Spätestens seit der Erfindung der CD rückt die Beständigkeit von Daten in ein immer enger werdendes Zeitfenster, so eng, dass mittlerweile jedem Menschen klar sein dürfte, wie vergänglich wir und unser Wissen sind. Egal ob Papier, Papyrus, Vinyl oder gar Stein. Alles vergeht. Und zwar schneller, als uns lieb ist. Wie weit blicken wir zurück? Wie tief ist die Schärfe, mit der wir Vergangenes sehen? Wie genau ist unsere Vorstellung? Ein-, Zweitausend Jahre? Ach was, schon an der eigenen kleinen Menschengeschichte, den letzten zehn zwanzig Jahren erkennt man, wie trügerisch die Vergangenheit ist. Eine Lösung des Archivierungsproblems wird es wohl nie geben. Dafür ist die Ewigkeit einfach zu ewig. Einen interessanten Ansatz der Archivierung verfolgt der Keramiker Martin Kunze aus Gmunden im Salzkammergut.
Im letzten Sommer, grob gesagt im Jahr 2012 unserer Zeitrechnung hat er sich mit der Stadt Hallstatt zusammen getan. Das Weltkulturerbe verfügt über reichlich Salzstöcke, hochsichere Höhlen, in denen man alles Mögliche für die Ewigkeit lagern könnte (nein, kein Atommüll). Die HallstätterInnen sind viel kreativer. Ein riesiger ehemaliger Salzstock steht für das Memory of Mankind Projekt bereit. Ziel des ehrgeizigen Projekts ist es, einen möglichst genauen Abdruck der Welt unserer Tage in den Kammern zu lagern. Nicht auf Festplatten, nicht auf CDs, Papier oder Microfilm, sondern schlicht mit hoch UV-Licht-beständigen Farben auf genormte ca. zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter große Keramikfließen gedruckt. Bis zu hunderttausend Jahre sollen die Informationsträger überstehen, verspricht Martin Kunze. Selbst einer Eiszeit mit fünf Kilometer dicker Eisfläche können die Alkoven in den österreichischen Alpen standhalten.
Memory of Mankind – wer nicht dabei ist, wird nie existiert haben
Ein ausgeklügeltes Archivierungsmuster sorgt dafür, dass alle Fließen übersichtlich wie in einer Bibliothek sortiert sind. Obendrein werden ebenso dauerhafte Plaketten in Umlauf gebracht, welche den Lagerort markieren. Sie sollen sich über den Globus verteilen, um in ferner Zukunft gefunden zu werden. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich, dass es in Hunderttausend Jahren noch ein Hallstatt, ein Österreich, gar ein Europa, geschweige denn Landkarten gibt. Wie weit die Kammern derweil kontinental verschoben werden, müssen Geologen berechnen. Wo auch immer das Archiv sich in hunderttausend Jahren befinden mag, sicher ist, dass die Erinnerungen unserer Zeit dort unversehrt lagern. Kunzes Konzept ist ebenso gegenwärtig, wie es zukunftsorientiert ist: ausdrücklich darf sich jeder daran beteiligen, einen möglichst authentischen Abdruck unseres Alltags in das Archiv einzustellen. Von sportlichen Leistungen über politische Ideen und künstlerische Visionen soll das Archiv alles beherbergen, was in unserer Zeit schillert und schimmert. Von jeder Archiv-Keramik wird es zwei Abdrücke geben. Einen in der Salzkammer und einen für denjenigen, der ihn für das Archiv bereit stellt. Somit ist auch ein direkter Nutzen als Souvenir, Geschenk oder gar als Kunstwerk verknüpft.
Das ist doch eine Idee für ein künstlerisches Projekt, sagt sich Herr Irgendlink. Kunst mit allerhöchster Langlebigkeit. Das Bild zeigt einen Entwurf für das Memory of Mankind Archiv eine Bildmontage von meiner letztjährigen Nordseeumradelung – wie ich finde trifft im speziellen fall die gelebte Gegenwärtigkeit, die das Projekt letzten Sommer verkörperte auf ein gerüttelt Maß Ewigkeit.
