’s war nicht das Un, es war das Ab

Absichtslos. Jetzt hab ich’s wieder, so lautete Künstlerin B.s großartiges Wort. Es dürfte dem normalen Blogleser nicht geheuer sein, dass der werte Herr Irgendlink so versessen auf ein einzelnes Wort sein kann. Die Komplexität des Absichtslosen jedoch ist es allemal wert, darüber nachzudenken. Somit ist das Wörtchen nichts anderes als Seelenschmauß. In den langen Stunden des Nur-bereit-stehens, die mir nachher beim Jazzfestival blühen, wird mein Hirn es mir sicher danken, sich am Begriff Absichtslos festzubeißen und einen der vielen Gedankenstränge, die er auslöst zu verfolgen.

Kikeriki-Mädchen

Für einen MP3-Player gibt es für den Radreisenden im Prinzip keine Verwendung. MP3-Player sind ein Fremdkörper im Kopf. Sie erhellen weder die Stimmung, noch erweitern sie die Wahrnehmung. Sie lenken einzig und alleine ab von den feinen Geräuschen, die das Unbekannte zu bieten hat. Umgeben von der Sinfonie der Sterne und dem unglaublichen Duft allen Lebenden ist man als Radreisender gut beraten, keinen MP3-Player zu besitzen.

Das Argument, man müsse die Psyche manchmal aufheitern, um Einsamkeit oder hohe Berge zu überwinden zählt nicht, denn wenn die Psyche nicht in der Lage ist, ohne MP3-Player hohe Berge zu überwinden oder die Einsamkeit als schlichtes Alleinesein zu erkennen, sollte man nicht alleine durch Europa radeln.

In Fact gab es jedoch einen Moment, in dem der MP3-Player für den Europaradelnden von ungemeiner Wichtigkeit gewesen wäre. Der Fall Kikeriki-Mädchen.

Feurs südlich von Dijon im Jahr 2000. Der Campingplatz in Feurs ist nicht besonders schön. Er ist so eine Art Durchgangslager an einer großen Straße auf dem Weg nach Süden, in das es den ein oder anderen Reisenden verschlägt. Das einzig Positive, was one über den Campingplatz von Feurs berichten kann, ist, dass er im Preis einfach unschlagbar ist. Für 7 Franc, also etwa 1,5 Euro konnte one im Jahr 2000 als Radler dort übernachten, heiß duschen und unweit der direkt daneben gelegenen Dorfdisco versuchen, Ruhe zu finden.

Dorfdiscos, das weiß jedes Kind, schließen gemeinhin um vier Uhr früh. Danach sollte eigentlich Stille herrschen. Aber wie das in Dörfern so ist, gibt es dort auch Hähne, welche ab vier Uhr früh mit lautem Krähen verkünden, aufstehen Leute, es wird hell. Eine ungünstige Konstellation verursachte in jener Aprilnacht im Jahr 2000 eine Resonanzkatastrophe der bizarren Art. Zwei wirre Mädchen, die offenbar niemand mit zu sich nach Hause nehmen wollte, lieferten sich Afterdisco mit dem Dorfhahn ein Krähduell, das gut eine Stunde dauerte, und dies, meine Lieben, ist der einzige, mir bekannte Fall, in dem ein MP3-Player einen minimalen Nutzen gebracht hätte.

„Ich schlief unruhig in jener Nacht, hatte mir Papier in die Ohren gestopft, wälzte mich hin und her … nach dieser Nacht mied ich Campingplätze, Dörfer, Zivilisation.“

Schneeschmelze vs. MP3

Noch so’n Ding. Ich glaube, daran ist die Frau schuld, die nach Marseille geradelt ist. Sie hatte nämlich einen MP3-Player mit, um sich unterwegs aufzuheitern. Das fand ich schick. Weshalb hast du eigenlich nicht so ein Ding, werter Hinterwäldlirgendlink?

Vorhin mit klaren Anweisungen, Tinte zu kaufen im Supermarkt und an der Kasse in den sündigen Verlockungskörben einen Stapel MP3 Player gefunden. Zu lange gewartet, nicht nachgedacht und einen mitgenommen. Nun hab ich so ein Ding. Es ist rot. Es wirkte billig. Der Kauf war logisch.

Die Musik ist jetzt mitten im Kopf. Hum. Dabei hatte die Schneeschmelze in der Mittagssonne auf dem riesigen Dach der Scheune so einen wunderbaren Klang.

