Wie ein Quantencomputer unter den Fleischwesen

Ich leg mich fest: Ich leg mich nicht fest. Und genau das ist das Problem. schrieb ich gerade.

Nebenan steht der neue Laptop. Bin ich glücklich? Brauche ich den? Hab ihn vom Stick gebootet und auf den Installierenknopf gedrückt und mich zwei drei Schritte im Installationsprozess von Manjaro, das ist eine Linuxdistribution einer Berliner GmbH, vorangeklickt. Das war irgendwann gestern Nachmittag. Dann tauchten Fragen auf und mit ihnen die Unsicherheit. Dualboot mit dem evil Windows 11, das drauf ist steht zur Auswahl und Festplatte löschen, also Linux solo. Ich glaube es gab noch eine dritte Wahl und zu guter Letzt Freestyle, manuelle Partitionierung. Ziemlich sicher, dass ich den Festplatte-plattmachen-Knopf drücke, klar, aber es gibt noch weitere Entscheidungen, die ich treffen muss: Soll ich das System verschlüsseln? Braucht es eine Swap, eine Auslagerungspartition? Bei 32 GB Arbeitsspeicher?

Am alten PC, diesem hier, recherchiere ich. Der Abend kommt. Ich werde müde, mache Salat aus Gurke, Karotte, Zwiebel und Blattsalat. Wassen Tag ey! Viel PC, viel Zeit, die sich in Luft auflöst. Dazwischen Kettensägenkette geschärft für die Längsschnittsäge. Immer wieder Ansatz gemacht, was am PC zu schreiben. Nebenan am neuen PC ist das neue System immer noch im Status „installieren solo oder dual, mit Swap oder ohne, darf Windows 11 weiter leben?“.

Zwischen den Hins und Hers stecken geblieben. Keine klare Linie. Und über allem gaukelt die Bundestagswahl, die zum Glück nur aus zwei Informationskanälen auf mich eindrischt. In Form von Kurzbotschaften, Aufrufen, dies oder jenes zu wählen, Aufregern. Den Vogel schießt eine verlinkte Merz Wahlkampfabschlussrede ab, in der er hetzt hetzt hetzt, dieser garstige untaugliche Mensch. Das macht mich wütend. So wütend war ich seit Franz Josef Strauß nicht mehr. Insgeheim hoffe ich, es wird wie damals, 1988: Wir kommen aus dem Urlaub in Griechenland zurück. Vier Wochen ohne Zeitung, Radio, Informationen und das erste was wir im Autoradio hören, als wir wieder deutschen Funk haben, ist, Franz Josef Strauß ist tot. Freund A. jubelte laut, was mich erschreckte. Damals hatte ich Politik noch nicht so sehr auf dem Schirm. Und im Grunde war ich auch nie der Mitjubler oder derjenige, der aus freiem Herzen von selbst jubelte. Zu viele Unklarheiten, zu viele Möglichkeiten an Stimmung, die parallel in mir existieren, als dass ich von ganzem Herzen in eine einzige totale Stimmung geraten könnte.

Somit tauge ich auch nicht für einen totalen Krieg. Vielleicht tauge ich für die Türkismühle-Totale, die Infinit, die Acht :-)

Morgens radelte ich runter zu Detlev, zum Radhändler in der Birkensiedlung, um mir aus dem Müll zwei Rennradschläuche zu fischen, denn ich hatte mir überlegt, einen Brustgurt für Actioncams selbst zu bauen. Als Gurte würde ich Fahrradschläuche verwenden und Mastodonfreund DerEmil ermunterte mich, den Rest der Materialien doch auch aus Fahrradmüll zu machen. Hier seine Geschichte, zu der mein Projekt ihn inspierierte.

Den Samstagnachmittag verbrachte ich also damit, aus alten Reifen und Gummi und einem übrig gebliebenen Actionkamera-Clip einen Brustgurt zu bauen. Ist echt schick geworden. Dazwischen wohlgemerkt die Kettensäge und ich weiß nicht, vielleicht ist diese Zersiedelung zwischen den Dingen ja gar nicht so übel, vielleicht ist nur meine Einstellung dazu übel: Diese innere latente Gegenwehr, erst das Eine, statt das Andere zu erledigen und nicht zulassen zu wollen, dass gleichzeitig oder nahezu gleichzitig in mir ein ganz anderer Ablauf aktiv ist. Vielleicht funktioniere ich ja eher wie ein Quantencomputer unter den Fleischwesen, denn wie ein moderner 64 Bit Linearrechner und die Dinge laufen in mir nunmal alle nebeneinander und abgelenkt sein gehört bei mir eben zum Leben wie für andere die Konzentration auf etwas. Ich meine, mit dem Hirn ansich und dem Körper ansich läuft das ja auch oft ganz prima. Ich kann wunderbar an einem Text denken oder eine Idee ausformulieren, während ich mit dem Rechen Sägespäne auf Haufen reche und ich kann sogar wunderbar diesen Text hier schreiben, während nebenbei Kalkbrenner in Istanbul jaddelt.

