Verdruss

Jaja, „Verdruss“ soll er heißen, der heutige Blogartikel, obschon ich guter Laune bin, obschon ich gestern Abend schlechter Laune war, weil ich mich den lieben langen gestrigen Tag in zwei Betriebssystemen auf zwei Rechnern herumgetrieben hatte, versucht hatte, Probleme zu lösen, scheiterte und im galoppierenden Scheitern gegen Abend mehr und mehr verdraß.

Die Nacht wusch den Verdruss zum Glück dahin. Mit den ersten Morgenstrahlen in eiskalter Bude erwacht, mich aus dem Bett geschält. Das Thermometer zeigte sechs Grad und am Arbeitsplatz waren es immerhin zwölf Grad in direkter Nachbarschaft zu den frischen Pepperonisämlingen. Die können so nie und nimmer etwas werden. Draußen vor der Tür zeigte das Thermometer minus zwei, was bedeutet, dass es im raureifigen Garten mindestens minus vier oder noch kälter ist, schnell wieder rein, Kaffee kochen, Feuer im Ofen schüren, da weiter machen wo gestern aufgehört mit dem einen der beiden verdrießlichen Rechner und naja, das Ding läuft doch, lässt sich nutzen, darfst es nur nicht runterfahren, Herr Irgendlink, sonst dauert es wieder eine halbe Stunde und drei brachiale Neustarts, bis es wieder da ist. Okay. Das Ding ist auch zehn Jahre alt. Es ist alles was ich habe …

… alles was ich habe klingt doof nach Mangel, was es, gemessen an „normalen“ Umständen sicher ist. Ich meine, die blöde Künstlerbude, in der ich existiere – oder „hause“, wie einst die Presse schrieb, ist ja auch nicht so wie sie normale Menschen als gut ansehen würden. Die letzten Winter denke ich immer öfter, ich halte das nicht mehr aus, dieses Jahr ist schluss und die Leute, die mich sommers besuchen können das dann gar nicht verstehen, sagen, „ach was für ein Paradies, ach wie schön …“ Doch davon soll gar nicht die Rede sein.

Dass es weiter geht und der Verdruss verflogen ist, davon wollte ich schreiben. Dass ich den Frühling spüre. Schräg steht die Sonne aus südost. Am Rechner kann ich zu dieser Stunde schon im T-Shirt arbeiten. Verwaltungszeug. Heute keine Probleme lösen, sondern netzwerken und kreatives Zeug; eine T-Shirt-Idee; bloß nicht versuchen, die maroden Betriebssysteme zu reparieren.

Im Kopf sehe ich die Analogien zum großen Ganzen. Wir sind falsch abgebogen und können nicht so einfach zurück oder können gar nicht zurück und müssen den Weg zu Ende gehen. Den Weg, von dem wir jahrelang glaubten, er wird immer weiter führen, von dem manche immer noch glauben, er wird immer weiter führen, von dem manch andere wissen, dass er endet, von dem es vielen egal ist, ob er weiterführt oder nicht, weil es vermeintlich der einzige ist. Und Umkehr ist keine Option.

Es ist zum Verdrießen.

Zehn Jahre her, dass ich mal überlegte, könntest dir ja beibringen, mit zehn Fingern zu schreiben, geht schneller und ich installierte Tipp10 auf dem Rechner und übte fleißig, obschon ich ja mit nur zwei Fingern, so wie jetzt in diesem Artikel auch, recht gut zurecht komme. Zudem ist das gesund für die Schultern, das Zweifingerschreiben, weil man ja die Arme immer heben muss und nicht so verkrampft. Wie so ein wirrhaariger beethoviger Dirigent. So rede ich mich gerne raus und vor zehn Jahren hackte ich eine ganze Weile mit den zehn und machte Fortschritte. Es war ein harter Weg zurück. An konstruktive, schnell gedachte Texte wie diesen hier, war nicht zu denken und ich verfing mich in einer Art lästiger Übungsschleife aus „asdf lol öl las“ usw. Beim Tastaturschreiben war ich ähnlich fatal abgebogen wie der moderne Kapitalismus beim Umweltschutz, gehe ich hart mit mir selbst ins Gericht … jaja, das ist doch die Analogie zum großen Ganzen: Herrn Irgendlinks kläglich gescheiterter Versuch, sich das Zehnfingerschreiben beizubringen ist der petrolköpfige innere Friedrich Merz, der auf sich festklebende Leute und andere, vermeintlich schwache Krakeelende hassredet.

Nungut. Die große gemeine, vermuskte Weltenlage ist nicht gleichzusetzen mit Zehnfingerschreiben. Und überhaupt ist Zweifingerschreiben doch nur das Falschabbiegen des kleinen Mannes.

Ich komme doch zu recht.

Hätte ich bloß nicht fürs mal wieder unterwegs Bloggen diese schicke, klappbare Bluetoothtastatur gekauft und ohnein, wäre die bloß nicht so elend zwei geteilt, dass man mit dem Zweifingerschreiben eigentlich damit nix anfangen kann. Herrjeh.

Ich schreibe ja zum Glück wenig die letzten Tage, was soll ich sagen, das Ding, also die Tastatur, fühlt sich eigentlich gut an, entfaltet ihre ganze Kraft aber erst, wenn man das Zehnfingersystem beherrscht.

Nun stehe ich hier also am Ende einer Sackgasse der literarisch produzierenden Evolution mit meinen zwei emsigen Fingerlein und weiß, wie falsch Abbiegen geht. Wie natürlich es ist. Wie fatal. Wie fatalistisch man sein muss, das zu akzeptieren. Ja. Tue ich. Oder ne, vielleicht gibt es in diesem speziellen Fall ja doch einen Weg zurück?

Hab Tipp10 wieder installiert und es fällt mir leicht, die Übungen durchzuführen. Erinnere mich an die Aktion vor zehn Jahren … Disziplin, Junge, Disziplin brauchts, um dich da reinzufuchsen.

Äh, warte mal, wo wollte ich eigentlich hin mit dem Artikel? Verdruss. Achja. das war das Thema, aber das ist vom Tisch für die nächsten Stunden.

Hacke dies mit zwei Fingern auf der Tastatur des uralten angezählten Laptops und lege erst einmal Yeah Yeah Yeahs „Don’t Dispair‘ auf (was ungefähr heißt Verdrieße nicht oder verzweifle nicht).

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