Ich kann machen, was ich will. Es wird immer beinahe drei Uhr nachts, bis ich ins Bett komme. Das verträgt sich schlecht mit der Werktätigkeit und mit dem natürlichen Erwachen. Die Schere zwischen Freischaffen und Lohnerwerb klafft. Was passiert, wenn sie sich einmal schließt. „Denk nach, Mann!“ Ich reibe mir die Augen von Schlaf. „Scheren sind zum Schneiden da. Zum Ab-Schneiden!“ Um neun Uhr 50 koche ich Kaffee, fahre den Rechner hoch, versuche die Gedankenfetzen, die sich aus den Träumen herüber gerettet haben, zu sortieren. SoSos Worte, die sie direkt nach dem Aufwachen sagte, klingen nach: „Wie lange dauern Träume? – Paar Sekunden?“ – „Oooch, so 10 Sekunden vielleicht“, sage ich oder denke es nur. Ofen schüren. Es ist jeden Tag das Selbe, Verkleidung als Wurst anlegen (viele verschiedene Schichten Kleider anziehen, bis man dick wie eine Wurst aussieht), „der Winter hat es aber in sich“ denken, „aber hallo“. Fensterläden aufklappen. Zwei Zentimeter Schnee. Von Südwesten dringt ein Gerappel durch den seichten Nebel. So als würde ein riesiger Bagger ein Haus abreißen. Aber dort ist doch nichts zum Abreißen? In einer Gedankenschleife handele ich das ewige Wiederkehren von Alltäglichem ab, Dass das Leben eine Kombination von Gewohnheiten ist und dass es mit zunehmendem Alter schwerer wird,, die einzelnen Gewohnheitsmodule zu vertauschen, oder neue einzuführen. „Du musst dich zum täglichen Schreiben zwingen. Nur so kommst du voran mit deinen Projekten.“ Also stelle ich die winzige Bluetooth Tastatur auf den Küchentisch, mein mobiles Büro. Während der Kaffee endlich zu surren beginnt, Entscheide mich doch für den echten PC. Schließlich bin ich noch nicht unterwegs da draußen in dem Europa, über das ich demnächst berichten möchte. In meiner Phantasie stelle ich mir vor, die Reise in SoSos winziger Künstlerbude zu simulieren. Ich starte beim Ofen, simuliere am nächsten Tag im Bad die erste Etappe, ackere mich übermorgen bis zum Esstisch vor, auf dem ich die Tastatur und das iPhone, mein Mini-Büro, aufbauen werde und so tun werde, als schriebe ich unterhalb der Klippen von Dover einen fulminanten Blogartikel, Ich sende ein rasantes Bild aus der Küche, das aussieht wie ein schottisches Castle, einen eiskalten Eintrag aus dem Flur, der die Garstigkeit einer Atlantik-Überquerung simuliert, kurve in fjordesker Manier die Treppe hoch ins Schlafzimmer, vorbei am Ikearegal, lege das mobile Büro aufs Kopfkissen und kreiere, auf dem Bauch liegend, eine Bildergalerie mit Rentierbildern aus Schweden … live!
„Ums Meer“ ist noch weit. Letzte Nacht habe ich endlich an meiner Jakobsweg-Rekonstruktion weiter gearbeitet und die ersten zehn Kapitel online gestellt. Ich nutze die Buch-Funktion einer Drupal-Installation auf dem Server. Man kann die Seiten chronologisch in Druckform ausgeben. Jakobsweg 2.0 wird nicht gedruckt werden und ich werde auch kein Geld dafür verlangen. Es soll als Pioniertat stehen bleiben. Immerhin ist es mein erstes live im Blog geschriebenes Buch.
Dass ich es nun über ein Jahr nach Entstehen noch einmal lese – die Überarbeitung erfordert das – berauscht mich geradezu. Und beflügelt mich. Ich weiß, dass ich in „Ums Meer“ noch zulegen kann.
Auf einer Vernissage mit excellenten Fotos von zwei excellenten Künstlern ist mir gestern klar geworden, was mir in der Kunst immer gefehlt hat: Wenn sie gemacht ist, das Foto geschossen, das Bild gemalt, das Buch geschrieben, dann ist alles vorbei. Ausstellungen finde ich langweilig, verkrampft. Für den Künstler und den Galeristen ist es purer Stress, für die Besucherinnen und Besucher oft nur eine Pflichtübung. Der künstlerische Prozess ist obendrein von jeglichem Schmutz, Schweiß, Mühen bereinigt. Was bleibt, sind tote, gerahmte Bilder, die schön aussehen und nicht nach verwester Katze stinken – zum Beispiel. Wirklich zwei excellente Fotografen, die sich in die Bunker und Höhlen der Gegend begeben haben, um von Schmutz und Gefahr Bereinigtes auf den Präsentierteller zu bringen. Es gab Häppchen, Sekt, Hochglanz an weißen Wänden in hellen Räumen.
Ich möchte so nicht. Ich kann so nicht. Mein Leben ist zu kurz, um es auf diese Weise zu vergeuden. Deshalb muss ich „Da raus“ und deshalb ist meine Galerie und meine permanente Vernissage hier in diesem Blog.
du beschreibst sehr schön, wie ich mir meine 40tägige fastenreise vorstelle ;o)
und was du zum kunstmarkt schreibst, sagte gestern schon luisa francia: ach, lass mich doch damit in ruhe!
herzliche grüße u.
Krampf ist Galerie. Galerie Krampf- und diese Eröffnungsreden, die Häppchen, das Sektchen.
Deine kerouacsche Reisewildheit ist fjordesk….ös und unvermutet noch viel mehr! Hart an der Kante- und unten liegen die stinkenden Totkatzen. Wow!
LiSsi, Dein 40 Tage Experiment ist beneidenswert. Ich glaube, der moderne Mensch schafft es leichter, die Zeit ohne Essen auszukommen, als ohne soziale Netzwerke :-).
Wildgans, ich glaube, erst bei dieser Vernissage ist mir bewusst geworden, was mich an Vernissagen wirklich stört: dass etwas verloren gegangen ist.
öhm… so ganz ohne essen werde ich auch nicht in den 40 tagen sein, das wäre mir dann doch eine nummer zu groß ;o) aber eben… stark eingeschränkt!
„etwas ging verloren“… jaha etwas viel, oderr?!