Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Auskosten des Geschehens. Zimmer 7 im ersten Stock. Ein Einzelzimmer etwa 8 qm groß, blitzesauber, frisch bezogenes Bett, rettungswegplan an der Tür, Schrank, Waschbecken, Stille und ein Neues Testament auf dem Tisch. Kurz: die beste Pilgerherberge der Welt.
Punkt fünf vor 12 war mein Zug in Speyer. Dummerweise noch 1,5 km bis zum Kaiserdom. Das verlängert meine geschätzte Wanderstrecke auf 25,5 km. Wenn man dem Pilgerführer aus dem Jahr 2005 glauben darf. Die Stadt ist hektisch, eisessende Mittagsmenschen flankiert von Bettlern, einer von ihnen zusammengesunken. Ein Stück Elend am Rand des Leckeisuniversums. Vor dem Dom steht die zappelnde lebende Statue, die ich vor einem Monat in Zweibrücken gesehen habe, ein schäbig gekleideter Junge mit schmerzhaftem Lächeln, so dass ich ihm eine Münze in den Hut werfe, obwohl er das nicht verdient, weil er ja zappelt. Er reicht mir die Hand, nickt, scheint mich zu erkennen. Woher er kommt? Ungarn. Budapest.
Raus aus der Stadt, im Hinterkopf den Tipp von einem Domaufseher, falls ich es noch bis Neustadt schaffe, könne ich im Herz Jesu Kloster fragen, wo ich unterkomme, wo ich esse. Ich folge dem Radweg 58, Schilder sagen 29 km bis Neustadt. Puuh. Von Speyer nach Neustadt folgt die 58 mehr oder weniger dem Speyerbach. Bass erstaunt: von Dudenhofen bis kurz vor Neustadt laufe ich nur im Wald. In der Tat ist Dudenhofen die letzte Einkaufsmöglichkeit für den 30 km Marsch. Man tut gut daran, in einem der drei Supermärkte vollzutanken. Eine unglaublich schöne Strecke. Die Gelben Jakobswegpfeile sucht man zwar vergebens, aber der Radweg und der gleich verlaufende rot-weiß markierte Wanderweg sind nicht zu verfehlen. Eine Radlerin mit rosa Brille aus Deidesheim begegnet mir zwei Mal, zeigt sich bei der zweiten Begegnung erstaunt, wie schnell ich laufe. Es gibt sonst nix zu tun hier, sage ich, nur Wald. Stirnrunzeln. Im Hintergrund geht ein abartiges Menschenkreischen, gefolgt von einem Donnern durch die Baumwipfel. Die Monsterachterbahn des örtlichen Vergnügungsparks. Intervalljubelschauer. Eine Blase Menschenglück hinter der Fassade unberührter Natur. Die Frau aus Deidesheim mit rosa Brille empfiehlt mir die Jugendherberge beim Hambacher Schloss. Würde nur 12 € kosten. Ich weiß, dass ich hier nicht so billig davon komme wie in der Meseta. Deshalb habe ich ja den schweren Schlafsack eingepackt. Gegen 8 erreiche ich Neustadt. Ein seltsamer alter Mann begleitet mich eine Weile. Wir führen ein Gespräch wie aus einem Monty Python Film über Katzen und den rechten Weg. Die Jugendherberge und das Kloster seien gleich weit weg. Der Mann war Pädagoge. Irgendwann dreht er sich um und verabschiedet sich mit verschmitztem Lächeln. Nun mein einsamer run auf Jugendherberge oder Kloster. Mal ist die Herberge ausgeschildert, mal das Kloster, mal erklärt man mir den Weg zum Kloster, weiß aber nicht, wo die Herberge ist, mal umgekehrt. In der Waldstraße macht schließlich das Herz Jesu Kloster das Rennen. Ich bin der einzige Gast in einer Villa, in der die zehn Mönche des faszinierenden Orts gerne PilgerInnen aufnehmen. Wunderbarer Park hinterm Haus, der einmal ein Steinbruch war. 20 m ragt eine Steilwand empor, auf der ein riesiges Kreuz thront. Es gibt einen Heilpraktiker-Mönch hier, sehr netter Mann, mit dem ich ein Schwätzchen halte über die Wege des Herrn oder des Schicksals oder des Zufalls. Alle sind ihm recht, mir auch. Ich weiß, dass ich jetzt hier sein soll. Aufgehoben, müde, satt.
Seltsamer alter Mann: Ich weiß, wo Sie’s kriegen können.
Irgendlink: Nein, nein, ich geh‘ lieber zum Heilpraktiker-Mönch.
Seltsamer alter Mann: Katzen fallen immer auf die Pfoten …
Irgendlink: Auf den Poten. Sie fallen immer auf den Poten.
Aus: Das Leben des
BrianIrgendlinkui, du wanderst wieder… rosa Brillen, alter Mann, zappelnder Junge und du gehst, gehst, gehst – guten Schritt und gute Begegnungen
Dankee, Ihr lieben, dankee auch für die redaktionelle Ergämzung, Axel. Genau so hat sichs zugetragen. Ich schwörs. Catum domum est – die Katze geht nach Hause :-)
Beim Glockenturm von Appenthal hab ich doch glatt wieder Netz, um Eure Kommentare zu kommentieren.
He ho.
Nachbesprechung diesmal auf meinem Balkon.
Ich nehme dann die Südroute :-)
Schöne Fotos! Gell, dieser nackte Fuß gehört dem großen Jakobspilger aus der Fußgängerzone in Speyer? Falls ja, habe ich dem vor ein paar Jahren auch schonmal über den dicken Zeh gestrichen. :D Ich kann da einfach nicht anders: wenn ich eine Skulptur mit „Abriebstelle“ sehe, muss ich da auch immer drüberfahren… und bilde mir dann ein, dass mir das Glück bringt! ;)
Schön, dass dein erster Tag auf der Strecke so erfüllend war und du auch ein gutes Nachtquartier gefunden hast! Ich hoffe, diese positive Erfahrung hat sich heute wiederholt! :)
Liebe Grüße,
Andrea
Lieber Andreas, ich wünschte, ich wäre schon da auf Deinem Balkon :-) Heut war anstrengend, hab mich im Kalmit-Masiv verlaufen.
Liebe Andrea, Du warst das also, die den Zeh poliert hat :-)
Die Statue ist über lebensgroß, schwer solo zu fotografieren, weil dauernd Menschen sich davor ablichten lassen.