Der Mangel an Wasserkochern bricht uns das Genick

Nimm dem Menschen etwas weg, und du machst ihn unzufrieden. Unzufriedenheit führt unweigerlich zur Rebellion. Dabei muss aber nicht immer Blut fließen. Das Jazzfest (für das ich diese Wochen arbeite) ist ein anschaulicher Mikrokosmos, der sich gut eignet die gesellschaftlichen Vorgänge zu aufzuzeigen.

Der Ausschluss vom Büffet hat die Bühnentechniker und die Kollegen vom Fernsehen hart getroffen. Adam und Eva können sich nicht schlimmer gefühlt haben, als sie das Paradies verlassen mussten. Gegen Abend spielten sich dramatische Szenen vor dem Cateringbüffet ab: Das Fernsehteam hatte einen Mitarbeiter geschickt, weiße Fahne im Gepäck, um mit dem Festivalorganisator neue Bedingungen auszuhandeln. Unauffällig lümmelte ich an einer Ecke und belauschte das Gespräch.

Fernsehdiplomat: „Gib uns Schnitzel, oder …“

Organisator: „Oder was? Willst du mir etwa drohen?“

Fernsehdiplomat: „Neinein, es ist nur, wir können so nicht arbeiten, all der Schmutz, Lärm, Gestank, unsäglicher Hunger, würdest du das für 3000 Netto über dich ergehen lassen?“

Organisator grinst: „Dafür seid ihr engagiert. Das Büffet war in den Vorjahren nur eine Geste.“

Magen des Fernsehdiplomaten: Knurrt mitleidserregend, Hundeblick.

Da ließ sich der Organisator erweichen: „Also gut“, diktierte er dem Caterer, „warmes Essen für die Kollegen vom Fernsehen und die Techniker.“

Caterer: „5,50 pro Portion.“

Organisator: „Nur eine Portion.“

Caterer: „Okay, 6 Euro.“

Da verstand ich die Welt nicht mehr. Zuviel surreale Situationen.

Mittags hatte ich den allgemeinen Unmut in der mikrokosmischen Jazz-Gesellschaft am eigenen Leib zu spüren bekommen: Ätherophonistin B. äußerte den Wunsch nach heißem Wasser, sie müsse Tee kochen, das sei ein Ritual, ohne Tee könne sie nicht auftreten. Es grenzt ohnehin an ein kleines Wunder, dass ich ihr eine eigene Garderobe nur für sich alleine reservieren konnte. Dies verdanke ich der unkomplizierten Bigband aus G., Österreich. Den Jungs war schlicht egal, wo sie unterkommen, so dass ich sie in den Gemeinschaftsraum verfrachten konnte.

„Tee gehört eigentlich zur Grundausstattung eines Büffets“, rief ich den Caterer an.

„Tut er nicht. Steht nicht im Vertrag“.

„Können sie mir wenigstens einen Wasserkocher leihen?“

„Ham wir nicht.“

Wände aus Eis in einer frostigen, mikrokosmischen Jazzgemeinde.

„Die Fernsehleute haben einen Wasserkocher“, sagte jemand.

Die Fernsehleute hatten sich eine Sitzecke hinter der Bühne eingerichtet mit Stühlen, Tisch, Kaffeemaschine, da sie ja nicht mehr ans Büffet dürfen, war gestern Selbstorganisation angesagt.

Strahlend starrte ich auf die Kaffeemaschine und fragte rhetorisch: „Ihr habt doch eine Kaffemaschine, kann ich da mal kurz Wasser kochen?“

Fernsehleute: „Kaffemaschine? Nö, hamanet. Tut uns leid.“

Tatsächlich so geschehen.

Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, den seit über drei Jahren nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte. Auch dies nicht. Abstrus, gell? (Das liegt allerdings daran, dass ich in diesem Moment den Artikel, den Ihr jetzt lest, im Kopf fertig geschrieben hatte, inklusive Überschrift ;-) )

Plan C oder D waren rein mechanische Angelegenheiten: Organisator anrufen, geht nicht ran, rüber ins Kulturamt, klingeln, niemand öffnet, auf zum Kaufmarkt, billigsten Wasserkocher kaufen et Voila: Irgendlink macht Künstlerträume wahr.

Was will uns diese Parabel erzählen? Eine hinreichend große Menge an Menschen bezeichnet man als die Gesellschaft. In ihr strebt jeder nach seinem persönlichen Glück und macht die Anderen dafür verantwortlich, wenn sein Glück kleiner wird, sei es auch nur um ein Schnitzel. Daraus wächst Unzufriedenheit, die ungeahnte Kräfte hervorbringt. Diese Kräfte wirken wie Krebs in einem geschundenen Körper. Wir müssen zum Psychlogen.

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