Was für ein Frühstück. Berge von Wurst, Käse und Marmelade. Ganze Kanne Kaffee. Als einziger Gast im Posthotel in Arzfeld werde ich richtig verwöhnt. Was auch bitter nötig ist für die bevorstehende Etappe. Von Arzfeld nach Pronsfeld sind es nur fünfzehn Kilometer über die alte Bahntrasse. Aber ich möchte einen Abstecher zum kleinsten Museum von Rheinland-Pfalz machen, zur „wArtehalle“ in Lützkampen-Welchenhausen. Sechzehn Kilometer querab vom Bahnradweg. Problem: sechzehn Kilometer Eifelradeln, das weiß ich von einer Tour vor dreißig Jahren, ist kein Zuckerschlecken. Nach nur fünf Kilometern muss ich dort wo der Weg vom Bahnradweg wegführt in Üttfeld eine Entscheidung treffen. Mittlerweile erhalte ich aus der Tweetosphäre Information, dass das Höhenprofil sich sehen lassen kann: 290 Meter rauf und runter bis zum Museum. Im ehemaligen Bahnhofsgelände von Üttfeld ist jetzt ein Raiffeisenmarkt. Autos fahren ein und aus. Bushaltestelle zur belgischen Grenze? Fehlanzeige. Das wäre eine Lösung, per Bus rüberfahren. Aber es gibt keine Busse, erzählt mir eine Frau. Ich beschließe eine Art Gottesurteil: wenn mich innerhalb einer Viertelstunde niemand mitnimmt zur belgischen Grenze, dann radele ich weiter auf der Rheinland-Pfalz-Radroute. Der erste, den ich frage, nimmt mich mit. Auto mit Anhänger, ein paar Säcke Hühnerfutter, ruckzuck liegt das Radel auf dem Hänger. Mein Chauffeur ist Imker, liebt die Windkraft und das kleine Museum kennt er auch. Natürlich. Es scheint in der Region berühmt zu sein und nicht nur da. Der Mann nimmt mich mit bis Lützkampen. Ab da geht es nur noch abwärts ins Tal der Our, dem Grenzfluss zu Belgien. Und wie steil! Erst jetzt wird mir klar, dass ich ja auch wieder zurück muss. Verflixt. Aber egal. Erst einmal kleinstes Museum. Das Buswartehäuschen ist vielleicht vier Meter lang und knapp zwei Meter breit und es hat keine Tür. Etwa zehn Kunstwerke im Wert von je 1300 Euro hängen, Tag und Nacht für jedermann frei zugänglich, an den Wänden. Noch nie sei da etwas weggekommen, hatte mein Trampfahrer gesagt. Wie auch. Der Ort mit den 35 Einwohnern ist so klein. Jeder kennt jeden und es würde garantiert auffallen, wenn jemand die Kunst rauben würde. Seit Oktober ist eine Ausstellung von Luc Ewen zu sehen, die sich auch an anderen, „kunstüblicheren“ Orten gut machen würde. „The Zeppelin Story“ erzählt in verfremdeten Bildern surreale Zepplingeschichten, wie etwa in einem Bild, das ein Paar beim Abendspaziergang zeigt. Der Mann trägt einen Regenschirm. Im Hintergrund stürzt ein Zeppelin ab. Garniert ist das Bild mit dem Schriftzug „What an Amazing Sunset, Darling“. Geradezu Monty-Pythonesker Humor. Monty-Pythonesk ist auch meine Situation. Vor einer halben Stunde bin ich einen abartig steilen Waldweg herunter-, ja was? – heruntergebremst, könnte man sagen. Beide Bremsen am vielleicht vierzig Kilo schweren Radel zugekeilt und noch die Füße eingesetzt. Da will ich nicht mehr zurück. Ich weiß gar nicht, ob sich so eine Steigung schieben lässt. Ein Ausweg scheint mir der Ourtalradweg zu sein, der auf der belgischen Seite des Flussidylls über ein schmales, kaum befahrenes Landsträßchen führt. Er mündet in einen anderen Radweg, der wiederum in den Eifel-Ardennen-Radweg mündet und der kommt schließlich, nach vielleicht vierzig Kilometern auf meine Radroute bei Pronsfeld. Gedacht, getan. Die Route erweist sich als Glücksgriff. Ich radele ein Stück auf einer alten Bahntrasse, die bis nach Aachen führt – gut hundert Kilometer durch das Venngebirge -, zweige schließlich vorher auf die Bahntrasse Eifel-Ardennen ab und, voilà, um 14 Uhr nachmittags bin ich nach vierzig Kilometern Umweg da, wo ich morgens um zehn gewesen wäre, jedoch um einige Schönheiten reicher.
Ich schaffe sogar noch mein Tagesziel Stadtkyll jenseits der Wasserscheide zwischen Prüm und Kyll. Unterwegs phantasiere ich vom Arzfeld-Basistunnel mit einem Aufzug in mein imaginärtibetanisches Posthotel. Der Tunnel führt bis zur wArtehalle. Unten im beleuchten undbeheizten Tunnel gibt es Souvenirshops, Kinos etc. Okay, okay, mein Phantastenhirn hat ein bisschen Freigang. Das darf so stehen bleiben.
Wie auch immer. Wer die Rheinland-Pfalz-Radroute radelt, dem empfehle ich einen Abstecher ins Ourtal. Vielleicht bildet sich ja am Raiffeisenmarkt Üttfeld eine Art inoffiziele Radlermitfahrzentrale?
Geschrieben nachts um drei Uhr im frostigen Europennerzelt auf einem Landal Camping am rauschenden Bach. Brrr.
Oh. Der hinzugefügte Text desillusioniert ein wenig. Soooooo steil!?
Ich bleib wohl Wanderer …