Grenzen – Tag fünf #AnsKap

Dieser verflixte Spessart. Ich erinnere mich. In dieser Gegend ist die Erde eine Scheibe, die schief hängt.
Ungünstiger Weise in eine Richtung, dass ich mit dem fünfzig Kilo schweren Radel bergauf kurbeln muss. Hinter mir Wolken, die mit jedem Umdrehen, jedem argwöhnischen Beobachten dunkler werden, regenschwerer, sich irgendwann unweigerlich ausschütten werden.

Schaffe ich es noch vor dem Regen über den Spessart? Wie hoch ist der – zugegeben milde Pass, der über die B26 nach Lohr am Main führt?

Sie graben einen Tunnel durch den Seekopf. So heißt offenbar der Berg. So heißt auch der Tunnel. Überall Baustelle. Schmutz, Laster, Schlaglöcher.

In Hain ist das eine Ende. Das Spessarttor, prang ein Schriftzug auf einem Schild.

Hain ist auch der Ort, ab dem ich die B26 nehme, statt mich mit den miserablen Radwegbeschilderungen rumzuärgern. Stetig im zweiten Gang geht es bergan. Nichtendenwollend. Mit den Augen versuche ich die Passhöhe herbeizuzerren.

Hinter jeder Kurve muss es doch endlich mal wieder bergab gehen.

Kolonnenweise überholen mich Autos und LKW. Dieselrußgestank,Lärm, zum Glück ist die Straße breit, sonst müsste ich auch noch das Wörtchen Gefahr zu der Wortsumme addieren.

Wäre ich bloß am Main geblieben. Hätte ich bloß öfter auf Twitter geschaut, von wo Alternativen zu meiner Wegstrecke gezwitschert wurden. Hätte Hätte Fahrradkette.

Endlich oben, setzt der Regen ein. Mit vierzig Sachen abwärts. Kilometerweit. Ein guter Fahrradfahrregen.Die Scheibenwischer der Autos stehen auf Intervall. Die Frontroller am Radel weisen das Wasser ab.

In Lohr bin ich dann doch ziemlich nass. Kaufe bei Aldi ein, ziehe endlich die Regenjacke an und die Gamaschen. Fauler Radler, nasser Radler.

Nun zelte ich auf einem – vermutlich – Privatgrundstück.Schön gemähte Wiese. Topfeben. Ein bunter Bauwagen steht hier und eine riesige Lagerfeuerstelle ist in der Mitte des Geländes. War nicht abgesperrt. Kein Schild. Dankeee liebe Leute.

Im Engen Tal ist es unheimlich laut. Die Landstraße ist gerade mal achtzig Meter entfernt. Der Main zwanzig. Eine Bahnlinie schneidet im Stundentakt gar elende, langanhaltende Güterverkehrsarien. Flugzeuge, oben, irgendwo. Ich bin heute definitiv an meine Grenzen gekommen. Wenn ich mehrere Tage bei diesen Temperaturen – in Lohr zeigte ein Thermometer zwölf Grad – und dem Wetter radeln muss, und zelten, werde ich die Tour nicht überstehen.

Mir graut vor Lappland, wo das so sein wird.

Zudem muss ich mit meinen Ressourcen jonglieren. Schließlich ist dies keine eitel Radeltour, die ich nur so zum Spaß mache. Es ist eine digitale Expedition.

Ich muss meine Zeit gut aufteilen. Muss radeln, um voranzukommen, schätzungsweise sechs bis acht Stunden am Tag. Radeln und denken geht ganz gut gleichzeitig, aber das Gedachte will ja auch in Tweets und Blogeinträge verwandelt werden. Die schreiben sich ja nicht von alleine. Wahrscheinlich gibt es eine Umrechnungsformel für Blogeinträge in Radel- und Erlebenszeit. Vielleicht dreißig Kilometer Radeln entspricht einem Blogeintrag? Also wenn ich blogge, komme ich dreißig Kilometer weniger voran.

Leider hat das Geld nicht gereicht, um eine Crew anzuheuern für die digitale Expedition. Dann gäbe es einen Schiffskoch, der mir ein Abendessen zubereitet hätte, während ich diese Zeilen schreibe. Ein anderes Expeditionsmitglied würde ein Fahrrad steuern, das einzig Energie via Nabendynamo produziert, um die gesamte Wegstrecke live ins Internet zu übertragen.

Der gläserne Künstler sozusagen.

Mit Freund QQlka, der ja 1995 mit dabei war auf der Kapschnitt-Radtour, diskutierte ich gestern darüber. Man könnte so viel mehr aus der Sache machen, wenn man im Team arbeiten würde. Die Liebe SoSo zum Beispiel macht in ihrer knappen Freizeit die Homebase, kommuniziert für mich, redigiert sanft die Beiträge, die unter ebärmlichen Umständen im Schneidersitz im Zelt bei Stirnlampenlicht auf einer Bluetoothtastatur von Natur aus voller Tippefehler sind.

Einen Konzern könnte man aus der Sache bauen, wenn man nur einen guten Schreiber und Erleber losschicken würde, Erlebnisse von unterwegs zu digitalisieren.

Hätte hätte Fahrradkette.

Keine Sorge. Der Artikel mag etwas deprimiert klingen. Ist aber nicht so. Zwölf Uhr nachts. Bisschen Anstrengungskopfweh. Noch nichts gegessen.

Ein Kopfkissen wäre jetzt toll. 

 

Ist dieser Tunnel das Spessarttor? Hain    .

27 Antworten auf „Grenzen – Tag fünf #AnsKap“

    1. Ja. Aber dann ists trotzdem anders. Ich wäre im Team nur halb so kreativ. Das Autistenmolekül in mir braucht das Alleinesein. Die Ablenkungsfreiheit.

