Wie Herr Irgendlink Sprache schuf und die Ehe rettete

Nun bin ich auf Englisch in www.erdversteck.de. My own private english. Ich glaube, wir Menschen entwickeln grundsätzlich unsere eigenen Sprachcluster. Momente des Nichtverstehens im Meer der Kommunikation. Sei es, dass wir so, wie werte Frau Unentwegt, das umstrittene Wörtchen „man“ in „eins“ verwandeln – find ich gut, ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber, find ich gut, liebe Unentwegt. Wir brauchen diese eigenen Codes. Beherzt setze ich die man-eins-one Sequenz um, indem ich versuche „man“ durch „one“ zu ersetzen. Ein Anfang. Wenn es sich einbürgert, wird es zur Gewohnheit, wenn es Gewohnheit ist, fällt es nicht mehr auf. Erschreckend viele Codes habe ich in letzter Zeit umgesetzt – sei es nur, dass ich Texte Huckepack in Bildern untergebracht habe – keine bedeutungsvollen Texte – ich hatte einfach Lust, Texte in Bildern zu verstecken. Ich mag Mysterien. Ich liebe Rätsel. Wohl deshalb liebe ich den Menschen ansich.

U. war letzte Woche beim Jazz-Fest zuständig, das Catering anzuliefern. Er ist ein Jahr jünger, als ich, hat harte Zeiten durchlebt. Wir kannten uns nicht. Draußen vor der Industriehalle, in der das Festival jubilierte, hat er mir vor ein paar Tagen sein Herz ausgeschüttet. Dass er stur sei, dass seine Frau ihn nachts nicht in die Wohnung gelassen hat, dass sie krankhaft eifersüchtig sei, dass er die Polizei rufen musste, die nichts unternehmen wollte in Privatangelegenheiten, er unglücklich war, sie auch, und dass sie ihm am nächsten Tag, nach dieser Nacht, die er im Auto verbringen musste, einen tollen neuen Pullover geschenkt hatte, er ihr die kalte Schulter zeigte. „Warum tust du das?“ fragte ich, „sie hat doch einen Schritt gemacht, mit dir zu reden, sich zu versöhnen, sie liebt dich, sonst hätte sie dir keinen Pullover geschenkt.“ „Ich bin stur, sie soll schmoren,“ sagte U. „Würdest du gerne schmoren?“ fragte ich, „ich würde ihr Blumen schenken. Die Waffen strecken.“

Am Tag darauf nahm mich U. bei Seite: “ Ich habs getan. Wir haben geredet, Mann bin ich froh. Der Schmerz ist weg.“

So habe ich die Ehe gerettet. Warum? Ich war eben gerade zugegen und konnte als Außenstehender Tipps geben.

’s ist Wind …

„’s ist Wind, ’s ist Wind, ’s ist Wind, der an den Nerven zerrt.“ Mantrisch summt dieser Spruch im Kopf. Ich weiß nicht, wann ich ihn zum ersten Mal geschrieben habe. Es ist erstaunlich, dass es Worte gibt, die man niemals gesagt hat, nur selten aufgeschrieben, aber oft denkt. Ich glaube, vieles, was man schreibt, sagt man nie, vieles was man denkt schreibt man nie und es gibt noch viel viel mehr, das man nie denkt.

„’s ist Wind, ’s ist Wind, ’s ist Wind, der an den Nerven zerrt.“ Wie ein Gedicht kursiert der Spruch in meinem Kopf. Es kommt dem Erlkönig nahe. Stimmung und Landschaft passen. Dunkel ist’s. Ich habe geschlafen. Von acht bis jetzt. Tag und Nacht stehen auf dem Kopf. Eine Woche Jazz-Festival-Arbeit ist schuld daran. Ein Sturm herrscht über dem einsamen Gehöft. Marode Dachplatten klappern, Regenschauer treiben aus Südwesten. Es ist warm.

Es war der letzte Tag in Island, an dem ich diesen Spruch dachte. Nachmittags hatte ich den 700 Meter hohen Pass zwischen Egilstadir und dem Hafen Seydisfjördur überquert. Ein Schneesturm lag über dem Land, obwohl es gerade mal Ende August war. In meinem Minus 30 Grad Schlafsack bettete ich mich im Windfang eines Anglergeschäfts, direkt gegenüber der Anlegestelle der Fähre Norröna. Dass diese Tour so enden musste! Brachiales Wetter, erschöpfte Mittel, zehn Kilo abgenommen und einen dicken Packen bizarrer Landschafts- und Einsamkeitserlebnisse im Kopf. In der Nacht brauste der Sturm auf. Morgens, als sich die Norröna tutend in den Seydisfjord schob, lag eine dünne Schicht Schnee auf dem Schlafsack.

„’s ist Wind, ’s ist Wind, ’s ist Wind, der an den Nerven zerrt.“ summt es seither in mir. Immer die gleiche Stimmung, Salz in der Luft, Schneeflocken im Haar, ein Gefühl für Feuchte, das Eins mit der Natur, das Ausgeliefertsein im Anblick der Naturkräfte.

Ein Gedicht wohnt jedem von uns inne – wenn wir es nicht aufschreiben oder aussprechen, bleibt es ein Gedächt.

Etwas Lustiges zum Schluss, für Informatiker und Spinner: Der Erlrouter frei nach Goethe.

