Ich schrieb in etwa: Acht Quadratmeter. Seit gut anderthalb Wochen ist das unser Heim. Alles, was das Herz begehrt haben wir zwischen den Doppelwänden des Zelts untergbracht. Schlaf- und Wohnzimmer und im Entré der geräumigen Apsis könnte man sogar Gäste empfangen.
Noch vor 20.000 Jahren lag an der Stelle eine drei Kilometer dicke Eisschicht, die mit 3.000 Tonnen pro Quadratmeter den Fels presste. Als die Eiszeit vorüber war und die Gletscher geschmolzen waren, begann sich das Land langsam zu heben. Und tut es noch immer. Wenn man einen LKW senkrecht stellen würde wie zum Beispiel das Kunstwerk mit den Bussen in Dresden, würden seine vierzig Tonnen just da, wo jetzt unser Zelt steht, Druck ausüben. 600 Stück müsste man übereinander Stapeln, um die 24000 Tonnen Gewicht zu simulieren (in der Annahme, ein LKW sei zehn Meter lang also sechs Kilometer hoch).
Seit vorgestern steht unser Zelt in dem weitläufigen Kiefernwäldchen des Campingplatzes nahe Norrdalsviken auf der Halbinsel Mjällom mitten im Welterbe Hohe Küste. Über die blankgewetzten Wurzeln der Kiefern haben wir das Auto bis zu einer Picknickbank manövriert. Gleich daneben eine Feuerstelle. Ein Idyll. Der Platz hat kaum Gäste. Wir haben ein eigenes WC und die Küche mit den vier Herden gehört uns quasi alleine, da die wenigen anderen Gäste autark in ihren Wohnwagen und Wohnmobilen leben.
Auf Mjällom befindet sich die größte Geröllhalde der hohen Küste, lese ich auf einer Infotafel. Seit viertausend Jahren hebt sich das Land. Jährlich entstehen neue Inseln. Eine Fläche von 150 Fußballfeldern hebt sich pro Jahr aus dem Meer, lese ich in einem Prospekt.
Mit verantwortlich, dass wir überhaupt hier sind, ist der Slåttdalsskrevan auf einer Halbinsel weiter nördlich im Naturreservat Skulekogen. In einer gestrigen Wanderung erkundeten wir das Kleinod.
Der Skuleskogen ist ideal geeignet für eine Privatisierung, falls Schweden einmal in eine ähnlich missliche Lage gelangen sollte wie Griechenland, twitterte ich.
Das etwa 20 Kilometer durchmessende, unzugängliche Stück felsige Natur hat nur drei Zugänge, die von kleinen Parkplätzen aus erreicht werden können: Nord, West und Süd. Von Osten schützt das Meer. Man müsste nur noch Kassenhäuschen aufstellen.
Aber noch kostet es keinen Eintritt (gegen Eintritt zum Wohle der Natur und der Gemeinschaft hätte ich auch nichts einzuwenden – bei Privatisierung und Raubkapitalisierung hingegen schon). Einen guten Kilometer wandert man durch dichten Kiefernwald auf Stegen aus fünfzig Zentimeter breiten Bretten dicht überm federnden, oft matschigen Boden. Vermutlich wird das Baumaterial für die Stege, die immer wieder auf den etwa drei Kilometern bis zum Slåttdalsskrevan zum Einsatz kommen, mit Hubschraubern eingeflogen und dann verlegt.
Geröllhalden mit runden, von Flechten bewachsenen Felsen wechseln mit massiven Platten und dichtem Wald ab. Das Gebiet hat alles, was das Wanderndenherz begehrt. Schroff trifft Soft und vermählt sich.
