Das demütige Leben eines Klammermanns am Rande des grauen Bands, das niemals endet

Ich erinnere mich nicht mehr so recht, wie das war mit den Klammermännern oder wie Frau SoSo sie nannte, es war hochphilosophisch, wir standen verabschiedend am Bahnhof in Laufenburg, mein Gefühl sagt mir, dass der Moment eine große Sache der Erkenntnis war – für mich, und wahrscheinlich auch für Frau SoSo.

Abschiede sind nicht schön. Sie tun weh. Wir warteten auf den Zug. Ich um einzusteigen und Frau SoSo um zu winken, was sie dann auch tat. Die Klammermänner waren in ihren orangenen Klamotten am Straßenrand auf der gesamten zwanzig dreißig Kilometer langen Strecke von Frau SoSos Haus bis zum Bahnhof am Hochrhein emsig tätig, Fast war ich versucht, ihnen aus dem Autofenster zu winken. Mit dreiviertelmeter langen Klammern sammelten sie Müll und packten ihn in große Tüten. Könnte mir gut vorstellen, so eine Arbeit zu tun, sagte ich zu Frau SoSo. Es hat sowas Erfüllendes, die Welt schöner zu machen. Man muss sich nur bücken. Dinge aufheben, die andere weggeworfen haben, sie in Säcke packen und am Feierabend, was muss das für ein Gefühl sein, den vollen Sack auf einen Kleinlaster zu werfen, zurückzublicken, sich daran zu erfreuen, dass die paarhundert Meter, die man abgelaufen hat, nun für eine Weile so sind, wie sie von der Natur vorgesehen sind. Das demütige Leben eines Klammermanns am Rande des grauen Bands, das niemals endet, würde ich gerne führen. Ich hätte so gerne meine Ruhe vor den höllischen Kunsthirngespinsten, die mir den Alltag zurümpeln, all den Träumen vom ‚wann kann ich von meiner kreativ korrupten Künstlerarbeit leben‘, so stieg ich in den Zug, Frau SoSo winkte tatsächlich mit Taschentuch, und fünf Stunden später spuckte der Zug mich in der Heimat wieder aus.

Zwei Pakete warteten und ein total versumpfter Garten. Die Unwetter hatten das einsame Gehöft zwar verschont, aber das Grundwasser hier auf 340 Metern Höhe steht so hoch wie seit langem nicht. Es sickert ins Mauerwerk. Vereinzelt sind die Pflastersteine des Atelierbodens voller Wasser und im Garten kämpfen die Kartoffeln tapfer gegen die Fäule. Wenn man sich hinein wagt in den Garten, steht man bis zum Knöchel im Schlamm. Ein Ausnahmejahr, zweifelsohne. Da kamen die beiden Pakete gerade recht. Paket eins enthielt eine erste Tranche von Gibrantiago-Postern, ruckzuck signierte ich sie auf einem eigens dafür eingeplanten Feld. Kunstwerke signieren ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.

Das zweite Paket enthielt den Computer, auf dem ich diese Zeilen schreibe. Seit 2008 mein erster neuer Computer. Ich hatte lange überlegt, ob ich mir das Ding leisten will – immerhin fast zwei Kunstbübchenmonatslöhne gehen dafür drauf.  Die Arbeit auf den alten Gurken war jedoch wegen zu geringer Speicherkapazität zunehmend schwierig … fast eine Woche habe ich gebraucht, um aus zwei alten Rechnern, drei externen Festplatten und etlichen USB-Sticks das neue Schwert zu schmieden. Gerade eben habe ich die Arbeiten abgeschlossen und verfüge über ein passabel schnelles System und – ich glaube – über alle Daten seit meinem Eintritt ins digitale Leben im Jahr 2001.

Puuuh.

Nun kommen mir die Klammermänner wieder in den Sinn. Ich gehe davon aus, dass sie ihre Arbeit hassen, wie jeder normale Mensch, der in die Menschenmühle geknechtet wird. Es ist dabei fast egal, welcher Tätigkeit wir nachgehen, Das Geheimnis der Arbeit und wie werde ich damit glücklich. Als Klammermann hätte ich sicher ein tolles Leben, stelle ich mir vor. Die Künstlerei und Literarerei ist aber auch okay, auch wenn sie mir manchmal ziemlich schwer fällt. Es ist ja nicht so, dass monatlich exakt X Euro auf meinem Konto landen. Wenn ich Klammermann wäre, wäre dem so, Deshalb beneide ich den Klammermann wie er tagein tagaus in so einer Art Natur herum spaziert und den Dreck wegräumt, den andere arglos aus dem Autofenster werfen. Ich beneide auch den Vorstandsvorsitzenden, der im Akkord Aufgaben delegiert und den Amtsmann, der aus Langeweile auf seinem Bürocomputer die Windows-Spiele fleddert – ein Glück, wenn die Systemadministration vergessen hat, den Computer für diverse Internetdienste zu sperren  – ich weiß, wovon ich rede, ich war mal so ein Amtsmann … das große Problem, das wir Künstler haben, ist diese ungemein große andere Welt im eigenen Kopf, die sich partout nicht abschalten lässt (Betonung auf nicht abschalten lassen!) und dann gehen wir dieser oder jener Tätigkeit nach, um irgendwie einen Lebensunterhalt beizuschaffen, aber im Hinterstübchen rattert unaufhörlich die Gedankenmühle an anderen, phantastischen Projekten, die so unglaublich unverkaufbar sind, aber dennoch nicht locker lassen, kurzum, der Moment, an dem man sich eine Teillobotomie wünscht, die einen in den Zustand versetzt, als Vorstandsvorsitzender, Klammermann oder Amtsmann zu leben oder als Dachdecker, IT-Fuzzie, Onlineredaktiosmitglied, egal, als Irgendwas, bloß keine dieser elenden Ideen im Kopf, ach, was wäre das herrlich.

