iR. Gendlink – und wie er lernte, die See zu lieben

„Eine Lichtung im Wald.“ schreibe ich gegen Mittag. Eigentlich radele ich gerade zur Arbeit. Ich sollte mich beeilen. 12 Uhr ist angepeilt. Schließlich siegen jedoch 30 Jahre Europenner-Trainingslager über Pflichtbewusstsein. Ich lehne das Rad an einen Holzzaun, krieche unter den Latten durch und setze mich auf die Wiese. Jetzt schreibe ich einen neuen Blogeintrag. Ich habe so lange nichts geschrieben. Gerade eben auf dem fichtenrindenduftenden Waldweg hatte ich ein paar Satzfetzem im Kopf. Könnte ich ja im iPhone tippen und direkt veröffentlichen. Mit Wehmut denke ich an die Jakobswegreise, als es Gang und Gebe war, immer wieder zu stoppen, unter tropfenden Eukalyptusbäumen ein paar Zeilen zu hacken. Die Reisewelt ist eine andere Welt. Dies ist Las Vegas. Wild und unkontrollierbar. Desortiert, verschoben, verschroben, unruhig, von Sorgen zersetzt wie sarkoidiotisches Lungengewebe.
Kaum habe ich mich ins warme, dürre Gras gesetzt, kommen Gedanken wie Störfrequenzen und die wohl geformten Sätze, die ich noch vor wenigen Metern im Sinn hatte, sind weg. Im Dorf namens Sanddorf schlägt die Turmuhr Zwölf. Zeit in bester Dominanz. Entmutigt packe ich das iPhone aus und tippe den Titel dieses Blogartikels. Dann, als ich auf das winzige, weiße Eingabefeld starre, in dem der eigentliche Text entstehen soll, will mir nichts einfallen außer einer lakonischen Bemerkung: „Du bist nicht unterwegs. Lass es.“ Als spräche das Schicksal, stürzt die App ab und der Titel ist weg. Ein deutliches Zeichen, denke ich. Ich sattele das Rad und strebe weiter der Arbeit entgegen. Am Waldrand pausiert ein Bofrost- Mann. Das ist insofern bemerkenswert, als mir sonst nie Bofrost Autos begegnen. Immer nur sehe ich deren Konkurrenz, die Eismänner. Auf dem Heimweg sollen mir noch weitere Bofrostautos begegnen. Wirklich ungewöhnlich. Wenn mein Leben ein Horrorfilm wäre, dann wäre diese Häufung unheimlich zombiehafter Kühlkostlieferanten ein tragendes Element in dem Film. Eiskalt liefe es den Zuschauern über die Rücken.
Auf der Arbeit bin ich dermaßen montagsungeschickt, dass ich schon nach drei Stunden den Heimweg antrete, um größeren Schaden abzuwenden. Solche Tage. Es gibt ohnehin nichts zu tun, außer Möbel zu reparieren.
Die unheimlichen Bofrostautos. Einsetzende Müdigkeit. Im Nordwesten ahnt man den Wetterumschwung. Ich fahre bis zur Lichtung, nehme ich mir vor, und dann schreibe ich den Artikel vom Morgen. Irgendwas mit der Nordsee wollte ich schreiben, oder? Und dass ich wieder da raus muss, kämpfen, Liveliteratur schaffen, Meilensteine der Kunst neu einmessen. Ich denke über die nahe Zukunft nach und verpasse die Lichtung, auf der ich in aller Ruhe den Artikel über die Nordseeradeltour schreiben wollte. Stattdessen sinniere ich über eine Passage in einem Krimi von Linus Reichlin, in der es um den Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit geht. Vom Hundertsen ins Tausendste komme ich, rein gedanklich, auf dem 10 km langen Heimweg. In einem Dorf namens Kirrberg kaufe ich Brot und schlafe einen Kilometer außerhalb ein in der Sonne auf einer Holzbank in einer blühemden Obstwiese.
So eine Art Waldung im Licht.

6 Antworten auf „iR. Gendlink – und wie er lernte, die See zu lieben“

    1. Lieber Axel, vielleicht ohne es zu ahnen schreibst Du den ersten Kommentar im neuen Livebuch. Noch bin ich nicht unterwegs und es kann auch noch eine Weile dauern, bis es los geht.
      Jetzt, da ich dies schreibe, irre ich im Nebel durch den Pfälzer Wald. Seltsames Alltags „Las Vegas“.

    1. Ähum :-(
      Das Jakobswegbuch.
      Ich träume nur noch davon, es als „echtes“ Buch zu veröffentlichen.
      Nicht, dass ich aufgegeben hätte. Mir fehlen die finanziellen Anreize, Arbeit darin zu investieren.
      Nicht, dass ich ehrenamtliche Kunst- und Schreibarbeit verabscheue. Im Gegenteil. Aber wenn ich die Wahl habe, mache ich doch lieber etwas, was den Blogpionier in mir auch reizt. Ich werde dieses Jahr wieder live reisen: entweder mit QQlka durch Schweden zum Nordkap radeln, oder auf dem Nordseeküstenweg bummeln. )
      So. Jetz isses raus, wasser vorhat, der Herr Kunstbübchen :-)

    1. Es war ein sehr angenehmes Nickerchen, obwohl ich mit dem Kopf auf dem harten Fahrradhelm gelegen habe.
      Mit dem Fahrrad von der Arbeit heimkommen hat eine unglaublich entspannende Kraft. Es fühlt sich an, als hätte man gar nicht gearbeitet.

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