Nachtgrau liegt über der Wohnung. Noch sind die Rezeptoren nicht in der Lage, Farbe zu erkennen. Die Träume verfliegen. Ich weiß nur noch, dass ich höchst rational direkt nach dem Erwachen dachte, das was du geträumt hast -eine Geschichte – fühlte sich soundso lang an, aber in Wirklichkeit verging für dein träumendes Hirn nur ein Fingerschnippen von Zeit. Ist so. Genau weiß ich es natürlich nicht. Ich zog die Kleider an, setzte Kaffee auf, trat vor die Künstlerbude, pinkelte in den Garten, nahm eine Hand voll Holzspäne vom Hackplatz mit. Feine, trockene Späne. Rüttelte die Asche aus dem Ofen, richtete das Feuer ein, legte große Scheite darauf. Zündete alles an.
Die Sonne ist erahnbar unterm östlichen Horizont. Wenige Wölkchen färben sich rosa und es gibt blaue Stellen am Himmel. Vögel zwitschern. Das hab ich lange nicht gehört und beinahe wäre ich glücklich gewesen, beinahe wäre der Moment ein Moment gewesen. Ein Fingerschnipp in der Zeit, gefüllt mit einem Strang Sorglosigkeit. Eine Blubberblase Ewigkeit. Doch dann kommt die Erinnerung.
Das Hirn. Großmacht im eigenen Körper, die die Welt fügt und wie ich sie zu sehen habe. Ich erinnere mich, die Berichte zur Wahl hatten mich zwar nur gestreift am Abend, denn ich bin klug und versuche, das Gemüt so lange es geht zu schützen, es sauber zu halten von den Müllkübelausschüttungen der Medien. Das heißt: keine Nachrichten, TV habe ich ohnehin keins, nur kurz Wahlprognosenleiste schauen um 18 Uhr. Es kommt wie es die Trends sagten plus minus ein zwei Prozent für die jeweiligen Parteien. Das genügt mir. Ist eigentlich wie mit den Fußballweltmeisterschaften und Bundesligen: Mir reichen die Ergebnisse, ich muss das Gemetzel und den Talk darüber oder das Spiel nicht miterleben. Das schützt mich gewisser Maßen. Insbesondere bei den schmerzenden politischen Umtrieben dieser Tage.
Nach den Abendnachrichten zu Besuch bei der Frau Mama, die vor der Glotze sitzt, kriege ich doch noch einen Kübel Wahlmist. Nur ein zwei Minuten sehe ich die Diskussion der Söderweidelmerzens und das genügt eigentlich, sich wie frisch geteert und gefedert zu fühlen.
Spahn, Weidel, Klöckner, Söder, Merz gehn mit mir ins Bett.
Müde schmiege ich mich auf die Matratze. Der Schlaf soll es richten. Tut er aber nicht. Eine unheimliche Grundanspannung. Ich weiß nicht, wie ich sie loswerden soll. Dabei könnte mir die Wahl eigentlich egal sein. In zwanzig Jahren bin ich tot. Bis dahin wird das Klima wohl nicht kippen. Um in den Krieg zu ziehen bin ich zu alt. Muss ich also auch nicht an die Front. Zum Verarmen bin ich zu arm. Zum Siechen (noch) zu gesund. Um Hilflos zu sein bin ich (noch) zu selbständig. Der Staat um mich herum könnte mir scheißegal sein.
Das Problem ist, dass ich mir sicher bin, dass das, wovon ich vermute, was nun in den nächsten Jahren geschieht, die falsche Richtung ist. Das wir wegen einer Mehrheit an Menschen, die nicht alle Fakten kennen oder sie ignorieren, gemeinsam einen falschen Weg einschlagen. Warum? Weil man sie bei der Schlichtheit ihres Menschseins gepackt hat, ihnen Angst einjagte, ihnen Sorgen bereitete, das Leben könne unbequem werden. Ihr Kleinklein, das für sie alles bedeutet sei bedroht, machte man ihnen glaubhaft. Ihre wahren Gegner seien die, die es gut meinen und die meinen es gar nicht gut, machte man ihnen klar, sondern die wollen sie nur bevormunden. Dass sie den Lügnern und Manipulateuren auf den Leim gegangen sind, denjenigen, die nur sich selbst kennen und die nur an ihren Profit denken.
Eine kurze Geschichte, die ich mir ausgedacht hatte, knüpft an ein Erlebnis im örtlichen Discounter an. Vier Tage vor der Wahl. Abendleerer Markt nur paar Leute, müde Kassiererin schwätzt mit einem Jungen, der vom Leder zieht, wie verblendet sein Vater sei und man würde am Montag schon sehen … oder gar am Sonntag Abend und der Wenz habe gar nicht so unrecht. Hä, wassen fürn Wenz? Bis mir klar wurde, dass es um die Wahl und Vance geht und die beiden gewiss die AFD wählen würden, weil sie sich erhoffen, dass die sich für genau sie beiden einsetzt, jaja und meine Geschichte, die eigentlich gar keine ist, sondern nur ein Bild, ist das zweier Hunde, die die Zähne fletschen, bereit vor Ort zu zerfleischen was kommt, angestachelt, aufgehetzt, die falschen Ziele und Feinde im Blick, Hauptsache Blut und Fleisch. So hetzen die beiden auf den vermeintlichen Feind, die Grünen, die Energiewende, die in ihren Augen nichts als Geld kostet und an ihrem persönlichen Unglück schuld ist. Obschon sie mit Energiewende gar nicht ärmer werden als ohne; obschon sich nichts nichts nichts für sie zum Schlechten verändert; obschon sie weiterhin theoretisch mit ihren Motorrollern ohne Tempolimit auf der Autobahn fahren dürfen, ihre Wohnung mit Wärmepumpe genauso warm ist wie mit Ölheizung, derweil ihre Mieten steigen werden, weil der Konzern es hemmungslos bestimmt. Aber in ihren Köpfen, die das Gefühl bestimmen, in dem sie leben, das Gemeinsam, das sie womöglich empfinden, da ist alles viel schlechter, spukt das Gespenst und es ist echt.
Unbemerkt fliegt zwei Kilometer höher ein Privatjet voller Milliardäre.
@kibmib Genau das. Auf den Punkt gebracht. Danke für das In-Worte-Gießen.