Wie gewohnt sonnig. Ich erhole mich langsam von dem Beinahe-Burn-Out. Es war tatsächlich knapp. Nicht gut, an die Lohnarbeit über einen Monat lang noch fünf Stunden Kunstschinderei zu hängen. Gelohnt hat es sich. Die Galerie sieht leer aus, seit ich die verkauften Bilder ausgeliefert habe.
Erst habe ich das mit dem Ausbrennen nicht bemerkt. Erst letzten Montag ist mir klar geworden, wie weit ich die Grenze überschritten habe. Alles geschah im Kopf. Und der Kopf war auch die Zentrale allen Dilemmas. Er war nicht mehr abzuschalten. Tag und Nacht das Geratter der Gedankenmühle, Termine, Ideen, Pflichten, gemischt in einer faden Suppe des sich Dahinschleppens. Ich jammere nicht. Ich habe nur einen Fehler gemacht. Ich habe zu viel gewollt.
Das Erschöpfungsproblem hat sich in zwei Dingen geäußert: Ich habe keine Freunde mehr angerufen. Und wenn sie mich angerufen haben, habe ich nicht zuhören können, so dass die Gespräche meist „Blablablabla“ und „mhm, ja, achso, dassss isss ja interessant“, verliefen. Für solche Art Kommunikation lohnt es sich eigentlich nicht, Mensch zu sein. Ich schäme mich dafür. Manchmal habe ich den telefonhörer gar nicht abgenommen, weil ich gesehen habe, dass jemand anruft, bei dem ein erhöhtes Maß an Konzentration nötig ist.
Das zweite Ding, an dem die Erschöpfungssache klar wurde ist: ich habe meine Gesundheit vernachlässigt. Den Zahnarzt nicht aufgesucht zum Beispiel. Die Idee, einen Termin zu machen, war Tag und Nacht da, aber ich habe sie nicht umgesetzt. Erst heute hab ich den finalen Anruf endlich getätigt. Die Assistentin setzt mir mit zwei möglichen Terminen gleich die Pistole auf die Brust: Mitte Oktober nachmittags oder jetzt. Ich entscheide mich für „Jetzt“, weil ich keine Angst vor dem Zahnarzt habe und weil ja die Erschöpfung endlich nachlässt.
Runter in die Stadt mit dem Fahrrad, was eine wahre Lust ist, bei dem schönen Wetter. Ich bin der Junge mit dem wehenden Haar, die Augenmaschine, die schnappschießend die Gegend durchstöbert. Amerikastraße 26, tolle Haustür, nigelnagel neues Einfamilienhäuschen, gelbe Klebebänder an Dunkelblau. Ich hab das Bild schon gestern gesehen, konnte es nicht knipsen, weil der Makler vor dem Neubau stand. Man will ja nicht auffallen. Heute kralle ich mir das, sage ich, nur noch 10 Minuten bis Zahnarzt. Düdelüdelüt, Film Vorspulen. Beim Zahnarzt, vor dem ich keine Angst habe, läuft alles wie am Schnürchen. Zu recht habe ich keine Angst, weil er zu der seltenen Gattung Zahnärzte gehört, denen man 100 Prozent vertrauen kann. Rein, raus, geröntgt und beraten. So keuche ich die Kreuzbergstraße hinauf mit dem Fahrrad, das sich nach Langstrecken sehnt, überhole einen telefonierenden Inder, begegne bei Haus Nummer 98 einem Glatzkopf mit Vollbart, der mir lachend entgegen ruft, „Kein Spaß“, ich ihn liebe, deswegen, wegen der Worte, wegen seines Grinsens, wegen seinem federnden Schritt und weil die Sonne so schön scheint. „Kein Spaß“, sag ich, hechel, hechel. „Umgekehrt isss bessa“. Kaum 100 Meter weiter wohnt Freund N. wuselnd in der Garage, so dass ich anhalte und ihm einen Gruß erbiete. Das wäre nicht möglich, wenn ich ausgebrannt wäre. Wir reden und ich kann mir merken, worum es geht. „Kein Spaß, den Kreuzberg hochzuradeln“, sagt er und ich erzähle ihm die Geschichte vom Glatzkopf von vor 100 Metern. Irgendwie macht es dennoch Spaß, bei der Sonne und ohne Verpflichtungen mit einem geheilten Zahn den Berg hochzuradeln.
Später beschließe ich, ins Leben zurück zu kehren zu all den Menschen, die mich sicher genau so lieben, wie ich den Glatzkopf mit dem feinen Lächeln von der Kreuzbergstraße 98. Ich will Freunde anrufen, die ich seit Monaten, Jahren, Menschengedenken nicht mehr gesehen habe und sie fragen, wie es ihnen geht.
Abends finaliere ich in der Dämmerung, indem ich acht dicke Kartoffeln schäle und neun lange Mohrrüben, zwei Zwiebeln und zwei SOLLLCHE Knoblauchzehen. Klein gehackt, an meinen koreanischen Camino-Freund Chaeuk denkend, brutzele ich das in der Pfanne und die SoSo und ich schlemmen wie HeldInnen in den Sonnenuntergang.
Hurra, es gibt ihn noch!
Schönen Gruß von der Ex-Nutella-Prinzessin nach irgendwo.
Ein Spaß, solche Texte zu lesen!
Tschick habe ich übrigens durch und wie es der Zufall will, das nächste Buch, das ich
lesemir erarbeite ist Unendlicher Spaß von David Foster Wallace.Ein Literaturgebirge!!!
noch einmal die kurve gekriegt, lieber herr irgendlik, und nun aber besser aufgepasst in der zukunft, denn ein wirklicher burnout ist absolut kein spaß!
Eben beim Aufräumen nach Kochevent über Dich und Euch nachgedacht- über Euer Künstlertum, angeregt durch die Sendung im SWR-Fernsehen, die jeden Samstagabend um viertel nach sieben kommt und über Kunst in RP berichtet- kennt Ihr sicher. Gruß von Sonja