Ressourcen

Wie schaffe ich ein endliches System in einer auf Unendlichkeit, Verschwendung und Zerstörung optimierten, wirtschaftlich straffen Welt? Ober besser gefragt, taugt das System „Europenner“, das ich auf meinen Reisen anwende als eine Erklärung für die komplexen Vorgänge in der Weltökonomie?
Was ist das System „Europenner“ überhaupt? Ein Mann, ein Rad, ein Smartphone mit Fotoapparat, über das ein Weblog mit journalistischen und fotografischen Inhalten versorgt wird. Kurzum eine mobile Kommunikationseinheit, deren Aufgabe es ist, die gelebte Gegenwart so intensiv und zeitnah wie möglich ins Internet zu projizieren. Die natürlichen Ressourcen, die diese „Europenner-Einheit“ (2012 habe ich dafür den Begriff Kunstmaschine verwendet) benötigt sind Energie, Nahrung, Datenvolumen, Netzverfügbarkeit, Geld und Zeit.
Wobei insbesondere die Zeit eine zentrale Rolle spielt. Während der Reisende sich fortbewegt, radelnd oder zu Fuß, kann er zwar denken und Artikel formulieren, aber er kann nicht gleichzeitig Artikel schreiben und Bilder ins Netz laden. Die Ressource Zeit muss also geteilt werden in eine Denk- und Fortbewegungszeit und eine Schreib- und Veröffentlichungszeit. Zum Veröffentlichen über das Mobilfunknetz, benötigt man Datenvolumen, das in der Regel (in fernen Ländern) paketweise gebucht werden muss, sagen wir in 25MB Einheiten. Auch diese Ressource will sorgfältig verwaltet werden. Zur modernen Veröffentlichungsmethode im Blog gehört auch ein Usermanagement, Kommentare wollen verwaltet werden und zurückkommentiert. Kommunikationskosten sozusagen, die an der Ressource Datenmenge und der Energie nagen. Apropos Energie: das relativ abgeschlossene Europenner/Kunstmaschinensystem versorgt sich durch Dynamo und Sonnenenergie selbst. Also muss hochnotpeinlich Strom gespart werden wo es nur geht: lese ich diesen Artikel ein zweites Mal durch, um Fipptehler zu eliminieren, oder spare ich die Energie? Betreibe ich Recherche, etwa wann genau dieser Vauban (siehe in den vorigen Artikeln) gelebt hat und verbrauche dabei Daten und Strom, oder überlasse ich den Lesenden diese Aufgabe? Die gute alte Journalistenlehre,man solle stets einen Wissensvorsprung vor seinem Publikum haben, ist beim Livebloggen weitgehend ausgeschaltet. Meist ist es sogar umgekehrt: das Publikum hat einen Wissensvorsprung vor dem Schreibenden. Wenn es gnädig ist, korrigiert es die Fauxpässe in den Kommentaren, wenn es böse will, zerreißt es einen in der Luft.
Natürlich wäre es ein Leichtes, saubere, gut recherchierte Artikel zu schreiben, wenn es die Ressourcenbeschränkungen nicht gäbe. Wenn man sich die Zeit nehmen könnte und ein Bisschen von dem selbst erzeugten Strom, um Korrektur zu lesen und die nötigen Recherchen zu machen. Aber dann würde man ein gut Stück weniger hart am Wind der Gegenwart segeln und ich fürchte, das würde die Unperfektion, die eine solche live dokumentierte Reise mit sich bringt, verfälschen. Es gilt in diesem abgeschlossenenSystem, eine vernünftige Balance zu finden, mit den vorhandenen Ressourcen zu haushalten. Weitere Elemente und Beschränkungen im System sind zum Beispiel Packvolumen, Gewicht, mitgeführte Lebensmittel, wieviel Geld steht einem pro Tag zur Verfügung, die eigene Laune, Lust, Zielorientiertheit, Sinnglaube (ein in sich geschlossenes, kettenähnliches Konstrukt ohne Anfang und Ende), sicher eher abstrakte Ressourcen, die dennoch beachtet werden müssen.
Als Kern aller Ressourcen, sozusagen der Schnittpunkt, mache ich die Zeit aus, bzw. die Lebenszeit. Welche gleichsam die ultimative Ressource von Allem ist, was auf dieser Welt vorgeht.
Bild: Die fliehenden Stunden des Lebens. Sonnenuhr an einer Kapelle bei Mouterhouse.
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4 Antworten auf „Ressourcen“

  1. Zum Glück tust Du das alles nicht vor ein paar hundert Jahren, müsstest Dich unterwegs vornehmst hier und da duellieren oder unter der Kemenate von Rosinenhilde Minnelieder darbieten- so bleibt die Reise voll satisfaktionsfähig.
    Und an Deinen Ressourcen knabbern will ich nicht. Nur mitteilen, wie mir die Berichterstattung gefällt!

    1. Dankeee Sonja. Manchmal frage ich mich, wie das in ein paarhundert Jahren aussähe und komme dann meinem Alterego Lind Kernig wieder näher.

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