„Ich bin die marode Bundesregierung der feinen Künste“, denke ich vor dem Rasierspiegel. Was denen mit Geld passiert, passiert mir mit der Zeit: eine gemeine, exponentielle Kurve, auf der wir schliddern, die mit dem Geld und dem Zinseszins und ich mit der Zeit im ewigen Rund der tickenden Sau.
So schabe ich den Bart runter – längst aufgegeben den Versuch, das täglich zu tun wie andere anständige Männer. Tickitick Tickitick Tickitick-Tick-Tick. KeineZeit KeineZeit KeineZeit-Zeit-Zeit.
Noch vor zwei Jahren hatte ich irgendwie die Hoffnung, dass sich das Leben nochmal entschleunigen lässt, dass ich das Ruder vielleicht nochmal rumreißen kann, indem ich viele langsame Dinge tue, meditiere, Rad fahre und zu Fuß gehe, anstatt mit dem Auto von A nach B zu hetzen und eine möglichst schnelle Internetverbindung anzustreben.
Nach der letzten Reise nach Andorra, damals vor zwei Wochen, muss ich diese Illusion über Bord werfen. Die Geschwindigkeit meiner gefühlten Zeit steigt exponentiell oder hyperbell – eine Phantasie sagt mir, dass dann, wenn alles gleichzeitig passiert im Kopf, der Tod kommt.
„Die fliehenden Stunden des Lebens …“ sage ich gestern zur blutjungen Kollegin A. und lege besonderen Wert auf die drei Punkte, die Ellipse am Ende des Satzes, die der Aussage über die fliehenden Stunden des Lebens ein großes Gewicht geben soll. Gerade wuchten wir um kurz vor fünf gemeinsam einen großen Tisch vom Tisch, verstauen ihn auf einer Palette und verpacken das Ganze, da zweifelt Kollegin A. dass sie mit der Arbeit wohl nicht bis fünf Uhr fertig werden wird. Ich ihr explosionsartig zu erklären versuche, dass die Zeit nie reichen wird, egal wofür sie benötigt wird und dass wir Menschen der Zeit immer weinend hinterher rennen werden, weinend wie kleine Kinder, deren Väter nach Amerika auswandern oder sowas. Nienienie hat auch nur ein einziger Mensch den Wettlauf mit den fliehenden Stunden des Lebens gewonnen. Das versuche ich der Kollegin zu erklären, besser gesagt, ich denke darüber nach, es zu versuchen. Ihr zu erzählen: „wie ich mal so jung war wie du, da hatte ich auch die Illusion, es schaffen zu können mit dem Wettlauf mit der Zeit, jawoll mein Kind, alle haben das, aber werd du erstmal 30, dann drehste schon schneller …“ denk ich nur, sag ich nicht, „und wenn du 40 bist, oha, dann sackt dir das Herz langsam in die Hosentasche, denn selbst wenn du einmal das hohe Alter von 80 erreichen solltest, ist 40 gefühlt nicht etwa Leben halb gelebt, sondern du bist eigentlich schon bei den letzten zehn Prozent angelangt.“ Denk ich so vor mich hin, gemeinsam schuftend mit Kollegin A. Die Uhr rennt gen 17. und das Einzige, was ich rausbringe ist dieser Stiummelsatz über die fliehenden Stunden des Lebens mit der Ellipse hintendran „…“
Ja, die Zeit scheint immer schneller zu rasen. Aber dennoch: Ich geniesse mein Alter. Einfach weil ich auch einen Haufen blutjunger KollegenInnen habe und mir oft denke, dass die duch all das noch durch müssen, was ich bereits erlebt habe.
Vielleicht auch n bisschen dürfen sie das erleben, gell, nicht nur müssen.
du meinst, das wird sich nie ändern mit dem hinterherrennen? ist das der fluch des lebens?
Doch. Es kann sich ändern. Aber dazu muss man auf vieles verzichten. Das widerum fällt den meisten Menschen schwer.
verzicht ist bei den meisten negativ besetzt. ich ahne, dass es mit freiheit zu tun hat.
auf der wanderung haben wir auf komfort „verzichtet“ – als beispiel – und sooo viel gewonnen.
Eigentlich natürlich: sich den Rhythmen angleichen.