Tag 3 erst. Es kommt mir vor, als sei ich schon Wochen unterwegs. Von Elmstein folgt der Jakobsweg dem kleinen Bach, der eigentlich Speyerbach heißt, aber ich nenne ihn einfach nur die Elm. Seit Speyer folge ich dem Bach und seit Speyer laufe ich im Wald. Laaangweilig! Aber auch schön. Dennoch komme ich mir ein bisschen sinnlich unterfordert vor, genau wie im Winter in der vernebelten Meseta. Ob man stundenlang durch Wald läuft und kaum jemandem begegnet, oder durch vernebeltes Flachland, gibt sich nicht viel. Verzweifelt krallen sich die Augen an jeder Farbe fest, die anders ist, als grün oder braun. Ein Trupp orange gekleideter Straßenbauer unweit von Speyerbrunn versetzt mich in wahres Entzücken. Ich fotografiere alle bunten Wegmarkierungen, die man hier an die Bäume gepinselt hat. Langsam steige ich das T empor Richtung Johanniskreuz. Einer der höchsten Punkte meiner Wanderung. Immer wieder kommen blitzartige Erinnerungen an den Camino vor ein paar Monaten. So unterschiedlich meine jetzige Wanderung ist, so sehr gibt es auch Analogien oder Kongruenzen. Bass erstaunt bin ich, dass im Land der Hundenarretei es ähnlich gequälte Kreaturen gibt, wie die, von denen ich bei der Caminoreise berichtet habe. Etwa jener arme schwarzhaarige Zottelhund, der in einem Zwinger bei einem Waldhaus unweit des Naturfreundehauses Neustadt sein Kümmerdasein fristet. 3 m langer Stahlzwinger, genau lang genug, dass das Tier, wenn es Wanderer sieht, Anlauf nehmen kann, mit voller Kraft gegen das Gitter donnert, Zähne fletscht, heult, sich aufrappelt, erneut anläuft und Beganntschaft mit dem gegenüberliegenden Gitter macht. Aus purem Mitleid, nicht aus Angst oder Respekt, beeile ich mich, an der Kreatur vorbei zu kommen. Fast noch schlimmer hat es einen Terrier in Speyerbrunn getroffen, den sein Herrchen (sowas machen nur Männer) aus kleingeistigem Grundstücksprotektionismus auf dem Wanderweg, der direkt hinter seinem Haus vorbei führt, angepflockt hat. Von Weitem verbellt mich das Tier. Der Besitzer hat die Leine genau so lang gelassen, dass das Tier unter aller Kraftanstrengung bis zu einer 30 cm großen Lücke vor einer Hecke fletscht. Wanderer müssen sich dort durchschlängeln, um nicht gebissen zu werden. Und Hundchen würgt sich vollgepumpt mit Adrenalin und Hass bis zur Bewusstlosigkeit. Das Gewichse kleiner Männer mit noch kleinerem Geist lugt verstohlen hinter dem Vorhang eines kleinen, verteidigungsunwürdigen Häuschens.
Bis Johanniskreuz habe ich genug Zeit, über diesen Schlag Mensch nachzudenken, den Gartenzaunprotektionisten, den Erbsenzählerund ihren kleinen Bruder, den Nachbarschaftsstreit-vom-Zaun-Brecher.
Der ewige Wald fängt an, mir auf die Nerven zu gehen. Zur Erbauung installiere ich ein bisschen Raus-aus-Leon in meinem Kopf, Trash, zerfallende Häuser, Graffities, umgestürzte Mülltonnen, Jugendbanden, brennende Autos … Tatata, Herr Irgendlink, geht da wieder die Phantasie mit dir durch?
Im Haus der Nachhaltigkeit in Johanniskreuz halte ich mich eine Weile auf, schaue eine Ausstellung, trinke Kaffee, belausche den Förster am Empfangstresen, wie er am Telefo zwei Bücher bestellt. Mehr Intimitäten. Ich weiß seinen Namen, seine Adresse, E-Mail, Kontonummer und dass er das dritte Buch aus der Reihe schon hat.
Gegenüber im Gasthof auf der Terrasse schwätzt mich ein älterer Herr an, woher ich komme und wohin ich gehe und dass ich aber ziemlich lange gebraucht habe von Elmstein hier hoch. „Ich hatte noch zu tun“, sage ich lapidar und folge dem Wanderweg mit dem roten Kreuz, wie er mir empfiehlt. Später finde ich eine total demolierte Jakobsweg-Schautafel. Die Dinger sind aus Edelstahl, fest verschweißt und einbetoniert. Das Raus-aus-Leon des kleinen Mannes sozusagen. Ich verstehe nicht, wer so etwas tut. Wer in unseren Breiten Hinweisschilder zerstört ist so drauf, dass er einem australischen Aboriginee die Stimmbänder durchtrennen würde, damit dieser seinen Weg nicht mehr ersingen kann, kommt es mir in den Sinn. Ob der Vergleich so funktioniert? Es hat etwas selbstzerstörerisches. Einige hunder Meter lasse ich das Bild der völlig zertrümmerten Telefonzelle in Elmstein Revue passieren. Dan hab ich genug Morbidität getankt, um mich wieder dem friedlichen Grün des Waldes zu widmen. Braucht der Mensch solche Kontraste. Kann man an zu viel Schönheit und Idylle zu Grunde gehen? Ein räudiger Fuchs überquert den Forstweg.
Als ich endlich die Karlsschlucht erreiche, wird mir klar, dass Schön und Friedlich immer noch schöner und noch friedlicher werden lann und genauso kann Hässlich und Bedrohlich grundsätzlich noch hässlicher und bedrohlicher werden. In beiden Fällen hat der Mensch seine Finger im Spiel.
Im voll besetzten Naturfreundehaus Finstertal vermittelt mir der Hospitalero eine Pension im Dörfchen Schopp, was mir zusätzliche 4 km in die Beine bringt. Hier hat es wenigstens Netz. Nicht auszudenken, wenn ich jetzt im Finstertal ohne Internetverbindung säße :-)
du liest dich auch so ähnlich, als wäre es nicht tag drei sondern tag dreizehn :-)
gut, dass der Tag vorbei ist
Ist es nicht unglaublich, zu welchen Kapriolen unser Geist sich fähig erweist, wenn er allein gelassen wird?
Das heißt, lieber Andreas, ich bin ein Spinner :-)))
zu viel grün und braun, dann mensch… dann menschliches… heißt das HEUTE unweigerlich zerstörungswut? vielleicht… dann wieder viel grün und braun, grün macht frieden – rot aggression, oder…? ich frage mcih oft, wenn ich hier durch die wälder streife, ob es überhaupt noch wälder sind, ich meine sind es nicht eher wirtschaftsflächen? wo ist noch wild = wild und wo ist wald noch wald… in d wahrscheinlich kaum noch zu finden… frue mich, dass es hier weigstens noch kleine stücke der sogenannten bannwälder gibt- da wird die forstwirtschaft heraus gebannt – lach
fröhliches und inspirierendes weiter wandern…
na, wenigstens hat der kleingeist mit dem hasshund seine satisfaction gehabt….und das dank deines vorbeikommens….