Ein populärwissenschaftlicher Bericht, den ich kürzlich sah, handelte von Paralleluniversen. Deckungsgleichen Abbildern unserer Welt und unseres Alltags, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit alternative Lebensverläufe zeigen. Wie die Scheiben einer Kupplung liegen, ohne, dass man es weiß, angeblich viele verschiedene Alternativleben übereinander.
In dem einen Universum bist du vielleicht gut, im anderen ein Schurke. Arm hier, reich dort. Der Bericht war grenzwertig populärwissenschaftlich und gespickt mit Klischees.
Sonntags spazieren SoSo und ich auf der Ostseite des Hallwilersees durch ein romantisches Wäldchen auf schmalen Pfaden, meist direkt am Ufer. Bärlauch reckt seine sturen Spitzen aus dem Waldboden. Umgestürzte Erlen hängen über dem Wasser. Jenseits eines alten Grenzsteins, schon im Kanton Luzern, wärmen wir uns in einer Beiz, einer Gastwirtschaft bei heißer Schokolade auf. Zwei Frauen sitzen noch im Gastraum und das Wirtspaar. An den Wänden hängen extrem hässliche abstrakte Bilder. Der Gastraum ist mit Resopal vertäfelt. 70er oder 80er Jahre Charme. Wären die Werbeplakate nicht, könnte man meinen, man wäre in einem Ostberliner Restaurant kurz vor der Wende. Der Kinderspielraum ist schön. In der Ecke lacht ein riesiger Teddybär. Und auch die Raucherlounge nebenan hat Charme. Ich mag das Ambiente eigentlich. Wären nur nicht die schlimmen Kunstwerke. In einem Paralleluniversum würde das ganz anders aussehen. Plötzlich meine ich, auf einem Bierwerbeplakat ein Hakenkreuz zu sehen. Als wäre auf der Universumsschicht, auf der wir uns gerade befinden der Lack ab, schimmert es kurz durch. Fast wie in dem populärwissenschaftlichen Film. Wir würden in dem anderen Universum wohl nicht das Körbchen mit den Zuckerbeuteln fleddern, auf denen die Schweizer Kantone abgedruckt sind. Vielleicht wären wir Nazis? Monumentale Bilder von stolzen Ariern hingen an den Wänden. SoSo kann unter den dreißig Zuckerbeuteln nur fünf verschiedene Kantone finden: Aargau, Basel-Stadt, Jura, Bern und das Vaud.
Das alte Gasthaus. Was es wohl schon alles erlebt hat. Hochzeiten, Trauerfeiern, zufällig angespülte Durchreisende, ein wildes Konglomerat aus sich ineinanderschiebenden Menschenwelten, hitzköpfige Streitereien und Versöhnungen, schlägereien womöglich. Wenn man all das gleichzeitig stattfinden lassen könnte, was wäre es dann voll hier. So sind wir aber fast die einzigen Gäste. Sehe ich Verdruss in den Augen des Wirts? Spüre ich den Wunsch nach Entrinnen, tief im Gemüt der Wirtin?
Bin ich ein Paralleluniversum und die nehmen mich gar nicht wahr? Wo ist eigentlich SoSo? Ach ja, die wollte aufs Klo. Als was oder wer wird sie zurückkehren, wenn es jetzt zur großen Paralleluniversenverwirrung kommt?
Das Hakenkreuz ist weg. Es war nie da. Meiner Schwachsichtigkeit ist diese Irritation geschuldet. Beim Bezahlen überlege ich, wie praktisch das wäre, wenn Paralleluniversen immer nur dann zugänglich wären, wenn man den Geldbeutel öffnet. Natürlich müsste sich das Paralleluniversum darin befinden, in dem man im Lotto gewonnen hat.
Mein Geldbeutel ist kein Paralleluniversum, sondern eher ein schwarzes Loch. ;)
Hab’s fein,
Pit
Jetzt, wo auch noch die Dollar-Parität droht. Oder ist die schon erreicht? Ich keuche in der Schweiz auch bis zu einem Fünftel mehr, als noch vor einem halben Jahr.
Hallo Juergen,
aktuell sind es 1,0630 Dollar, die ich für den Euro kriege. Aber die Prognosen sind schlecht(er). Wie ich auch schon einmal getwittert habe“ Sch*** Draghi. :( Aber was soll man machen, außer sich damit abfinden.
Hab’s fein,
Pit
Oh, wow! Des do hat sich aber gelohnt.
Tolle Nachtgedanken hast du da.
Ob ich in einem Paralelluniversum wohl Bestsellerschundromaneautorin wäre und in einem andern Philosophie- oder Literaturprofessorin? Und ob wir diese „Andern“ wohl in unsern Träumen besuchen oder beobachten?
Und ob von dort unsere Wünsche kommen und unsere Sehnsüchte? Womöglich auch der Hunger nach Mehr und damit unsere latente Unzufriedenheit?
Und was, wenn man in allen Paralleluniversen genau der/die ist, der/ die man ist? Haben sich das die Paralleluniversumserfinder schon mal überlegt? Millionenfach die gleichen Weltenabläufe und kein Entrinnen.
Ohnein, stell dir alle diese täglichen Murmeltiere vor!
Für den Anfang würde ich es mit Paralleluniversen probieren, worin ich meinen Geldbeutel stets zur Hand habe, d.h. ohne ihn suchen zu müssen.
Das würde automatisch bedeuten, dass er an sehr, sehr vielen Stellen gleichzeitig liegt, denn ich lege ihn ja den Tag über an sehr, sehr vielen Stellen ab und suche ihn dann.
Bevor das losgeht, würde ich Geld abheben und den Geldbeutel gut füllen. Dann würde ich alle Universen absammeln und wieder von vorne anfangen.
Ich sehe schon, wir sind da einem ganz großen Ding auf der Spur. Wenn das klappt … fürs Erste könnte man auch mit symbolischen Links von den einzelnen Geldbeutelablagestellen auf den Geldbeutel verlinken.
Andererseits ist facebook ja eine ausreichend üppige Quelle von Paralleluniversen.
Da wäre zum Beispiel jenes, in dem ich aufgefordert werde, bei mir in der Pfalz nach einem Hund aus Brunsbüttel Ausschau zu halten, der bei seinem Entlaufen vor vier Jahren 20 Jahre alt war und dessen Besitzer die postende Person nicht kennt. Aber er (also der Hund) guckt so süß und für irgendwas muss man sich ja engagieren in diesen vielen Welten.
Oder das Universum, in dem man mir ständig droht mit dem Spruch: „Genieße jeden Tag, als wäre es dein letzter“. — Ich schaue dann immer gleich nach, ob der Typ mit der Sense da ist und vielleicht die Klingel nicht findet. Oder ob er vor der Klingel wartet, verzweifelt in einer logischen Endlosschleife gefangen, weil dort steht: „Ausgang – bitte läuten“.
Der Hund. Guter Einwand. Ich bin auch immer irritiert von solchen Beiträgen, gehe aber ohne zu teilen weiter mit einem sehr schlechten Gewissen, dass ich ein schäbiger, kaltherziger Typ bin. Und jetzt kommt mein Trick: mein gutes Gewissen kaufe ich mir dadurch zurück, dass ich mir einrede, diejenigen, die meinen theoretisch zu teilenden Beitrag lesen müssen und dadurch in ähnliche Gewissenskonflikte kommen würden wie ich, davor schütze, in Gewissenskonflikte zu geraten.