Die beste Zeit meines Lebens habe ich als Tacker in einer Loungemöbelfabrik verbracht. Der Arbeitsvertrag enthielt ungefähr die Bedingungen ‚für immer und für nichts‘, Kurzum, die Stelle war miserabel bezahlt, aber dank freier Zeiteinteilung und, nunja, Hände, die Möbel bauen brauchen ja kein Hirn, war das ein cooler Job – am Monatsende verzeichnete das Konto exakt X Euro Plus. Schlafen bis in die Puppen, zur Arbeit radeln, Möbel bauen bis der Auftrag erfüllt ist, nebenbei denken was man will, war echt toll. Die Firma ging bankrott und ich landete auf einem Provinzkulturamt, wo ich lernte Minesweeper zu spielen, um die Zeit totzuschlagen. Zum Glück erkrankte ich und wurde entlassen.

Ich schweife ab.

Nun sitze ich vor der frisch renovierten Festplatte, die mein gesamtes Datenleben enthält. Alle Fotos, alle Texte, alle Ideen, die Roadmap eines fast zu Ende gelebten Lebens liegt vor mir. Ich muss nur noch der Spur folgen. ‚Keine Arbeit, kein Geld, keine Ahnung wie es weitergehen soll‘, um es mal mit Otto zu sagen. Aber immerhin ein Fundament für das zehntausendstöckige Hochhaus des Scheiterns. Ich bin zufrieden. Der Garten wird wieder trocknen. Nicht alle Kartoffeln verfaulen und die gute alte Lehre, irgendwas wächst immer, gilt auf Ewigkeit. Wenn einem bloß keine Menschen dabei in die Quere kommen. Aber ich lenke schon wieder ab: das Leben eines Klammermanns an irgendeinem verlorenen Straßengraben, in den multiple Idioten ihren Macdonalds-sonstwie-Müll werfen ohne über das Gefüge der Welt nachzudenken, scheint mir in meinem beinahe aufgelösten Zustand gar nicht so unerstrebenswert.

Aber erst noch ein paar Kunsthirngespinste zu Ende bringen.

9 Antworten auf „Das demütige Leben eines Klammermanns am Rande des grauen Bands, das niemals endet“

  1. Deine ersten so genannten Kunsthirngespinste entstanden mit vier – oder?
    Der Vierjährige würde sich ein feines Schlammbad richten für die kommenden wärmeren Tage!
    Die nächste Radreise geht nach….?
    Gruß von Sonja

    1. Eigentlich ist der Garten ein Dorado für die Mudartlegende Heiko Moorlander :-).
      Die nächsten Radreisen auf der Roadmap: den Rhein runter, Schleswig-Holstein in einer Spirale ab dessen Mittelpunkt.

  2. An den Straßenfeger Beppo aus dem Buch Momo habe ich auch gedacht –
    und ich bin gestolpert, über die Formulierung: eines fast zuende gelebten Lebens … öhm … bist du nicht jünger als ich? Okay, die Hälfte ist bei dir und mir rum, aber da warten doch noch Jahrzehnte, oder?!
    herziche Grüße aus dem Regental
    Ulli

    1. Das wollen wir doch stark hoffen. Problematisch ist eben die asynchrone Zeitempfindung, um es mal so zu nennen. Eine Sache, die sich übrigens mathematisch darstellen lässt: Im Alter von Fünfundzwanzig beträgt das Restleben bei angenommenen fünfundsiebzig Jahren zwei Drittel der zur Verfügung stehenden Lebenszeit, im Alter von Fünfzig nur noch ein Drittel. Hmm, klingt jetzt komisch, aber ich habe da mal etwas drüber gelesen. Es erklärte, warum sich das Verstreichen der Zeit mit zunehmendem Alter schneller anfühlt.

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