  1. Und die liebe SoSo hat bis jetzt noch keinen einzigen Tippfehler korrigiert. Schandeschande.

    In Sachen Team: Die Homebase hat nun einen hochoffiziellen Archivar. Der Emil kümmert sich um sie Archivierung der Blogartikel, damit später daraus das eBook, das angekündigte, werden kann.

    Und so ganz allein bist du nicht: Ich glaube, Clown August und dein früherer Butler, James?, wären nicht unglücklich, hin und wieder …

    Außerdem stehen ganz viele dir den Rücken stärkend hinter dir.

    Wenn wir alle pusten, gehen die Regenwolken vielleicht woanders hin?

    (Ob ich mal ein bisschen enttippfehlern soll? Die haben eben Charme, ich gebs gern zu …)

    1. Super Idee mit dem Regenwolkenwegpusten! Ich puste mit! Am besten Richtung einsames Gehöft, denn ich glaube, die dort Zurückgebliebenen, die freuen sich über Regen. ;-)
      Liebe Grüße,
      Andrea

  2. Mein Gott, ich wünsche Dir ganz dringend viel schönes Wetter mit Daunenfedern drin … damits weiter geht … ist spannend ohne Ende … man zittert richtig mit (nicht nur wegen der Temperatur).

  3. Lappland … da kann es richtig schön mollig sein und dann mit viiiielen Mücken, hoffe du hast Schutz dabei- wenn nicht in den kleinen, samischen Geschäften haben sie ein Teufelszeug, stinkt nach Teer und vertreibt jede Mücke ;o) und ein bisschen sieht das Bild mit Bauwagen und Feuerstelle rundrum schon samisch aus, Birken, Tannen und ein kleines Zelt … ach weisst du, egal ob kalt dort oben oder Mücken, es ist und bleibt ein herrliches Land! Ich hoffe sehr, dass du es erreichst, dass dir die Sonne immer mal wieder den Rücken wärmt und die Klamotten trocknet-

    toll, dass jetzt Emil auch mit im Boot sitzt, nun hast du doch schon ein kleines Team, plus all denen, die dir unsichtbar folgen- lieber weniger bloggen, deine tweets sind geschichten genug ;o)

    bye for now, good way and day, today
    Ulli

  4. So kenne ich den Spessart: Echt nordisch !
    Immer ein paar Grad kühler als das Rhein-Main-Gebiet. Umsomehr kann man anschliessend die Sonne geniessen. Nur durch, das bleibt einem nicht erspart.

    1. Danke liebe Inch. Es geht eigentlich. Manchmal hat Schlimmeres erlebt haben einen Sinn.
      Wie weit ists eigentlich auf dem Rwadweg von Leipzig nach Berlin und wie weit von dirt nach Rostock? Liebäugele routenänderung, um Hauptstraßen zu meiden, will aber spätestens am 28. in Bad Diberan sein.

      1. Kommt auf den Weg an, den Du wählst. Bis Berlin kannst Du mit 200km rechnen, wir legten letztens bis Potsdam 215 zurück, mieden aber fast ausnahmslos den offiziellen Radweg Leipzig-Berlin.
        An die Ostsee sind es 550km. Also von Leipzig bis zum Darß. Auch hier wie oben gilt, es kommt auf den ausgewählten Weg an und natürlich auf das genaue Ziel

  5. Beim ersten Anblick des Waldzeltplatzes dachte ich, dein Rad wäre ein stolzer Gockel.
    Da hast du dir echt Großes vorgenommen, meine Jüte!
    Kämpfernatur. Zum Glück keine Spur von Resignateur in dir! Wenn doch, dann obsiegt der mit dem roten Coleur.-

    1. Ich hab zum Glück die Nordseeradweg-Erfahrung in mir. Das hat abgehärtet. Auf einer Qualenskala von null bis zehn war ich bisher höchstens bei vier.

  6. Wenn …

    Wenn die am Weg #ansKap lebenden/wohnenden/urlaubenden Blogger und Twitterer auch nur kleine Treffen mit Dir schaffen, oder einige Dir für die Nacht ein Dach übern Kopf und vielleicht eine heiße Dusche bieten: Ist das dann nicht auch ein Team? Nein, ein Kollektiv!? (Ein zweckverfolgendes Sammelsurium, das ist meine persönliche Übersetzung von Kollektiv, ganz nah an der Kollaboration, dem Zusammenwirken.)

    Nun hast Du ja erstmal nur noch die thüringischen Höhenzüge vor Dir, und auch die sollten im Tal der Saale nicht so arg schiefliegen wie der Spessart, der mir aus Kindertagen noch als gar wilder und finstrer Räuberwald in Erinnerung ist.

    Und irgendwann wird sich bestimmt Lind Kernig wieder zu uns gesellen und Dich verfolgen und unterstützen.

  7. Alles hat ein Ende, und der Spessart hat sogar beliebig viele –! Irgendwann geht’s auch wieder abwärts, auf Regen folgt Sonnenschein, und was dergleichen Trost mehr ist — es ist alles wahr. Ich wünsche Kopfkissen und Schokoriegel, stets zur rechten Zeit!

  8. …uihjujuih, Da hat der Spessart ja einiges gutzumachen… und wenn auch aus dem Kaffee damals nichts geworden ist, so ergänze ich das Angebot jetzt…*siehe RadlerWette!
    … Und dann wird das sicherlich auch noch was mit dem Ortsschild-Foto fürs Weible ;) !
    Liebe Grüße von der SpessartRäuberin an „DEN am Kap“ und an „die an der homebase“

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