Endzeitgeschwafel

Pure Psychologie. Alles?

Die Gesundheitstermine ab 40 sind lästig; dennoch lege ich eine gewisse Disziplin an den Tag, spätestens seit dem letzten Sommer, in dem ich mit so einer Art Sterbebett Bekanntschaft gemacht habe, mit dem letzten Hemd, das in der Tat keine Taschen hat, mit einem Abschluss im Geiste, einer Demut, die zu erlernen es Jahrzehnte dauert.

Alles wurde wieder gut.

Aber hin und wieder verschlägt es einen in Arztpraxen, deren Böden seltsamerweise gruselig aussehen, Linoleum oder PVC, Hygiene überall – soll das Muster der Böden in Arztpraxen die Patienten etwa an das marode Aussehen ihrer Organe erinnern?

Mitgenommen starrte ich auf den Boden, hinüber zur Wand, Blick schweift vom mitgebrachten Buch über laut hustende Menschen, ein röchelndes Kind, eine stark geschminkte 50-jährige zum Plakat für Grippeimpfungswerbung zurück ins Buch, so kriechen die Sekunden und vereinen sich zu Minuten.

Bis eine Arzthelferin durch die geschlossene Tür des Behandlungszimmers laut nach der Kollegin ruft, diese den Ruf aber nicht hört, die Arzthelferin schließlich die Tür aufreißt, an mir und anderen Patienten vorbei rennt, ein paar Seiten des Buchs vom Luftzug nach rechts geschleudert – im Behandlungszimmer röchelt ein Mann unter den Nachwirkungen eines Allergietests, man redet ihm gut zu, bleiben sie bei uns, doch er sackt weg – mehrere Arzthelferinnen den Flur zurück rennen, die Seiten im Buch nach Links geschleudert werden, sie die Beine des Patienten auf den Tisch legen und ihn zu dritt halten, eine ruft: „Ruf die Frau Doktor“, Wind im Flur Buchseiten hin, her, Seite 334 „Er beschäftigte sich eine ganze Weile mit dem Inhalt des Computers.“ Alle Wartenden schauen entsetzt und bangen mit dem Team und mit dem Dahingesackten. Die Doktorin kommt schnell aber ohne zu rennen.

Buchseiten her, Seite 308 „Sie trat einen Schritt in den Flur ohne zu zögern.“ Schlagartig geht es dem Dahingesackten besser.

Nichteinmal muss sie ihn wiederbeleben, wie alle vermutet haben, er überlebt ganz von alleine.

Sogar kann er aufstehen, um sich hinüber zur Liege zu begeben.

Von zwei Arzthelferinnen gestützt, langsam an mir vorbei, Buchseiten stehen still: „Er notierte sich die Uhrzeit. Es war 16:18 Uhr.“

Der wird wieder, denke ich und klappe das Buch zu.

Die Psychologie entscheidet über Leben und Tod. Ich starre zum Boden, erfreue mich am ruhigen Muster, welches gewiss ein äußerer Spiegel der Verdorbenheit unser aller Organe ist, schaue zur Wand, zu den anderen Wartenden. Sie husten und atmen dennoch.

Auf.

Blick auf meinen Pullover. Die Vorderseite spannt auf dem Bauch. Erstmals fällt mir der Spruch auf diesem Cinque-Pullover auf: „Imagine How Much Fun It Must Be To Work At …“ steht in kleinen Buchstaben unauffällig unter dem Motiv, welches einen Stern zeigt.

Was soll das heißen? frage ich mich. Dass es Spaß macht in einer Tackerwerkstatt zu arbeiten? „Denk mal wieviel Spaß es macht, zu tackern …“ Zu einfach. Dass es Spaß macht, an einem selbst erdachten Projekt, nenns dein Leben, zu arbeiten? Oder möge, wie der Ire sagt, der Weg mit dir wachsen?

3 Antworten auf „Endzeitgeschwafel“

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