“Ich möchte ein Buch über den Rhein schreiben. Protokolle am Fluss soll es heißen. Ich will über Schiffe berichten, Fahrradfahrer und Menschen, die mit ihren Hunden gassie gehen. Ich will den Fluss von der Quelle bis zur Mündung bereisen und ihm in jeder Minute so nah sein wie nur möglich, damit ich nichts verpasse”
In einem Artikel aus dem Jahr 2009.
Langsam ist die Irgendlink’sche Roadmap länger, als das zu erwartende Restleben. Mit voller Wucht rüttelt mich die Mittelrhein-Idee und weckt ein uraltes Projekt, das seit – ich musste nachdenken – 1996 in meinem Hirn gaukelt: Die Protokolle am Fluss. Ein Buch über den Rhein. Ha! Als ob es nicht schon genug davon gäbe. Die alten Romantiker haben die Wiese doch längst abgefressen. Schon vor zweihundert Jahren! Aber Gras wächst bekanntlich nach.
Burgenblogger am Mittelrhein werden – Fluch oder Segen?
Irgendwie meine ich Harmonien zu erkennen zu der Ausschreibung des Jobs als Burgenblogger auf Burg Sooneck im Mittelrheintal. Kongruenzen, teilweise Deckungsgleichheiten. Das Hirn mag die Sinne trüben und Geld oder die Aussicht darauf tut sein übriges. Und so schustert man sich seine Welt zurecht, ist es nicht so: Junger Mann zum Mitreisen gesucht! Versprochen wird die here, freie Welt der Gaukler, generös flitzt du in deinem Boxauto der Illusion durch streng abgestecktes Terrain. Der Mittelrhein ist nicht der Rhein, sondern nur ein Teil davon. Ein sechzig siebzig Kilometer langer, unwegsamer Abschnitt voller Gefahren. Das womöglich länglichste UNESCO Welterbe der Welt. Einst eine der bizarrsten und urwüchsigsten Landschaften Deutschlands, nun zu einem hochentwickelten Trampelpfad geworden, durch den die Leute zwar auf Teufel komm raus durchwollen, aber nicht verweilen. Es muss laut sein dort. Die Züge brettern im Minutentakt – Tag und Nacht – habe ich in einem Fernsehbericht vor einigen Jahren gesehen. So dass man noch nichtmal einfach auf der Straße stehend ein Schwätzchen halten kann, ohne zig Sekunden lang abzuwarten, bis man dem Gegenüber den nächsten Satz erwidert. Schienen sind unbarmherzig und das Geräusch schleifenden Metalls auf asbestversetzten Bremsklötzen ist erbarmungslos. Kürzlich gab es eine Kostprobe, wie sich das in „echt“ anfühlen mag. Bei unserer Wanderung hinauf zum Gotthard folgten wir ab dem Vierwaldstättersee einer immer wilder werdenden Reuss in ein immer enger werdendes Tal, das sich gen Göschenen so sehr verengt, dass der Wanderweg durch das Idyll mittels komplizierter Brücken, Tunnels, Stege und Treppen zwischen Autobahn, Schiene und Landstraße jongliert. Der Lärm ist allgegenwärtig und wird nur dadurch gemildert, dass der Fluss von Natur aus das meiste übertönt. Der Mittelrhein ist im Vergleich dazu lammfromm. Er übertönt nichts. Und er wartet mit zwei Bahnlinien auf und mit zwei Bundesstraßen und es tuckert dort Europas Schwerlast auf riesigen Schiffen.
Beim Flugplatz Oppenheim saß ich oft am Rheinufer, lehnend an einer Pappel oder Weide – weiß nicht mehr, welche Art Baum das war – und starrte hinüber ins hessische Ried und beobachtete die Schiffe. Fast zwanzig Jahre her. Die Kunststraße zum Nordkap war gerade fertig geworden und meine allererste Ausstellung debütierte in der Mainzer Galerie Walpodenstraße. Ich hatte keinen Computer. Das Internet hatte eben erst sprechen gelernt. Handys waren schwere Knochen mit vielen Knöpfen. Von einem flächendeckenden Mobilfunknetz keine Spur. Fotoapparate enthielten Kleinbildfilme. Wenn man in die Fremde wollte, nutzte man Karten zur Orientierung. Ein Gerät fast ohne Knopf, auf dessen Minimonitor man Texte tippen, mit dem man telefonieren, sich orientieren und fotografieren kann, war Science Fiction. In A5-großen Kladden notierte ich die Bildstandorte meiner Kunststraßen: „Hundert Meter hinterm Ortsschild, Feldweg rechts“ oder „Ortsanfang Dorf soundso“. Die ersten Kunstreisen, die durch Fotos in zehn-Kilometer Abständen dokumentiert wurden, waren nicht viel mehr, als Planwagenpioniertaten der feinen Künste. Ich glaube, das Leben war ruhiger damals. Sicher bin ich mir nicht. Als Mensch ist man im Strudel der Zeit ähnlichen Problemen unterworfen, wie der legendäre Frosch, der in einem langsam erhitzten Glas Wasser zu Tode kocht, ohne es zu bemerken.
Mit dem Rücken an einem Baum Schiffe beobachten und der Welt beim Nichts-passieren zuzuschauen, hatte einen gewissen Reiz.
Sandwich-Technik mit Dias: das meint „Blender“ auf analog?
Jede Zeit ist im nachhinein die bessere! Oder vielleicht ist ja genau die jetzt die beste?
Toller Artikel!
Ja. Zwei DIAS übereinander gelegt. Und für mich ist Jetzt immer am besten.