Wort, das mit “un” beginnt gesucht – nicht unmotiviert

Die Nacht ist der Tag. Der Tag ist die Nacht. Vorhin fragte Künstlerin B. nach der Bauesoterik. Ich war todmüde, nicht in der Lage, die Komplexität dieser Sache zu erläutern, weshalb ich kurzangebunden gähnte und das Beispiel vom Maurer brachte: „Maurer sind bekanntermaßen vertikale Wesen. Alles in ihnen strebt danach, Stein auf Stein auf Stein zu setzen und mit jedem Arbeitsschritt der Horizontalen etwas ferner zu kommen, sich vom Erdmittelpunkt zu distanzieren. Maurer halten beim Frühstück ihre Bildzeitung senkrecht vors Gesicht. Maurer werden verrückt, wenn sie wegen Krankheit wochenlang im Krankenhaus, in der Horizontalen, verharren müssen. Wie anders ist doch der Bodenleger,“ erklärte ich Künstlerin B., „er ist vollends auf die Horizontale fixiert, jene schneinbar schnurgerade Linie, welche sich aber bei näherem Hinsehen als Kreis um den Mittelpunkt der Erde entpuppt. Bodenleger legen ihre Bildzeitung beim Frühstück natürlich flach auf den Tisch,“ sagte ich.

Künstlerin B., du liest diesen Beitrag womöglich. Vorhin habe ich über das Wort nachgedacht, das Du morgens schon am Telefon gesagt hast und das Du abends wiederholt hast: „un …“ verflixt, ich komme nicht mehr drauf. Es klang wie Serendipität, etwas finden, wonach man nicht gesucht hat.

Ja, meine Lieben, so komisch ist Herr Irgendlink, dass er stundenlang nach einem Wort sucht.

Es ist gut, dass die Nacht der Tag und der Tag die Nacht ist, denn Morgennacht wird Herr Irgendlink wieder ordentlich knechten auf dem Jazzfestival im Nachbarstädtchen S.

Kennmaschinen usw.

Heute habe ich erstmals konsequent literarisch gearbeitet. Ich bin erstaunt. Gut 20.000 Zeichen habe ich zu Papier gebracht für einen skurrilen bauesoterischen Kurzkrimi. 20.000 Zeichen sind etwa 5 Zeitungsartikel (dafür bräuchte ich also etwa acht Stunden – aber im heutigen Freestyle gings schneller). Zunächst habe ich eine Strukturdatei von einer A4 Seite angelegt, in der ich die handelnden Personen und die Orte skizzierte. Dann gings ans Schreiben. Da wie durch ein Wunder eine Geschichte entstanden ist, fiel mir das Niederschreiben nicht besonders schwer. Ich glaube, ich lerne, wie es funktioniert. Erstmals arbeite ich an der Long-Distance, wende dabei althergebrachte Methoden an, die sequentielles Denken und Strukturierung des Inhalts erfordern. Lange genug geübt habe ich ja hier in diesem Blog und in seinen Vorgängern. Vielleicht ist die Zeit reif? Das Große wird immer über das Kleine triumphieren. Es wird es einfach schlucken. Das Große macht das Kleine zu einem Teil von sich selbst.

Die Geschichte ist nicht  besonders außergewöhnlich, aber sie taugt. Der Plot ist bodenständig, die Figuren durch die Bank verrückt. Wichtig ist, die Sache anzugehen, es zu wagen, weiter zu gehen, wo andere stehen bleiben.

Wenn ich nach meinem ersten Foto Anfang der 90er Jahre gesagt hätte, ist gut, hast ’ne Katze fotografiert, sie ist süß, aber unscharf, lass es sein, wären alle darauf folgenden Fotos nie entstanden. Das wichtigste, was man beim Begehen eines Weges beachten muss, ist ihn zu begehen. Nicht stehen bleiben, nicht umkehren. Beherzt weiter gehen.

Die seite von der Fahrradfrau, derjenigen, die von Andernach nach Marseille geradelt ist, habe ich in der Browserchronik wieder entdeckt. Guter Reisetext. Wer Radeln, Frankreich usw. mag, kann mal reinschauen unter:  http://www.wer-kennt-wen.de/club.php?id=1is8t2pp

Ich weiß nicht, ob man dem Link folgen kann, wenn man nicht bei WKW (wer-kennt-wen) angemeldet ist. Falls nicht, kontaktet mich, dann lade ich Euch ein in den seltsamen neuen Kennmaschinenschuppen.