Bitterböser Ostwind macht das Leben kalt. Zudem zerrt er dermaßen am Zelt, dass an Nachtschlaf ‚en Bloc‘ nicht zu denken ist. Von Nachtschlaf konnte ich in der vorgestrigen Nacht nur träumen – haha. Erwache gerädert gegen fünf halb sechs. Die Wetterapp prognostiziert für die Gegend um Bärnau an der Waldnaab Gewitter ab dem späten Nachmittag. Wind mit zweistelligen Werten. Ich weiß übrigens nicht, welche Einheit die Wetterapp für die Windwerte nutzt. Meter pro Sekunde, Kilometer pro Stunde, sonst irgendwas pro etwas anderem? Zum Ausrechnen bin ich zu faul. 19 Etwasse pro Etwas oder höher ist jedenfalls aus radlerischer Sicht schon recht viel. Macht das Radeln nur bei Rückenwind erträglich und bei allen anderen Werten hat man ein Dauersausen im Ohr.
Ungefrühstückt breche ich auf und kurbele erst einmal vier Kilometer bergauf, bis mir warm wird. Noch so ein Manko des Winds. Er kühlt dich aus.
Der gestrige siebte Reisetag zeigt mir deutlich eine Grenzen, bzw. meinem Körper. Der Geist hat es noch nicht so ganz begriffen und treibt die Kunstbübchenmaschinerie an. Ein Ruhetag wäre nicht schlecht. Es ist jedoch so, dass dieses Projekt, um Bayern zu radeln, nun schon den dritten Anlauf hat. Nach 2018 und 2019. Noch Anfang des Jahres hatte ich das Projekt für tot erklärt, konnte mir nicht vorstellen, je wieder einzusteigen in die Tour, doch nun bin ich höchst zufrieden, dass ich es doch noch einmal angegangen bin. Der weite Weg von der Pfalz per Zug. Ein Graus. Der ‚Zipfel‘ zum Königsee bei bestem Hochsommerwetter, eine anstrengende Radlerlust. Ich bin froh, dass ich die Scharte des ausgeklammerten ‚Zipfels‘ die 2019 wegen Mieswetters entstand, noch auswetzen konnte.
Und nun wieder voll auf Kurs. Ich treibe mich deshalb so an, weil ich ahne, dass ich das Projekt nicht zu Ende bringen würde, wenn ich noch einmal unterbrechen müsste. Bis vierten Juni habe ich Zeit. Bin nun wieder voll in meinem alten Tourplan (Link), habe noch zehn oder zwölf Tage zu radeln bis Ochsenfurt und Osterburken, wo ich die Runde mit einem S1-Beam, der längsten S-Bahnlinie Deutschlands, beenden will. Hoffentlich rauschen die S-Bahnen noch wie 2019 ohne Umstieg durch bis Homburg/Saar.
Wie auch immer. Ich stehe in einem Dilemma, bin guter Dinge zugleich, da ich noch nicht in Zeitnot bin, drücke dennoch auf die Tube und halte mich hart an der Kandarre mit schreiben. Denn das Projekt ist ja nicht nur eitel Radelschein, sondern eine Einheit aus Körper, Geist, Kunst, sich treiben lassen und dem zu bezwingenden Weg.
Der Weg stellt sich heraus als derzeit Bayerns steilster Fernradweg, recherchiere ich gestern auf einer Webseite. Mit 7000 Höhenmetern übertrifft das etwa 350 Kilometer lange Grüne Dach noch den berühmten Radweg Bodensee-Königsee, lese ich. Es gibt organisierte Touren von Hotel zu Hotel für nur drei-, vierhundert Euro. Und ich Trottel radele mit dem Biobike ohne Motor. Für ein paar Dollar mehr hätte ich das E-Bike nehmen können. Scherz beiseite. Natürlich muss ich meinen Weg gehen. Und der Künstler muss sich der Mittel bedienen, die ihm gerade zur Verfügung stehen, statt auf Idealbedingungen zu warten. Dann wird es nichts.
Drücke also auf die Tube bei gleichzeitiger Schreibdisziplin. Gestern musste ich mich zwingen, auf einem Bänkchen hockend in einem kleinen Weiler, eine Stunde zu texten. Da kommt der Profi in mir durch, der schon zu oft erlebt hat, dass ein Blogbeitrag, der das Tagesgeschehen erzählen soll, nur dann geschrieben wird, wenn man sich auch hin setzt und dies tut. Komische Formulierung. Egal. Im Nacken sitzen mir die begrenzte Zeit für die Tour. Die Unkalkulierbarkeit des Wegs und das Wetter. Wobei ich kaum noch Vertrauen habe in Wettervorhersagen, da sie in diesem unterschwellig reißerischen Ton der Vermarktung verfasst sind und somit auch bis zu einem gewissen Grad hysterisierend, statt informierend wirken.
