(Verfasst am 5. 2. 2011 zwischen 13 und 15 Uhr als Beifahrer Richtung Zürich)
1 Auto mit Aufkleber „Biernachfüllung“ auf der Heckscheibe.
Wisch weg die Hand auf deinem linken Bein. Für die Verkehrssicherheit ist es ohnehin besser.
Im Radio melden sie stockenden Verkehr und – verdammt – der Verkehr stockt und sie spielen Lullifulliliedchen am Abzweig ins Emmental: „I know we won.“ Ich weiß wir gewannen. Doch das Emmental spielt keine Rolle, wie überhaupt der Ort, an dem du schreibst eine untergeordnete Rolle spielt. Viel wichtiger sind die Umstände. Im Jackpot sind 9600 Franken zwischen den Lullifulliliedchen. Ein Flimmern liegt über der Tastatur, als wir die Unterführung Kirchberg durchqueren. Zornige Graffities an den Brücken der A1. Sonne im Rücken, parallel saußt ein D-Zug und ich versuche zum Kern von Etwas vorzudringen. Jetzt, hier, der SoSo beifahrend.
Bloggen ist überall. Ich habe das schon lange gewusst. Auch vor der Camino-Live-Geschichte. Kilometer 27,1. Seit Jahren predige ich – mehr still in mich hinein – schreibe hier und jetzt, der Alltag sei dein Nährboden. Kilometer 32,5. Die Ablenkungen des Alltags sind gleichzeitig die Nährlösung aber auch der Blocker für deine direkte Schreibe. Es gibt kein Mittel ohne Nebenwirkung außer vielleicht Kamillentee.
RA L 1003 auf einem Kennzeichen – was für eine Normfarbe ist das? Bei der Verjüngung Deitingen rasen mächtige Männlein mit ihren mannshohen 4radautos mit 60 Sachen an uns Stehenden vorbei bis ganz nach vorne. Mit Wucht zeigen sie den ahnungslosen Schafen auf den beiden rechten Spuren, wie falsch sie handeln, wenn sie sich sich 100te Meter vor der Enge nach rechts einfädeln. Es herrscht Unsicherheit und Angst sowie ein Unverständnis der Sorglosen gegen die Sorgenvollen. Am Härtesten trifft es die Erkennenden. Handlungsunfähig müssen sie mit ansehen wie die Starken die Schwachen nieder metzeln. Bei Kilometer 41.
Im Stau ist das Dasein ewig.
Nicht der Ort ist wichtig, an dem du schreibst und auch nicht die Situation. Für gute Live-Schreibe ist vor Allem wichtig, sich auf den gelebten Moment zu konzentrieren. Letztes Wochenende lag ich ein paar Stunden wach in der heimischen Künstlerbude. Besuch aus Nürnberg säußelte im Gästebett. Ruhig atmete die SoSo neben mir. Das iPhone hing in Griffweite an der Steckdose neben dem Bett. 4 Uhr nachts. In den Fingern juckte es, einen Blogartikel zu schreiben wie in den Herbergen nachts am Jakobsweg. Ziemlich ähnliche Umstände: mehrere Leute nächtigen in einem Raum und einer ist wach und schreibt alles auf. Ich. Euer Live-Blogger. Es gibt aber keine konsistente Geschichte zu erzählen im Alltag. Der Alltag ist wie Ebene. Er hat keine Höhen und Tiefen und kein Anfang und kein Ende und keine Richtung, weder Start noch Ziel (Passage vorher Cross-WM anreißen).
Km 46. Weit haben wir es gebracht.
Warum ich in jener Nacht nicht geschrieben habe? Die Angst vor der Belanglosigkeit.
Warum ich es nun tue? Im Stau bei km 46,5. – elektronisches Verkehrswarnsystem kündigt an: Unfall voraus. Wir kriechen.
Ich blogge weil die Zeit reif ist, Gedachtes in Worte zu fassen. Weil es eben doch immer Start und Ziel gibt. In der Monotonie des Alltags nimmt man sie nur nicht wahr. Sie sind unscheinbar. Nicht der Blogrede wert.
Also blogge aus Situationen heraus.
Kurz recherchiert: RAL 1003: Signalgelb Warnzeichen nach DIN 4844 und DIN 5381. Das Auto hatte einen Grauton, glaubich. (Hätte der Herr Live-Blogschmierer doch einfach dazu geschrieben, welche Farbe es hat.)
von eintrag zu eintrag
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spezifisch
filosofischer….
„Wisch weg die Hand auf deinem linken Bein.“ oder wie sag ichs meiner Liebsten, dass es mich beim Livebloggen nervös macht, wenn sie auf meinem linken Bein den Takt des Lullifulliliedchen mitschlägt? Wegwischen ist eine von vielenvielen Optionen. So charmant Hände wegwischen ist ja auch irgendwie Kunst … ;-)
Ach, und noch was … solche Artikel finde ich echt faszinierend. Vielschichtig, spontan, lebendig … go on!