Die Sehnsucht nach Ordnung steht meinem natürlichen Ich im Weg. Postuliere ich. Dadurch, dass ich mich mir selbst widersetze und diesen über die Jahrzehnte eingetrichterten Unsinn lebe, linear vorzugehen, statt Quantischkeit zuzulassen, bremst mich aus. Der Wille, an einem Punkt anzulangen und zu sagen, so isses gut, genau so soll es, bremst mich, stört die Abläufe, die auch gaaanz anders könnten, wenn ich nur nicht anders gelernt hätte, soundso ist es richtig.

Daran musste arbeiten, Herr Irgendlink. Das ist ne Waffe, diese Erkenntnis, dass es bei dir nunmal nicht so ist wie allgemein wohl üblich. Vermutlich? Oder etwa nicht? Im quantischen Dasein ist es auch so, dass der Widerspruch ansich gleichzeitig mehrere Zustände zulässt. Das das Eine, was dem Anderen eigentlich widerspricht, nicht das Schlechtere sein muss, sondern dass es auf einer hauchdünnen Scheibe obendrüber eine genau gleich tickende Version gibt, die nicht besser und nicht schlechter ist und untendrunter eine weitere Schicht mit einer weiteren Version ebendiesen ach und das führt jetzt doch etwas ins Hirnzerbrecherische.

Das die Dinge aus dem Nichts entstehen. Das sie im Entzweien erst Gestalt annehmen. Davon bin ich überzeugt. Ach gäbs kein Du noch Ich, es gäb nur Mensch.

Nungut. Der Prozess ist zu Ende gelaufen in meinem Hirn. Keine Ahnung, ob das jemand versteht. Ich schreibs ja auch nur, weil ich es schreibe. Lesen müssen es die Anderen, weil sie es lesen. Die Anderen können es auch genausogut nichtlesen … achja und ich hätte es auch nichtschreiben können, fällt mir gerade ein.

Aber dazu ist es jetzt zu spät.

Herzerhellend: Die vier jungen Menschen, die vorm Radelhändler standen voller Gepäck und sich Reifen und Felgen reparieren ließen. Auf dem Weg von Heidelberg seit anderthalb Tagen, wollen sie nach Brüssel radeln.

 

5 Antworten auf „Wie ein Quantencomputer unter den Fleischwesen“

  1. Was für ein genialer Text. Dein Hirn wäre vielleicht als dualgebootet denkbar? (Ich würde gern Ubuntu und Manjaro dualbooten.)

    Dein Text korrespondiert mit meinem ADHS-Hirn. Weg von Wertungen kommen, von so richtig, so falsch. Weiten den Blick auf das Tun, Lassen und Meiden.

    Danke für die Inspiration und dass du wieder bloggst.

  2. Denkfutter auch für mich! Großartiges!

    Da sind fünf Stellen, die ich sofort in meine Kladde schreiben würde als denkwürdige Zitate (jetzt hab ich in einem Browser ein Lesezeichen gesetzt in den Ordner „zitierwürdig”).

    Beispiel? „Die Sehnsucht nach Ordnung steht meinem natürlichen Ich im Weg.”

    1. Genau an diesem Satz bin ich auch hängengeblieben und ich frage mich, wie natürlich Sehnsucht ist und wie sehnsüchtig unsere Natur, also mal ganz generell – und dann aber auch in Bezug auf Ordnung. Was die Frage aufwirft, welche Ordnung je individuell oder gar kollektiv die jeweils Natürliche ist. Und woher die Sehnsucht nach ihr kommt.

      Ach, ich sagte es ja schon … dieser Text ist voller Inspiration.

      1. Danke Du Liebe. Das wirft jetzt neue Fragen auf zum Drumherum, also um das eigene Ich herum und nun kommt mir das Konzept des Langzeitwillens gegen den Kurzzeitwillen, den Impuls im Jetzt, in den Sinn, was aber eine andere, sehr traurige Geschichte ist, die ich schon immer mal schreiben wollte.

    2. Danke Lieber Emil. Das macht Mut, öffentlich zu arbeiten. Das war nämlich einer der Artikel, bei denen es auf der Kippe steht, ob sie öffentlich oder privat ins Blog kommen oder gar als Entwurf stehen bleiben. Ich glaube, so ein Lesezeichen „zitierwürdig“ täte mir auch gut.

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