Gestern war es so weit. Ich traf mich mit den Malern Gronak und QQlka am Bahnhof in Ingelheim. Unser Plan: wir laufen die Bahnhofstraße hinauf bis zum Möbelladen, welcher die Vereinsausstellung des Mainzer Kunstvereins am 11. und 12. November sponsort. Anlass genug, ein paar lobhudelnde Kunstwerke direkt vor Ort zu schaffen. Auf neun Stationen am Straßenrand würden wir uns abwechseln mit Zeichnen, Fotografieren und Schreiben, so dass am Ende der Tour jeder dreimal mit eben diesen Disziplinen konfrontiert sein würde.
Zeitgleich sollten laut Fahrplan unsere Züge eintreffen. Schon war ich ausgestiegen, da rollte auch der Mainzer Zug ein. Erwartungsfroh spähte ich nach QQlka und Gronak, doch zum Vorschein kamen nur zwei zerlumpte Typen, lauthals im Klinch mit dem Schaffner. Nein, das waren nicht die beiden, sondern es waren schwarz fahrende Berber mit fettigen Rucksäcken und abgewetzten Klamotten. Die werten Künstlerkollegen hatten wohl den Zug verpasst.
Ich nutzte die Wartezeit für einen kleinen Spaziergang. In der Unterführung gemeinsam mit den beiden Berbern, kein Zuckerschlecken. Sie waren noch immer erbost wegen des Rausschmiss‘. Der dickere drängte sich pinkelnd an die Wand und noch ehe ich der Klarheit gewahr wurde, warum es in Bahnhofsunterführungen immer nach Pisse und Kotze riecht, entfuhr mir ein „Na, na naa,“ leise aber missbilligend. Groooßer Fehler? Zu meiner Überraschung hielt der Berber mitten im Strahl inne, knöpfte die Hose zu und sagte: „Hast ja Recht, wir sind in deiner Welt. Da darf nix stinken.“ Sein Kumpel stellte seinen Fuß neben meinen und verglich die Schuhgröße: „Die würden mir passen,“ sagte er, „schenkst Du mir die?“ da wurde mir ein bisschen mulmig. Trotzdem sagte ich nein.
Heilfroh, mit Schuhen und ohne größere Schmähungen die Passage verlassen zu haben, sinnierte ich über die beiden Welten, die Welt der Berber und die Welt der Wohlsituierten, fabulierte auf der Treppe vor dem Bahnhof sitzend ein scherenförmiges Design dieser grundverschiedenen Lebenssphären. Dort wo sich die Welt der Berber bewegt, steht der Wohlsituierte still und umgekehrt.
Später, während der Kunstaktion – wir saßen ähnlich wie Berber auf einer Parkbank und beobachteten die hektische Bahnhofstraße – festigte sich dieses Bild. Wir werden gesehen, wir werden immer gesehen und die stillen Berber in den Parks wissen ganz genau, wie es mit uns Werktätigen aussieht. Als Künstler ist man so eine Art Wechselbalg zwischen diesen Sphären. Durchaus vorstellbar, dass man bei hohem Blasendruck in einer Bahnhofsunterführung dem Drang freien Lauf lassen könnte. Nicht das ich das je getan hätte, denn die Sphäre des Wohlsituierten steht mir näher. Es ist die Welt öffentlicher Toiletten, käuflicher Cafétischplätze, geregelter Bankkonten und des allgemeinen Hin und Hers, welches der Lohnerwerb nunmal so mit sich bringt.
Ja den Käfer kannte ich schon. Lustige Geschichte das Ganze und noch interessantere Verschwörungstheorien die sich darum spinnen :)
Danke noch für dein Lob neulich. Kam noch gar nicht dazu mich zu bedanken. Hab ein schönes WE!