Vom Wert der Gurke

Glaub ja nicht, dass man die Gurke freiwillig kauft. Es muss eine galaktische Gurke sein, ein längliches, grünes, widernatürlich gerades Etwas beleuchtet vom schönsten Licht der Welt, präsentiert im bestangerichteten Gemüsepräsentationsregal überhaupt … so taumele ich durch den nicht gerade billigsten Lebensmittelladen der Stadt und alle Angestellten grüßen mich lächelnd als wäre ich der einzige Kunde. Die Bauchpinselei beginnt schon in der allesklinisch-reinigenden zweistufigen Einlassschleuse zwischen den beiden Schiebetüren, wo man Grillwaren aller Art feilbietet; auch eine Palette Streusalz wartet auf den Abverkauf und die Preisaktionsschilder blecken rot, billig, billig, billig, jetzt zugreifen, das kommt nie wieder, ganz ignorierend, dass die Vorfrühlingssonne längst das Regime übernommen hat. Ich brauche kein Streusalz, keine Gurke, kein Grillzeugs, hangele mich vorbei am Feinkostregal und den vegetarischen Produkten durch ein Spalier der freundlichsten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der ganzen Stadt im Schönglanzlädchen.

Draußen auf dem Parkplatz leierte ein Leierkastenmann, unermüdlich Krubel drehend, ein nostalgisches Lied. Die zwanziger Jahre Berlin-Athmosphäre gelingt teilweise, ein lächelnder Kerl mit Hut und schwarzem Anzug. Ich legte einen Euro in das Kässchen auf der Orgel und er zückte zum Dank seinen Hut.

Niemand kauft freiwillig Gurken. Niemand gibt freiwillig dem Leierkastenmann einen Euro, niemand kauft freiwillig einen Becher Joghurt, ein Haus, ein Motorrad, einen Ehering, Schuhe oder Kontaktkleber.

Gerade habe ich die Arbeit am Onlineshop für meine Kunstwerke abgeschlossen und durchstreife die Stadt nach Ideen und mir wird klar, niemand kauft freiwillig Kunst. Wir alle müssen überzeugt werden, um ein Produkt zu kaufen. Der Schönelebensmittelladen stopft regelmäßig Prospekte in die Briefkästen der Stadt, in denen die Waren in bestem Licht mit den reduziertesten unschlagbarsten Preisen angepriesen werden. Da muss man doch zugreifen, wenn die Gruke nur noch 99 Cent kostet. Was man damit alles anstellen kann, mit so einer Gurke, einer Zwiebel und einem riesigen Becher Joghurt! Greif zu, Mann.

Ich kaufe eine Tube Kontaktkleber. Vier Brötchen, weil sie zu viert je fünf Cent billiger sind als einzeln. Eigentlich hätte eins gereicht … hätte ich die Gurke vielleicht doch? Zu spät. Raus aus dem Laden. Noch einmal vorbei am lächelnden Leierkastenmann, auf in die Fußgängerzone. Dort liegen die besten Ideen.

Nun, da der Online-Shop steht und ich jeden Tag – selbst auferlegt – ein Kunstwerk einstelle, steht eigentlich nichts mehr im Weg, mal wieder auszustellen. In ‚echt‘, also nicht wie die letzten Jahre rein digital in Blogs, wo man sowieso nichts verkauft, sondern mit echten anfassbaren und aufhängbaren Kunstwerken. Am Besten mitten in der Fußgängerzone. In einem leerstehenden Laden, den man mir bitteschön kostenlos überlässt für ein paar Wochen. Dieses selbstherrliche Gefühl im Gepäck, als Künstler stehe man jenseits jeglichen trivialen Geschäftsgebarens.  Da die halbe Stadt leer steht, flaniere ich vorbei an den Läden der Fußgängerzone und beäuge die Schaufenster des Leerstands, in denen groß die Handynummern der Maklerfirmen hängen. Die Fußgängerzone der kleinen Stadt ist nur einen halben Kilometer lang. Man ist schnell vorbei an den besten Geschäftslagen und für meine Ausstellung kommt ja wohl nur die erste Wahl in Frage, ist doch klar. Da zum Beispiel, wo früher der Wollladen drin war? Oder in dem ehemaligen Gehäuse meiner Hausbank? Vielleicht beim riesigen, pleite gegangenen Fotoladen, der bis zuletzt auf analog setzte? Oder beim Gothic-Laden, dessen sterbliche Hülle noch mit pechschwarzen Wänden aufwartet? Wie Einsiedlerkrebse des Konsums migrieren die Läden der Stadt, verlassen ihre alten Gehäuse, ziehen in neue, den Umständen angepasste, manchmal größer, manchmal kleiner, manchmal in die B-Zone der Seitenstraßen und manchmal verlassen die Einsiedlerkrebse des Konsums ihr Gehäuse für immer und gehen ins Nivana der Insolvenz.