Memory of Mankind als Kunstarchiv
Im Grunde steht einer künstlerischen Nutzung des MOM Archivs nichts im Weg. Der / die Sammelnde erhält neben einer Keramik zusätzlich die Gewissheit, dass eine – die einzige – Kopie des Werks in einem Salzstock liegt.
Soweit die Gedanken der Kunstmaschine (moi même). Ich verbleibe mit dem Slogan des MOM Projekts:
Wer nicht dabei ist, wird nie existiert haben :-)
- Das Projekt Memory of Mankind findet Ihr auf der Homepage http://www.memory-of-mankind.com
- Wikipedia über Hallstatt im Salzkammergut
so faszinierend das ganze ist und so toll ich deinen entwurf finde, ein leises gruseln befällt mich dennoch zu dieser geschichte.
natürlich finden wir menschen der jetzt-zeit es spannend, die spuren der früheren menschen zu finden und zu lesen. und zu interpretieren – ob falsch oder richtig sei dahingestellt.
und doch … irgendwie und irgendwas ist da, das mich inwendig aufwühlt … vielleicht die frage, warum ich nicht einfach mal richtig hier und jetzt und überhaupt leben (lernen) sollte, bevor ich spuren in die ewigkeit (sprich nachwelt) lege. natürlich frage ich mich auch: was habe ich denn der ewigkeit schon zu hinterlassen? gibt es etwas, das mich überleben wird/soll? will ich das? und wozu? und wenn nein, warum nicht?
ja, das ist nun meine persönliche reaktion. ich weiss, dass du konkrete dinge zu hinterlassen hast. und drum finde ich es auch gut, dass du daran arbeitest. go on!
ich bin gespannt, was sich hier zu diesem thema für diskussionen entspinnen werden.
liebe grüsse in die runde, soso
Die Ewigkeit interessiert sich nicht für uns. Aber ich kann mir vorstellen, dass in der Zukunft die Forschenden froh sind um alles, was sie finden können.
In welcher Sprache sollen denn die Erinnerungen gespeichert werden? Ich glaube, weder Sprache, Symbole noch Bilder bleiben sehr lange verständlich. Ein paar hundert Jahre, und es wird schon schwierig.
Im Zweifel wird in hunderttausend Jahren jemand die Fliesen finden (oh, hübsch bunt!) und sein Bad (oder was man dann so hat) damit kacheln, was ich auch irgendwie hübsch fände.
Das wäre mal was. Privatbad gefliest mit hunderttausendjahrealten Dokumenten :-)
Die Sprache ist egal. Uns ist ja auch egal, wie die alten Ägypter gesprochen haben. Hauptsache, es ist logisch genug, dass jemand es entziffern kann.
durch die fülle der informationen werden die enthaltenen sprachen auch entzifferbar sein.
universitäre sprachinstitute entwerfen tafeln als entschlüsselungshilfe: fotos mit dingen, die über 100.000 jahre gleich beiben (berg, wasser, sehen, gehen, essen,…) und die entsprechenden worte dazu. einfache sätze werden aus diesen worten gebildet.
eben ganau das, was sich sprachwissenschafter heute von einer toten sprache wünschen würden …
und die hölenmalerei verstehen wir auch nach 30.000 jahren noch.
sprache als system wird sich auch in 1000en jahren nicht verändern, (subjekt, objekt, verben, ist im prinzip in jeder sprache gleich).
du hast recht, der semantische inhalt von worten, der verändert sich schnell, schon innerhalb von 2 generationen, dennoch können wir heute texte verstehen, die 200 oder 1000 jahre alt sind, weil wir einen kontext konstruieren (von dem wir hoffen, dass er nahe an der realität ist).
in MOM hinterlassen wir erstmals in der geschichte der menschheit bewusst soviel unterschiedliche information, die nicht von einer institution ausgewählt und verwaltet wird.