Nur wenige Kilometer weiter nördlich meines Nachtplatzes lässt der Wind eigenartigerweise nach, entwickelt sich der Tag, komme ich voran, auch wenn es weh tut. Immer wieder auf und ab und die Aufs sind in diesem grunderschöpften Zustand kaum noch zu ertragen. Schon kleinste Steigungen zwingen mich in die unteren Gänge. Auf einem schnurgeraden Waldweg keuche ich Richtung Arzberg, eine grüne Schlucht zwischen Fichten oder Tannen, auf jeden Fall sehr dominanten hohen Nadelbäumen, die allenfalls ein paar Ebereschen, einige Krüppelbuchen und altersschwache Birrken unter sich dulden. Der Weg ist steil. Ich messe nicht. Ein Kilometer? Es gibt nur noch den ersten Gang. Schau nicht nach vorne, sage ich mir immer wieder und ertappe mich, es doch zu tun. Schau nicht nach unten auf den Tacho, sage ich mir und tue es doch ab und zu. Am besten anzuschauen ist ein Punkt über dem Lenker auf ein paar Meter unmittelbar bevorstehender Waldwegstücke. Kiesel zählen, die Form des Schotters bestimmen. Oktagone, Hexagone und Fraktale, bloß kein Horizont, bloß kein Tacho.
Arzberg liegt an einem Fluß. Der Radweg folgt dem Fluss. Wie der Fluss heißt, muss ich noch recherchieren. Ich bin froh, dass er da ist. Vielleicht Eger, vielleicht auch nicht. Komme bis Hohenberg an der Eger, stets in Nähe der tschechichen Grenze. Unendlich müde erreiche ich eine Quelle namens Charlottenquelle, aus der sulfatiertes oder vereisentes Wasser sprudelt, leicht kohlensäurig sprudelnd. Das Brunnebecken ist rostrot. Vier Kinder trinken und bespritzen sich mit dem Wasser. Ich fülle die Flaschen, rauf nach Hohenberg le Nachmittagsstill. Die Burg ist wegen Baustelle nicht zu besichtigen. Also weiter auf dem ‚Grünen Dach‘. Jenseits der Stadt schlafe ich auf einer Bank ein. Erwache, die Turmuhr schlägt sechs, will weiter. Regen droht. Ich bin sooo müde. radele ein paarhundert Meter bis der Radweg zu steigen beginnt, nicht viel, besinne mich, kehre um und baue das Zelt auf einem Holzlagerplatz auf direkt neben einem großen offenen Schuppen. Der Körper hat gesprochen. Und die Vernunft ist sich mit ihm eing: sollten die prognostizierten Gewitter in der Nacht kommen, kann ich vom Zelt in den Schuppen umziehen, falls es gar zu arg wird.
„Für ein paar Dollar mehr hätte ich das E-Bike nehmen können.“
Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden, lieber Juergen: hast Du ein E-Bike, und wenn ja, welches?
Mary hat mittlerweile eins [https://wp.me/p4uPk8-53W] und ich habe eines in Aussicht. Ich hoffe, dass ich es vor unserer grossen Tour, ab 8. Juli, bis hinauf nach Vermont kurz vor der kanadischen Grenze, bekommen werde, denn wir haben einige Radtouren [fuer uns natuerlich nur kurze] eingeplant.
Ich hab auch eins, könnte aber die Stromversorgung unterwegs nicht garantieren. Leeren Akkus wäre das dann Ballast. Ich drücke die Daumen, dassDeines noch rechtzeitig klappt.
Das mit der Stromversorgung kann natuerlich – wie bei Dir – ein Problem werden. Da wir aber keine Langstreckenradler sind und ausserdem nicht „inder freien Prairie“ [heisst hierzulande „in the boonies“] uebernachten ist das fuer uns kein Problem.
Was meins angeht: es koennte klappen, dass ich eines vor der Tour bekommen kann, dann aber in Schwarz, was mir weniger gefaellt. Nach der Tour koennte ich Eines in meiner Wunschfarbe, Blau, bekommen. Jetzt bin ich ganz hin und her gerissen, was machen soll, falls man mich benachrichtigt, dass ich das Schwarze noch rechtzeitig vor der Tour.abholen kann.
Ich glaube, im Normalfall mit täglicher Hotel-Anbindung ist das kein Problem, bzw. mit Auto ists womöglich auch machbar, über die Lichtmaschine zu laden.
Mit unserem Truck koennten wir die Batterien von Ebikes wohl laden. Wir haben zwei „normale“ Steckdosen mit 110 Volt und 400 Watt.
Das ist natürlich komfortabel.
Der Truck ist wirklich komfortabel, auch in anderer Hinsicht: die insgesamt ueber 3000 Kilometer nach hier [Middlebury/Vermont] waren gar nicht anstrengend.Wir haben sie allerdings in „machbare“ Etappen aufgeteilt und waren insgesamt 5 Tage dafuer unterwegs.
Liebe Gruesse,
Pit
P.S.: Wir haben uebrigens keines unserer Raeder mitgenommen, sondern leihen vor Ort. Gestern waren wir hier auf zwei geliehenen E-Bikes unterwegs, und es hat Spass gemacht.