Ein seltenes Bild. Vor dem alten Wollladen versucht ein Makler einem potentiellen Kunden den Laden schmackhaft zu machen. Ich spiele Mäuschen, schnappe den Mietpreis auf. Schmerz. Und auch die Maklergebühr. Der Kunde nickt, krault sein Kinn, grübelt, will dies und das wissen. Die Gurke, die einst Wollladen war, steht nun wirklich nicht im besten Licht und der Laden nebenan steht auch noch leer. Der Makler kämpft, schwitzt, lächelt, bauchpinselt.

Ich gehe weiter auf der Suche nach Ideen. Wäre das toll, wenn ich ein großes, leeres Schaufenster in bester A-Lage der Fußgängerzone ergattern könnte für eine Ausstellung … oder gleich einen physisch vorhandenen Shop eröffnen, statt nur online … Ich grübele, reibe mir das Kinn, frage das Universum, größter Makler aller Zeiten, will dies und das wissen … derweil lacht die Frühlingssonne und vorm ältesten Haus der Stadt steht eine lebende Statue. Der Mann ist nicht besonders geschickt. Ich glaube, er ist der vom letzten Jahr, nur dass er diese Saison golden glänzt, statt weiß zu schimmern. Ich werfe ihm ein paar Münzen in den Hut und er verneigt sich. Weiter weiter weiter, vorbei am Weißbart, den man besonders oft anfeindet, weil er so stinkt. Die Leute haben Angst und ekeln sich vor diesem Berber im alten Stil. Dabei bettelt er gar nicht. Nie hält er die Hand auf, nirgends ein Hut oder ein Schälchen. Er ist einfach nur präsent wie ein wandelnder Leuchtturm und durchstreift die Fußgängerzone. Von morgens bis abends. Manchmal sitzt er auf der Bank vorm Buchladen und liest die Frankfurter Allgemeine, die er sich aus dem Zeitungsständer ausleiht. Deshalb wird er des Öfteren im Laden angezeigt und dann stehen die Leutchen vor der Chefin des Buchladens und bringen den Skandal an die Öffentlichkeit und die Buchhändlerin entgegnet ihnen, das darf er. Manchmal empören sich diese ganz normalen, im Vergleich stinkreichen, wohlversorgten Sorgenlosen, ha, dann nehme ich mir nächstes Mal auch so eine Zeitung ohne zu zahlen und, Gänsefüßchen mit den Fingern markierend, ‚leihe‘ sie mir nur aus und die Buchhändlerin sagt, nein, das erlaube ich ihnen nicht, aber wenn sie einmal so bedürftig und arm sind wie dieser Mann, dann können wir gerne noch einmal darüber reden.

Das Honorar des Maklers geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Ganz schön happig klang das in meinen Künstlermorgenblütenöhrchen, aber was weiß ich schon von den Verdiensten der Anderen, vom Einkommen eines Marktleiters im schönsten Lebensmittelladen der Stadt, vom Lohn seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vom Umsatz, den die große Tageszeitung alltäglich mit ihrem Printprodukt einfährt oder davon, wieviele Leute sich trauen, zum weißbärtigen Bettler zu gehen und ihm eine Münze in die Hand zu drücken. Jessas und dann wäre da noch der Leierkastenmann und die zappelnde, goldene Statue. Nichts weiß ich. Alles vermute ich. Oder könnte ich vermuten. Könnte an einer Art Landkarte vermeintlicher Verdienste aller mich Umgebenden arbeiten und nach und nach ein Bild zementieren, nach dem ich meinen Seelenverkäufer aus Neid und Missgunst navigiere. So muss sich das im Körper und Geist der Neidleute anfühlen, die sich wegen des kostenlosen Verleihens der FAZ im Buchladen beschweren. Die wissen ganz genau, wer wieviel verdient und ob er es verdient, die kennen den exakten Wert eines jeden Menschen, dem sie begegnen, wissen wie hart er arbeitet und wie sehr er faulenzt und ich bin sicher, die kennen auch den Wert der Gurke, hey, 99 Cent, ein Schnäppchen, greif zu.

Ich weiß doch ganz genau wie die ticken.

Dieser Blogartikel wurde für Dich finanziert vom schönsten und hellst erleuchteten Onlineshop des Universums – Jeden Tag ein Kunstwerk

 

4 Antworten auf „Vom Wert der Gurke“

  1. Oh ja, so ein Leerstandsladen für Ausstellungen, daran habe ich auch schon hier und da gedacht, aber sie bleiben leer und ich ohne Wände für die Kunst – schon schade.
    Ein sehr feiner Text, lieber Jürgen!!!
    Herzliche Grüße
    Ulli

  2. Frag mal beim Rathaus, manchmal sind die froh, wenn in einem leerstehenden Ladenlokal vorübergehend etwas Leben einzieht.

    Vorgestern im REWE: „5 Brötchen nach Wahl 1 Euro!“ Ich kaufte drei und bezahlte 1,89. Was ist das für ein Anreiz? Fünf zu kaufen und zwei wegzuwerfen? Und der Berber muss sich eine Zeitung leihen.

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