Deshalb mag ich es: es ist weitgehend ungefiltert und somit unzensiert.
Ich freue mich, Kunst in MoM einbringen zu können. Die erste Tafel ist im April 2013 in den Berg gewandert.
Wenn sehr viel erhalten bleibt, dann haben die Historiker viel zu tun. Die sind sicher froh, wenn die Taten und Werke sich irgendwie zu einer gewissen Übersicht zusammengeschrumpft haben. Im Herzen derer, die Du liebst, bist Du ja noch ein Weilchen.
Übersicht, das ist das Schwierige. Die ist ja schon im Jetzt ein Problem.
Das nenne ich mal eine geniale Idee. Spätere Archäologen werden ihre Freude an den Ausgrabungen haben. Das bunte Mosaik, das entstehen würde, ergäbe für sie sicher ein spannendes Rätselraten.
Wir sorgen dafür, dass es unseren Nachfahren nicht langweilig wird. :-)
Liebe Grüße, Szintilla
Schöne Idee, wenn ich mir allerdings deren Webseite ansehe, fürchte ich, dass es nur so von Hundefotos, badenden Kleinkindern und Eigenheimansichten wimmeln wird. Vielleicht richten sie ja Abteilungen ein: Alltagskultur, Kunst, Politik usw.
Wobei natürlich auch die Alltagskultur interessant sein kann. Auch wenn wir heute die Familienfotos ganz grauslig finden. In schon 20 Jahren sind die Dinger wieder interessant, wie das Metzer Projekt Conserverie (www.cetaitoucetaitquand.fr) zeigt.
Und sehr wahrscheinlich wird in schon 100 Jahren ganz anderes als große Kunst angesehen als heute, wie das Beispiel von Heinrich Bürkel und Carl Spitzweg belegt. Um 1850 war Bürkel der Star in der Münchner Kunstszene und sein Freund Spitzweg eine Randerscheinung. Heute ist es umgekehrt.
Interessantes Projekt auf jeden Fall. Wobei beim Preis eine gesponserte Variante eingeführt werden könnte für herausragende Beiträge. Sonst kommen nur die zahlungskräftigen Kunden rein, was nicht immer die besten Beiträge sein dürften.
Grüße
Klaus
Ich habe das Gefühl, dass man in dem Fall gar nicht werten sollte, was wichtig oder unwichtig ist. Die Forschenden der Zukunft werden sich sowieso ihr eigenes Bild machen. Da hast du mit Spitzweg und Bürkel schon ein greifbares Beispiel gegeben. Es findet in dem Salzstock eine Kategorisierung statt, glaube ich. Und es gibt auch geponsorte Kacheln für kulturelle Projekte, hat mir Herr Kunze versichert. Leider konnte ich mich noch nicht für ein Werk entscheiden. Meine Überlegung war, die Nordseerunden-Zentralkachel, ungefähr wie im Beitrag gezeigt, einzubringen und alle weiteren Kacheln mit unikaten Kunstwerken darauf zu referenzieren – sämtliche Archivbestandteile tragen eine ID.
Natürlich beschäftigt mich die Frage, wer kann mit einer skizzierten Kontur der heutigen Nordsee auf vielen bunten Bildern etwas anfangen in einer Zukunft, in der es keine Nordsee gibt, in der womöglich tausend Meter Eis darüber liegen? Kann man in der Zukunft mit Satellitenkoordinaten etwas anfangen? Welchen Bezugspunkt kann man überhaupt nutzen – ist der Nordpol in Zukunft da, wo er heute ist? Usw.
es ist richtig, es gibt kategorien:
„privat“ , „institution“, „persönlichkeiten“,
mit zwei archäologen (claudia theune, uni wien; anton kern, nhm wien) sowie philosophen (k p liessmann, uni wien) wurden diese kategorien als sinnvoll erachtet.