Der Slåttdalsskrevan ist das Filetstück des Naturreservats. Die Schlucht ist etwa hundert Meter lang, etwa zehn Meter breit. An den Quadern, die unten liegen, lässt sich erahnen, dass hin und wieder eine der senkrechten Platten vom Frost abgesprengt wird und hinabstürzt. Mit mulmigem Gefühl durchwandern wir das Kleinod. An manchen Stellen liegt noch Schnee. Oben auf den vielleicht dreißig Meter hohen Klippen stehen vereinzelt Fichten. Über die Nordroute klettern wir hinauf zum etwa 250 Meter hohen Ståttdalsberget-Plateau. Überall kreuchen zu Krüppeln geknechtet Fichten mit meterlangen Wurzeln, die über den Fels laufen, um sich irgendwo in einer Ritze zu vertiefen und dem Baum Halt zu geben.
Nach Norden ein Blick auf die vielen kleinen Inseln. Eine davon scheint noch ganz frisch. Winzig, weiß, ohne jeglichen Bewuchs. Wie sie wohl in zehn, fünfzehn, oder hundert Jahren aussieht, frage ich? Wir werden es nicht erfahren, sagt Frau SoSo, … Obwohl, vielleicht doch, wir können uns ja die Satellitenbilder anschauen, wenn wir dereinst, im Altersheim, perfekt zu einem kapitalisierten menschlich geriatrischen Gut geworden sind.
Schnitt.
Völlig verstümmelt, diese Geschichte. Ich schreibe sie zum zweiten Mal, nachdem ich bei einem dummen Copy & Paste Fahler die ursprüngliche Geschichte mit dem Buchstaben G überschrieben habe. Sitze im kühlen Wind im Halbschatten zwischen den Kiefern, weiß, was ich gerade verloren habe: jede Menge skurrlier Wortschöpfungen, die in Reihe geschaltet wunderbare Sätze ergeben haben. Von inseligen Inselchen war die Rede und ich glaube auch von landbrückigen Landbrücken, über die man hinaus gelangt an feinsandige Strände, an denen sich kleine Biwackhütten befinden. Das ganze war garniert mit einem Vergleich des Eisgletschers vor 20.000 Jahren und der Art wie wir leben, wie wir unsere Gesellschaft formen, wie sie tickt. Eigentlich eine recht simple Sache, die ich da beschrieb, aber in der direkten Poesie, die man nunmal nur einmal schafft, war der Blogartikel vemutlich ein ziemlich guter.
G wie gut.
Nach dem Aufschrei, ohneiiiin, ich hab den Blogartikel überschrieben, war die Enttäuschung erst einmal groß, aber es war auch klar, dass die Eckpfeiler immer noch da sind: Tonnenlast auf Zeltplatzflächengröße als bildlicher Vergleich mit den LKW, Seitenhieb zum Denkmal in Dresen, Schwenk vom wahren Geltscher zur selbstgebastelten Gletschermaschine des Kapitalismus, der eine Welt in Form von Scheinwerten erschafft, die tatsächlich und in echt auch funktioniert, ein kleines Wunder eigentlich, mit einem Seitenhieb darauf, dass eben dieses Raubtier namens Kapitalismus und Privatisierung, dessen Teil wir alle kollektiv auch sind, tonnenschwer hobelnd über uns hinwegfährt und nichts als menschliches Geröll hinterlässt und in 20.000 Jahren genauso passée sein wird wie der echte Gletscher. Mit finalem Schwenk ins Altersheim – ich habe versucht, den letzten Satz genauso wieder hinzuriegen, es ist mir nicht gelungen. Es endet jedenfalls damit, dass wir Menschen uns gegenseitig zu Melkvieh machen und bis zur Unkenntlichkeit verprodukten und es letzten Endes irgendwann kein einziges unbezahltes Ding mehr gibt, nichts mehr, dem der Mensch keinen Wert in Dollar oder Euro entgegenzusetzen wüsste. Selbst Streicheln, Küssen und Atmen würde irgendwann gerechnet und verhandelt werden … nein, das mit dem Streicheln, Küssen nd Atmen stand nicht in dem Artikel, denn dies ist ein ganz neuer Artikel, zwar nicht so brilliant wie der nativ geflossene erste, aber er mausert sich, seit ich aufgegeben habe, den ersten Artikel noch einmal möglichst genauso hinzukriegen wie einst gelöscht.