Auf in den Süden – Belgiens südlichstes Dorf

Die N88 ist mangels alternativer Radstrecken meine Begleiterin von Athus bis Virton, etwa 20 bis 30 km stark befahrene Nationalstraße, was mich früher schier in die Verzweiflung getrieben hätte. Lärm und Dieselrußgestank, LKWs, die Autokolonnen hinter sich her ziehen, zudem ist die Straße an manchen Stellen so schmal, dass man als Radler zum Verkehrshindernis werden kann. Ob es am Alter liegt, oder an einer erlernten Demut im Laufe der Jahre oder gar daran, dass ich erkannt habe, dass man sich nicht gegen die Unabdingbarkeiten der bereisten Strecke auflehnen kann? Ich fühle mich nicht unwohl auf der 88.

In einer Boulangerie kaufe ich ein Sandwich für 3.50, eine Fanta und ein Eclair, ein bappig süßes, mit Pudding gefülltes Teilchen, das aussieht, wie eine Bockwurst im Brötchen. Mit sieben Euro gesamt wäre ich wohl in Deutschland nicht davon gekommen. In allen Dörfern und Städtchen an der N88 sind die Straßen aufgerissen, wird gebaut, verlegt man Kabel. Uralte Mercedes-Laster kommen zum Einsatz, dreißig-Liter-Diesel-Verbräuche bis zum Abwinken, und die Arbeiter schneiden mit riesigen, lauten Felxen, Ritzen in den Asphalt und tragen dabei weder Staubmaske, noch Gehörschutz. An einem Telegrafenmast macht sich ein Arbeiter zu schaffen, indem er zwei Leitern aneinander gebunden hat, und nun in waghalsiger Höhe irgend etwas fummelt, woran ich nicht glauben will. Gibt es denn hier keine Berufsgenossenschaft? Wo ist die Hebebühne? Das Land wirkt arm, oder wenigstens arm unter den Reichen außenrum: uns, den Deutschen, den Franzosen, und jenen, denen das Gold bis zum Hintern steht. Es staubt und riecht nach verbranntem Diesel an der N88. Aber hey, das gefällt mir. Die Menschen sind so herzig, wenn auch etwas zurückhaltend, was den euphorischen Gruß betrifft, den man dem fremden, pittoresken Fernstreckenradler entgegen bringt. Aber sobald man stehen bleibt und sich beschäftigt mit seinem Gegenüber, spürt man die Wärme. Für den urbanen Trash-Fotografen in mir, ist die Schicht aus abblätternder Farbe, die die gesamte Gegend zu überziehen scheint, sowieso ein gefundenes Fressen. Geborstene Fensterscheiben und leerstehende Tankstellen, alte Gehöfte und wuchtige Kirchen stehen im bizarren Kontrast zum riesigen Weideland ringsum. Wenn ich mit den Leuten spreche, fühlt es sich ein bisschen an, als würde ich mit Portugiesen sprechen, die französisch können. Die Sprache klingt hart und südländisch und ich habe alle Mühe, mich trotz guter Französischkenntnisse zu verständigen.

In Virton, dem Ziel meiner Etappe am dritten Tourtag, wird mir der Lärm doch ein bisschen zu viel. Feuerwehr rückt aus, Polizei und Krankenwagen folgt. Etwas scheint passiert. Zudem der herkömmliche Feierabendverkehr, Hektik und Gestank. Auf dem Platz vor der Kirche, die sicher eine bauliche Besonderheit ist (romanisch? Ich kenne mich mit Baustilen nicht aus), riecht es wie das Belgien meiner Phantasie: nach Frittenfett. In meiner Vorstellung, und vielleicht in der Vorstellung vieler Fremder, ist Belgien das Land, in dem alles frittiert wird: Pommes Frittes natürlich, Fisch, Fleisch, aber auch Salat, Pudding, Obst … ich beliebe zu scherzen. In Deutschland hat Frittieren etwas Anrüchiges (im wahren Wortsinn) – Lebensmittel werden in wertlosem, überaltetem, kochenden Öl irgendwie gesotten, und an billigen Fressbuden verkauft. Wenn du je den Frittiergeruch in Virton gerochen hast, wirst du deine Meinung zu dieser zweifelhaften Art der Mahlzeiten-Zubereitung grundlegend ändern müssen. Ich versäume den Test am realen Objekt und darf mir eigentlich kein Urteil erlauben. Aber ich denke, vier bis fünf Gourmetsterne könnte ich alleine für den feinen Geruch von Virton vergeben.

In der Tourist-Information gibt man mir ein paar Karten der Region Gaume, dessen Hauptstadt Virton ist und ich spähe einen Campingplatz aus im äußersten südlichen Zipfel von Belgien, „A la Ferme“, also ein Bauernhofscamping. Torny ist auch gleichzeitig die südlichste Stadt des Landes und sie trägt das Siegel: „Eine der schönsten Städte Belgiens“. Der Zeltplatz ist karg, einfach, günstig, nur fünf Stellplätze an der sehr ruhigen Landstraße. Ganz nach meinem Geschmack. ich bin der einzige Gast.
Bild: Aubange Straßenszene

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2 Antworten auf „Auf in den Süden – Belgiens südlichstes Dorf“

  1. Nun, die Vorfreude, bestimmt heute morgen das Betthupferl nachgereicht zu bekommen, ließ mich dann doch einschlafen……;-)
    Nur noch 387 km bis zum Meer, yippieeeeeh!

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