in der kopfzeile jeder tafel ist diese kategorie angegeben. daneben noch ein sprachkürzel (jeder soll in siener sprache schreiben, die MOM projekt- beschreibung ist auf einer optisch gleich aussehenden tafel (tafel nr 1) in die jeweiligen sprachen übersetzt und dient als „rosettatafel“) und bei bedarf den koordinaten (bei gebäudebeschreibungen zb) (das heutige koordinatensystem ist auf einer tafel erklärt mit dem referenzpunkt des archives , die kontinentalverschiebung innerhalb von 100 000 jahren kann schon ein paar km sein zwischen gegenüberliegenden punkten auf der erdkugel. aber 1. kann die plakette mit dem lageplan ohnehin nur eine gesellschaft finden, die einen ähnlichen wissensstand wie wir seit mitte der 80er jahre hat und 2. ist die lage markanter punkte angegeben (gipfel, vulkane, steilküsten) die sich innerhalb 100 000 jahre nicht wesentlich verändern und somit als referenz zur kontinentalverschiebung herangezogen werden können.
zu den kategorien: PRIVAT
mit sicherheit werden einige redundante ereignisse beschrieben werden (hochzeiten, taufen, geburtsage…) dennoch macht die masse es aus, dass ein kohärentes bild unserer heutigen zeit gezeichnet werden kann.
wir hinterlassen ja sonst nichts. von den alten ägyptern haben wir wenigstens ein paar malereien aus privatgräbern, um einen einblick in das alltagsleben zu gewinnen.
INSTITUTIONEN: museen lagern die wichtigsten exponate ein. museumskultur beschreibt indirekt unsere gesellschaft, auch wenn es sich um alte artefakte handelt. (zb naturhistorisches museum wientafel nr 105-209)
Universitäten werden die besten diplomarbeiten in MOM verewigen, stehen diese doch für den aktuellsten satnd der wissenschaft. (zb tafel nr 210-212)
medizinische erkenntnisse (wirkungsweisen von substanzen) können von definitivem wert für zukünftige finder sein.
MOM löst auch das problem der atomsemiotik (siehe wikipedia) :
in MOM ist eine liste sämtlicher endlagerstätten mit beschreibung.
am eigentlichen ort des endlagers müssen nur noch die plaketten (plakette: siehe mom webseite) mit dem lageplan verteilt sein.
PERSÖNLICHKEITEN
prominent ist man nicht auf grund eines lottogewinnes sondern weil wir (das publikum) ein bestimmtes talent (oder dessen gegenteil ;-) ) sehen wollen.
promis wiederspiegeln somit direkt und indirekt unsere gesellschaft.
noch ein wort zum „einheitlichen bild unserer zeit“:
zukünftig wird durch ein MOM package, das jemand in der reichen hemisphäre bezahlt, eine tafel mit-produziert, die jemand in ärmeren gegenden erstellt hat.
(wie das funktioniert ist zuwenig platz hier)
ich stehe diesem projekt auch eher zwiegespalten gegenüber, alles was man heute findet, entdeckt man, weil es, warum auch immer noch, erhalten blieb, alltagsgegenstände, keramiken, schmuck und knochen, wenn ich nun aber extra etwas herstelle, damit in hunderttausend jahren jemand damit seinen rätselratspielchen frönen kann, dann nimmt es die direktheit des jetzigen lebens weg, er findet konstruiertes, was irgendwer meint, dass es unbedingt der nachwelt erhalten bleiben soll …
so spannend ich auch archäologische funde finde, sie sind und bleiben zufällig und genau das ist es, was mir gefällt!
ausserdem kann ich überhaupt nicht hundertausender schritten denken, ich glaube noch nicht einmal, dass es dann noch diese form von leben auf dieser erde gibt …
hach der mensch und sein unstillbares verlangen etwas für die nachwelt erhalten zu wollen, treibt neue blüten ;)
nichts gegen deine kachel, sie ist klasse!
liebe grüße ulli, die hier immer zu spät kommt, weil es einfach nicht funktioniert, dass ich benachrichtigt werde, obwohl ich es immer wieder anklickte, verwaltete und … stöhn auf: WP …