Am Horizont eine Lücke Licht

Das Jahr fürs Feine neigt sich dem Ende. Die Zeit wird knapp. Nur die Erkenntnis, dass die Einteilung der Zeit durch die Menschen eigentlich eine willkürliche Angelegenheit ist und dass es schädlich ist, auf Zeitpunkte hinzuarbeiten, hält mich zurück in Panik zu kollabieren. Wenn ich tatsächlich am 31. Dezember mit den finalen Aufräumarbeiten auf dem einsamen Gehöft und in meinem Leben fertig sein wollte, müsste ich das Jahr um sechs Wochen verlängern.
Auf dem Weg zur Arbeit besinne ich mich heute morgen einer alten, selbst erfundenen Technik: zuerst die Dinge bis ins feinste Detail groß zu denken, um eine Art Straßenkarte zu haben, nach der ich arbeiten kann, und dann nach Abkürzungen zu suchen. Jede meiner Ausstellungen funktioniert nach dem Prinzip. Ich plane, als hätte ich alles Geld, alle Zeit und alle Ideen der Welt aber handele in vernünftigem, den beschränkten Ressourcen angepasstem Rahmen.
Trotzdem rinnt die Zeit und tickt die Uhr tickitick tickitick tickitick tack tack.
Kurz vor der Schlucht des Vergessens, die ich alltäglich durchquere auf meinem Weg zur Arbeit, erstelle ich eine Prioritätenliste, um die wichtigen Erledigkeiten von den unwichtigen Erledigkeiten zu unterscheiden, komme dabei zu dem Schluss, dass das, was am wichtigsten ist wegen widriger Umstände ganz nach unten auf der Liste gerutscht ist: ICH steht als letzter Posten darauf. Und davor kommen Loungemöbel, die Homepages für eine Galerie, einen Künstler, eine Busgesellschaft. Aber Geld ist doch auch wichtig, schreit etwas in mir. Hallt wie Echo in der Schlucht des Vergessens.
Manchmal wünsche ich mir, ein friedlicher Loungemöbelbauer zu sein, der nur diese eine Funktion ausübt und ansonsten das Leben genießt. Ein Mensch mit Feierabend ohne Flausen im Kopf. Als Künstler ist man 24 Stunden am Tag im Dienst. Vielleicht ist das noch nicht einmal übertrieben, denn oft nimmt man die alltäglichen Kreativdinge und den Hick-Hack der Selbständigkeit mit in die Träume. Sich hin und her wälzend, ohne sich morgens zu erinnern, was man im Traum abgearbeitet hat.
Mit einer Prioritätenliste, auf der zuoberst 37 schneeweiße Loungemöbel für einen Tabakkonzern stehen, steuere ich auf die Zielgerade zur Werkstatt. Die Straße führt nach Süden. Hochnebel hängt über der Stadt und am Horizont versucht sich die Sonne durchzukämpfen. Fast wie früher, als ich durchs Rhonetal Richtung Marseille radelte: ein heller Streifen hängt im Süden. Ein Weg Richtung Licht. Es macht Mut, sich daran zu erinnern und den Geschmack eines dampfenden Alpenflusses bei plus drei Grad zu vermuten, wie er in der Nähe von Valence beinahe schon in die Rhone mündet.

Ein Traumfetzen der letzten Nächte zeigt moimême in düsterer Szene auf einem Segelboot auf einem Ozean. Dämmerung und Sturm. Ich glaube, das Boot war im Begriff zu sinken, als ich erwachte und mir sagte, das ist eine erstrebenswerte Szene für die eigene Zukunft, auf die man hinarbeiten könnte. Selten stelle ich mir vor, wie mein Leben enden könnte. Die Idee im Pazifik zu versinken gefällt mir. Ich sollte einen Segelkurs belegen.

Ich spähe nach einer Abkürzung.

6 Antworten auf „Am Horizont eine Lücke Licht“

  1. Ähm, gerade beim nochmal Fipptehlerlesen fällt mir auf, dass die Abkürzung falsch verstanden werden könnte: gemeint ist, möglichst schnell auf das Schiff zu kommen und quietschlebendig im Mittelmeer zu schippern. Der Pazifik hat noch ein paar Jahrzehnte Zeit.

  2. Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück“, schreibt Gottfried Benn. Aber die Quälereien, bei Stefan „die Geister, die ich rief“ haben auch ihren Wert, sonst hängt man zuletzt an der Geldfrage fest.

  3. da bin ich jetzt auch froh dies hier noch von dir nachgefügt zu lesen… denn lebensmüdigkeit kam eigentlich vorher nicht vor… eher viel leben, nur… wie es am besten managen?
    ich schreibe auch immer mal wieder listen, finde spannend, was dann während des tages in den fokus rückt und was dann eben unter: „später…“ wieder ganz nach unten rutscht… wäre mal eine collage wert..

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