Seit die Pressemitteilung und der Newsletter zum neuen Livereiseprojekt Bilder für die Ewigkeit verschickt sind, spüre ich einen Anflug von Lampenfieber. Immer dann, wenn ich daran denke, schon bald wieder zu reisen, die Strecke zu dokumentieren, Kunst zu schaffen und darüber täglich zu berichten. Die Nervosität ist anders, als etwa bei einer bevorstehenden Ausstellung. Bei Ausstellungen hat man etwas, was man greifen kann. Die Bilder sind alle schon da. Man muss sie nur aufhängen. Aber bei einem Liveblogbericht? Text und Bild entstehen erst unterwegs. Ich bin der Jäger und Sammler der feinen Künste. Meine Sorge, plötzlich vor Nichts zu stehen, ist um einiges nachhaltiger. Die Angst vor der Leere?
SoSo erzählt von zwei Schweizer Bergsteigern, die eine komplizierte Erstbegehung im Himalaya planten. Um Geld aufzutreiben, und weil man solche Dinge nicht einfach so tut, ohne die Öffentlichkeit zu informieren, haben sie natürlich großen Presserummel gemacht. Im Basiscamp angekommen, um sich zu aklimatisieren, wurde die Expedition überfallen und davon gejagt. Wann war das? frage ich. Erst vor ein paar Monaten.
Shackleton fällt mir ein. Erstmals habe ich Bekanntschaft mit diesem wohl erfolglosesten Arktisforscher aller Zeiten in einem Filmbericht über seine gewagte Expedition, die Antarktis zu durchwandern (die sog. Endurance-Expedition). Nachdem Amundsen und Scott in einem aufsehenerregenden Wettlauf den Südpol erreicht hatten, Scott als Zweiter, blieb zur Blütezeit des Antarktishypes eigentlich nur noch eine Durchquerung des sechsten Kontinents. Der Plan war, im antarktischen Sommer 2012 von der Atlantikseite zur Pazifikküste zu laufen. Shackletons Expedition erreichte nie das Festland. Im Packeis gefangen, drifteten er und seine Crew mehrere Jahre dahin und versäumten sogar den Ausbruch und einen großen Teil des Ersten Weltkriegs, ehe sie von Walfängern gerettet wurden. Alle Expeditionsteilnehmer überlebten und erlangten trotz Scheiterns der Mission einigen Ruhm. Bei der letztjährigen Nordseeumrundung hatte mich der Autor Klausbernd Vollmar, den ich in Norfolk kennen gelernt hatte, und der sich für Expeditionen sehr interessiert, gerne mit Shackleton verglichen. Der hatte auch immer schlechtes Wetter, scherzte er. Sowas ist natürlich Wasser auf die Mühle der eigenen Eitelkeit.
Seither bin ich kindlich verliebt in den Gedanken, ein virtuell binärer Expeditionsleiter in eigener Sache zu sein. Ein Mensch, der sich dem unentdecktesten aller Kontinente verschrieben hat, dem ganz gewöhnlichen Alltag.
SoSo und ich machen, nachdem wir die Pressearbeit verschickt haben, eine wohl verdiente Pause, radeln die Aare entlang durch die, noch immer vom Schmutz, das das Hochwasser hinterlassen hat, gezeichneten Auen ein paar Kilometer bis zu einem lieblichen Sandstrand an einer ruhigen Stelle des Schweizer Flusses. Klamotten aus, rein ins Wasser. Es ist nicht allzu kalt. Ich bin in Schweden schon in viel kältere Brühen gestiegen. Dennoch tue ich mir schwer. Stehe minutenlang bis zur Hüfte (bis zum Hirn, sage ich stets scherzhaft) im Fluss, starre hinüber auf die andere Seite, wo ein Angler in einem Boot unter Weiden sein Glück versucht. Eine nahegelegene Brücke, Autos, Mopeds, Menschen mit und ohne Hund passieren am Wanderweg und ich überlege, was diese Magnifikanz des Ins-Wasser-gehens ausmacht. Und wie unterschiedlich wir Menschen doch sind in unserer Art, einzutauchen. Ob es sich vergleichen lässt mit der Art, wie wir mit dem Leben umgehen, wie wir etwa Kunstprojekte oder Arbeitsprojekte angehen? SoSo stürzt sich mit einem Mal in die Fluten, ohne mit dem Kopf unterzutauchen, wohingegen ich erst einmal bis zur Hüfte über das klebrige Sand-Schlamm-Gemisch laufe, dann verharre. Minutenlang. Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf: rein gehst du ja doch. Warum also quälst du dich? Warum, bibbernd vor der Abkühlung, verharren und darüber sinnieren, was passiert, wenn? Warum nicht einfach reinspringen, wie SoSo? Ganz langsam gehe ich schließlich in die Knie, bis mir das Wasser bis zum Hals steht, aber anstatt darauf loszuschwimmen, sacke ich mit der selben Gleichmütigkeit einfach weiter, bis ich vollständig untergetaucht bin. Als ich wieder auftauche, weiß ich: weil es meine Art ist.
sind die letzten beiden sätze gar ein manifest deines reisens?
Ja, da könntest Du recht haben, Martin. Heute schauen wir mal nach den Wassern der Reuss :-). Hab eben Barta eingebaut, hoffe, der Link ist okay. Und den MOM Kontaktlink auf Hauptseite geändert. LG J
für alle, die sich für die gescheiterte himalaya-expedition interessieren sollten: bitte hier klicken:
was du über das aareschwimmen gestern schreibst: ja, genau … deine art, meine art … nicht vergessen: art = kunst!
:-)
Dankeee für die Ergänzung.
Ach, was wäre das gesamte menschliche Leben einfacher, wenn jedem die Möglichkeit gegeben wäre oder wenn jeder sich die Freiheit nehmen würde, viel mehr nach eigener Art zu tun!
Und wer steht mir immer, wirklich immer im Weg und muß erst beiseitegeschoben werden, ehe ich etwas nach genau meiner Art tun kann? Na? Ich natürlich. Wie oft stehe ich mir selbst im Weg … Dein Flußbadebild paßt auch ganz gut auf mich, nur daß ich sehr oft im knietiefen Wasser schon umkehre …
Deine Art gefällt mir so ganz und gar!!
Dankeee