicht mehr der Gesündeste, flüstert ängstlich eine Stimme, du brauchst Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auch die Passage über den Behördenspießrutenlauf, um die eigene kleine Kunstfirma auf sicheren Boden zu stellen, machte mir Angst. Plötzlich war ich mit Summen konfrontiert, die ich mir bisher nicht vorstellen konnte, Jahresumsätze, statt Ticker-Tacker-Monats-Hungerlohn. Da wird einem schon ein bisschen schwindlig.
Wie ich heute im LKW sitze und die triste A4 nach Strasbourg tuckere – der Morgen hebt sich – kommt mir Konzeptkünstler R.s Beratungsmanuskript wieder in den Sinn. Gibt es etwas sinnloseres, als seine Lebenszeit in einem Laster voller Loungemöbel zu verschwenden?, denke ich in der Nähe von Phalsbourg. Für einen Moment schwelge ich in opulenter Frühlingserinnerung: 21. April, gegen 10:30 durchquere ich mit dem vollgepackten Europenner-Rad die kleine Stadt oberhalb des Rhein-Marne-Kanals. Mache brilliante Fotos. Glimmer-Glammer-Sonnenschein. Nun im Herbst im Laster, ausgeschabte Künstlerseele. Wie naiv, zu glauben, du kannst die beiden Wege gehen. Graue feuchte Tristesse über hügeligem Land. Ich bin elend müde, weil ich nur vier Stunden geschlafen habe. Der Kollege auf dem Beifahrersitz erzählt LKW-Legenden. Er ist Profifahrer und erklärt mir endlich, wie die verflixte Fahrerkarte funktioniert. Leider darf er nicht fahren, weil er seine Wochenlenkzeit überschreiten würde. Später, in Strasbourg, verirren wir uns mit dem 6,5-Tonner in engen Gassen – das Hotel, in dem die Veranstaltung stattfindet liegt auf einer Insel zwischen zwei Kanälen. Wunderbare Fachwerkhäuser. Wir bauen die Lounge in einer antiken Mühle auf, direkt über dem rauschenden Mühlbach. Der Plan, zu warten, bis die Veranstaltung vorbei ist, scheitert. Utopisch, bis drei Uhr nachts zu warten. Ohnehin wäre es – mindestens – unhöflich so früh mit Abbaulärm die Nachtruhe zu stören. So freue ich mich denn auf die morgige Rückholfahrt so ungemein, ohja, wie mir das Herz hüpft. Was für ein mieses, versautes Wochenende, an dem der Künstler doch in Murnau sein sollte, um am Col-Art-Event während der Murnauer Kunstnacht mitzuarbeiten.
Du hast es nicht besser verdient, höre ich Konzeptkünstler R. Dein Scheitern ist das schwer erziehbare Kind deiner Halbherzigkeit.
PS. Seit Büssis Tod (s. Blogartikel vom 25. September) kann ich mich wieder an Zeiten früher, als vor fünf Jahren erinnern. 1995 schwärmte ich von dem Gedanken einen Roman zu schreiben, der Europenner heißen sollte. Büssi, mit dem ich in dieser Zeit in einer WG wohnte, feuerte mich an und sagte, er wolle das Vorwort dazu schreiben. Habe ich dem Konzeptkünstler R. und Büssi gegenüber eine nicht zu begleichende Schuld, so ist sie mir gegenüber am allergrößten. Das klingt wie Begnadigung.
Was heißt hier „Schuld“? Du wägst die Sache ab und machst es, wie Du denkst. Das ist richtig- rechnet man die Verkaufschancen in der Provinz hoch, dann ist das mit der Kunst nebenher doch nicht verkehrt.
„Kunst nebenher“ – dreht sich da einem Künstler eigentlich das Herz im Leibe rum?
Die Frage ist: Wie geht man mit dem schwer erziehbaren Kind und seiner Mutter um?