Dass ich morgens aus einem chinesischen Mädchen mit Schuhgröße 36 und einem süßlich riechenden Bettler einen olfaktorischen Akkumulator der Spitzenklasse basteln wollte, sei einmal dahin gestellt. Die Zugfahrt zur Arbeit ist bisweilen bizarr. Auf dem Marktplatz im Städchen S. steht nun ein 3000 qm großes Zelt. Freitag in acht Tagen kann ich die drei Damen, die für Morgenunterhaltung sorgten während der Zugfahrt, dort treffen. „Ham wir Dich zugetextet,“ verabschiedeten sie mich, als ich ausstieg. Es verblüffte mich, wieviel man über seine Mitmenschen auf einer 20-minütigen Fahrt herausfinden kann.
++Wieder Erwarten Stille von Seiten der Personalabteilung im Amt ohne Wiederkehr. Typ im Sakko steht im Regen mit seinen Schönschuhchen. Chef R. rief an und sagte, es habe nichts zu bedeuten, wenn das Computersystem einem aus dem Dienst scheidenden Urlaubstage anzeige, das sei nur ein Strohhalm, an den man sich klammern könne. Neugierig fragte er nach dem Firmenduell, das Kollege N. angezettelt hat. Komisches Radiospiel im örtlichen Werbesender, bei dem zwei Firmen gegeneinander antreten und Fragen beantworten müssen. Die Gewinner kriegen ein Mittagessen spendiert. Ich glaube, Chef R. liebäugt, seine Krankheit zu unterbrechen, um mit dabei zu sein. Die Bewohner des Bundesländchens S. können ja morgen ab 9 Uhr gerne mal reinhören beim örtlichen Werbeschnickschnackradio – aber Herr Irgendlink wird sich hüten, etwas zu sagen, Herr Irgendlink macht die Wikirecherche im Hintergrund. So der Plan. Falls das Amt ohne Wiederkehr gewinnt, ist allerdings etwas ungünstig, denn um zwölf Uhr, wenn der Essensgewinn gebracht wird, arbeitet ja niemand mehr in den Rathäusern.
++Auf dem Rückweg am Bahnhof im Städchen S. Hartz IV Vollstreckerin B. begegnet, zu spät reagiert und sie hatte mich nicht gesehen und als ich sie rufen wollte, fiel mir auf, dass ich sie tatsächlich nur als „Hartz IV Vollstreckerin B.“ kenne. Verflixt. Ich weiß nicht mehr, als meine Blogleser. So kam ich mir reichlich doof vor, an den vielen Fahrgästen vorbei zu rufen: „Hartz IV Vollstreckerin B., lass uns ein bisschen über das Wetter schwätzen.“ Und ließ sie ziehen.
++Wie Vollmond schob sich die Sonnenscheibe hinter Wolken, eine seichte Wolkendecke hing in der oberen Sphäre und weiter unten gaukelten, wohl nur zur Dekoration, kleinere, dichtere Wolken, denen man mit einiger Phantasie diverse Tiernamen geben könnte.
++Zurück in Z. traf ich Frau B. auf der Straße. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben und sie trägt immer noch schwarz. Sie fegte Laub, wir wechselten ein paar Worte und zum Abschied wünschte ich einen schönen Tag, worauf sie antwortete, „ich habe keine schönen Tage.“
++Annahme: Die Welt gerät für gewöhnlich aus purem Zufall aus dem Takt; selten steckt perfide Absicht dahinter, ein System zu stören. Wenn man bei den vier Zeilen Einkaufswagen vor dem Discounter einen heraus holt aus der kürzesten Schlange und ihn später wieder in die längste Schlange stellt, entsteht Unordnung und Chaos bricht aus, wenn Alle das so machen. Tun sie aber in der Regel nicht. So herrscht normalerweise ein ausgeglichenes Einkaufswagensystem, weil die Menschen unbewusst eine gewisse Ordnung einhalten. Ich hole grundsätzlich meinen Wagen aus der kürzesten Reihe, weil der am wenigsten abgegriffen ist. SchweinegrippeSchweinegrippeSchweinegrippe. Dabei ist mir sonnenklar, wenn in Deutschland ein Einkaufswagendepot aus dem Ruder läuft, kann das in China einen Taifun auslösen. Zu Recht gilt der Einkaufswagen als der Schmetterling der Konsumzivilisation.
Das ist keineswegs sicher, dass der Einkaufswagen in der kürzesten Reihe der am wenigsten abgegriffene ist. Erst kürzlich stellte ich meinen Wagen nach dem Einkauf in die kürzeste Reihe, um die Einkaufswagenreihen auszugleichen. Er wurde gleich wieder abgeholt. Abends gab es in der Tagesschau eine Meldung über einen Taifun in China und einen neuen Schweinegrippebefall.
Ich habe keine schönen Tage.
In dem Roman „Die Flaneurin“, der in Bingen spielt und klasse geschrieben ist, kommt auch so jemand vor, aber dieser Jemand ist leicht dement und brüllt abstruseste Dinge der Nachbarin zu, z.B. Schatzilein, wir heiraten morgen- -oder: Du hast ja Papstschuhe an….
Dir schöne Zeiten und eine Klärung Deiner Prioritäten:-)
Sonia