Marlenheim – mein Weg ist immer mein Weg

Es ist warm. Na ja, wärmer als gestern. Ein paar Grad, die Komfort von Durchkommen unterscheiden. Linksab rauscht ein Werk. Hinter mir die Straße. Die Kirchuhr schlägt die ganze Nacht. Halb drei. Der Tag war ziemlich verquer. Ich irrte umher, teils wegen Baustellen, teils wegen eigener Schusseligkeit, teils weil mir der Weg gerade gefiel und ich ihn weiter fahren wollte.
Zwar war ich schon in dieser Gegend unterwegs, mehrfach, nämlich vor ein paar Jahren und schon einmal vor etlichen Jahren, als es noch keine Radrouten gab, und vielleicht ist genau das das Problem: Ortskenntnis. Oder vermeintliche. Kenntnis macht unvorsichtg, schludrig. Allzu leichtfüßig sagst du dir dann, ja ja, kenn ich alles, war ich schon, ist mir bekannt, diese Eisenbahnbrücke. Was, wenn ich vor Jahren, als ich die Brücke erstmals sah, auch schon verirrt war und nun denke, das ist mein Weg? Ich verirre jedenfalls mich in der Gegend um Hesse. Dort wo der Rhein-Marne-Kanal seinen höchsten Punkt erreicht und der Radweg nicht mehr konsequent auf dem alten Treidelpfad verläuft.

Aber wozu diskutieren? Mein Weg ist doch immer mein Weg. Egal, ob mit oder ohne Verirrungen.

Die gestrige Strecke führte weiter die Saar hinauf, respektive den strengen Saarkohlekanal bis nach Chapelle-Diane, einem kleinen Ort, ja, sagen wir mitten im Himmel. Diese Weite da oben! Dabei ist es gar nicht so hoch gelegen. Schätze zwei- dreihundert Höhenmeter. Aber. Kahle Felder, weite Felder, durchsetzt mit Forst und dann der Kanal, geschwungenes, betonenes Etwas mit ruhigen Wassern. Wo die Saar den Himmel küsst, titele ich. In Diane-Chapelle, was eigentlich nur ein Einstraßen-Durchfahrtsort ist, stehen verteilt alte Dekoräder, bunt bemalt mit Blumenampeln.

Dort oben verliert sich auch der strenge Kanalradweg. Noch einige Kilometer führt die Trasse auf den alten Treidelpfaden bis Hesse und, das weiß ich von früher, verliert sie sich. Weil der Radweg nicht durch die Kanaltunnels geführt wird, muss der Radler klettern, schwitzen, berghoch durch die Felder und Wälder über den Tunneln. Doch so weit kommt es nicht, denn in Hesse befinde ich mich plötzlich auf einem Bahntrassenradweg. Alte Forstbahn, lese ich auf einem Schild. Das klingt gemütlich. Erst in Sitifort bemerke ich, dass ich mich verirrt habe und es werden ein paar Höhenmeter mehr, bis ich in Arzviller wieder auf Kurs bin. Dort wieder bombastische Strecke entlang der alten Kanalroute, die über Schleussen in sehr kurzen Abständen und einen Tunnel durch ein felsiges Tal führt. Die neue Kanalroute ist nicht weniger spektakulär, führt sie doch bis zu einem Schiffshebewerk, einer Art gigantischer Badewanne, die an Tauen mit viel Technik und Klügelei den Berg hinauf gezogen wird. Da passen viel mehr Schiffe rein, als in eine Schleuse.

Eisiger Ostwind. Ich durchfriere beim Abwärtsrollen, ziehe alles an, was ich dabei habe. Schal, Handschuhe. Ruhe in Lützelburg eine Weile auf einer zehn Meter langen Sitzbank, die mit einem Windfang umgeben ist. Neben mir ein stoischer Franzose, der zum Abschied ‚Tschüss‘ sagt. Plakatierendes Mädchen, Spaziergänger, Dorftreiben.

Ob ich im Proximarkt gleich gegenüber meiner Sitzbank einkaufen soll? Da es bis Saverne nur zehn Kilometer sind und erst fünf Uhr, und überhaupt, Wasselonne nicht weit ist, wo auch ein Laden verzeichnet ist, radele ich weiter. Böser Fehler. Nach Saverne komme ich gar nicht rein, führt der Radweg direkt am Ortsrand durch ruhiges Wohngebiet aufwärts, egal, Wasselonne ist ja nah. Aber ich habe die Rechnung ohne das Höhenprofil gemacht. Ächtz! Imerhin wärmt der Anstieg. Wunderbare Lagerplätze rechts und links nahe Marmoutier. So schade, dass ich noch einkaufen muss. Nein will. Gegen halb acht erreiche ich endlich den Laden in Wasselonne, einen Carreour Express. Bis acht offen. An der Kasse scherzt die Kassiererin mit einer Kundin etwas despektierlich über einen alten Zausel, der unendlich langsam unendlich viel Kleingeld klimpern lässt. Mühe hat, zu bezahlen. Ein Zwanzigcent fällt ihm runter, rollt in Zeitlupe unters Regal. Für immer weg. Von wegen Express, unken die Damen auf französisch und schmunzeln mir zu.

Stockdunkel. Ich durchirre Wasselonne, was wie alle Städtchen der Gegend unheimlih herzig ist, komme zum Radweg zurück, eine alte Bahntrasse und muss noch einige Kilometer nach einer geeigneten Zeltwiese suchen. Im Dunkeln ist schwer ausmachen, ob mein Platz etwas taugt, dennoch, Glück gehabt, finde ich nahe eines Fischteichs ein Wieschen, das nicht zu nahe der stark befahrenen Straße liegt.

Da ich den Brenner des Trangias daheim vergessen habe, baue ich aus einer leeren Bierdose einen Ersatz. Er funktioniert, ist aber mit Vorsicht zu genießen (Sicherheit).

Zeltaufbau im Dunkeln, zehn Minuten, bis zur fertigen Einrichtung; mit Kocher an und Essen kochen dauert es 35 Minuten. Ich bin wieder im Trott, wenn auch müde und ein bisschen gestresst.

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