It’s all over

2 Uhr nachts. Jazzfest ist aus. Heute spielte Jazzikone Paul K. nebst Bigband. Die Hütte brechend voll, alle Hände voll zu tun. Räumlich am nächsten kam ich Paul K. wohl, als ich ihm eine Flasche Rotwein in den Backstageraum brachte. Also ungefähr 30 cm. Ich schenkte ein und wünschte zum Wohl. Dann hat der 80-jährige über zwei Stunden Spitzenklasse-gejazzt. Die gut 1200 Gäste waren höchst ergriffen, standing Ovations, Jubelrufe, das Klatschen wollte und wollte nicht enden. Nach der Show hatte der Securitymann alle Hände voll zu tun, unzählige angebliche Presseleute, Freunde von Freunden und so weiter fernzuhalten.

Das diesjährige Jazzfestival hat alle Rekorde gebrochen. Auch menschlich gabs so einiges – sei es nur, dass der Vater von Tourmanager G. an Krebs erkrankt ist, dass der ärmste Mitarbeiter auf dem Fest mir ein Sturmfeuerzeug geschenkt hat, dass die Chefin des Caterings, noch während sie sich über den paartausend Euro großen Auftrag die Hände rieb ihren Koch ankeifte, wo die acht (abgewetzten) Handtücher sind, die sie gnädiger Weise für das Ensemble auf der Bühne ausgeliehen hatte. Naja, wer das schmutzige Handtuch nicht ehrt, ist des 10.000 Euro-Auftrags nicht wert ;-)

Und da wäre noch die Ehe zu nennen, die ich gerettet habe. Und und und.

Aber ich bin müde. Das Thermometer in der Bude zeigt acht Grad. Es haben sich nicht sehr erfreuliche Dinge ereignet, während ich mir mit Jazz-Ikonen die Nächte um die Ohren geschlagen habe. Die nächste Woche wird nicht schön.

Live-Reise Tagebuch

www.erdversteck.de

enthält Reisepläne, Projektbeschreibung und wird von unterwegs mit Bildern und Statements gefüttert.

Wer die Reise ab übernächste Woche verfolgen möchte, wird dort – meist in englischer Sprache (my own private Pidgin-German-English) fündig.

Das hammerhafte Captchafeld, welches man bei Kommentaren und bei der Registrierung ausfüllen muss hält mir hoffentlich den Rücken frei von Spam.

Es empfiehlt sich, kostenlos zu registrieren. Dann muss man das Captcha nur bei der Registrierung beantworten und kann später nach Herzenslust kommentieren.

The Jazz must go on.

Eben denke ich, es wäre gut, einen Artikel über das diesjährige Jazz-Festival im Nachbarstädtchen S. zu schreiben. Sowas Gediegenes, wie die letzten Jahre schwebt mir vor, ein Artikel voller Wehmut, Witz und Ironie, obendrein absichtslos, ja, absichtslos und dahingeschludert muss er sein. Hunde sollten in diesem Bericht vorkommen, Hunde, die sich an den eigenen Geschlechtsteilen lecken, sowie komische Chefinnen, die kistenweise Bier bestellen, um sich bei den Jazz-Ikonen liebkind zu machen; Männer mit Östrogen in der Brust dürfen nicht fehlen und ganz viel Kokain auf einem Spiegel, der im Backstageraum auf dem Büffet liegt.

Ich stehe unter Druck. Verleger B. hat mich neulich beim Vip-Empfang auf besagtem Jazz-Festival mit Handschlag begrüßt. Sein Blick suggerierte: Wo bleibt der Bericht?

Nun bin ich zurück in der eiskalten Künstlerbude. Wenn ich nicht ständig Holz in den Ofen werfe, kühlt die Wohnung aus. Es hat 9 Grad. Das ist nicht sehr viel. Aber auf dem Jazz-Festival ist es auch nicht besser. Dort weht nämlich ein ganz anderer Wind. Sie sind in diesem Jahr von der perfekt ausgestatteten, aber viel zu kleinen Festhalle in ein altes Industriebauwerk umgezogen, in dem es weder Wasser, noch Heizung gibt. Temperaturen um 14 Grad im Zuschauerraum scheinen realistisch. Beim Auftritt einer Big-Band vorhin, die teils sehr leise Töne anschlug, wurden die säußelnden Heizaggregate, welche Warmluft durch eigens in die Wand geschlagene Löcher pumpen, während der Vorstellung ganz abgeschaltet. Das Flair in dem ex Stahlwerk ist jedoch exorbitant. Licht vom Feinsten – sogar die Bigband, die die halbe Welt bereist hat, lobte, so etwas haben sie noch nie gesehen.

Nix Koksspiegel, skurrile New-Orleanstypen, die nach der Show direkt an die Dialyse müssen, oder schrille kanadische Milliardärinnen, die den Einzelhändlern in der Region aus purer Kauflust das Geschäft ihres Lebens bescheren. Auch die regionalen Jazz-Ikonen waren nicht zugegen. Somit erlebte man einen durchweg geregelten Arbeitstag – äh -nacht. Das war geradezu unheimlich. Irgendwas stimmt da nicht.

Nun wollte ich den Bericht, den ich just im Moment nicht schreibe – weil, es lief ja alles so glatt, dass es nichts zu berichten gibt – den Bericht wollte ich mit Links in die letzten Jahre meiner Jazz-Hilfsarbeit belegen und habe deshalb die Suchfunktion des Weblogs benutzt, Begriff „Jazz“. Da hat sich ein erkleckliches Sümmchen an Artikeln angesammelt, so dass mir die Auswahl schwer fällt. Soll ich nun den Spirit des Jazz nehmen oder die Geschichte mit den Hundepenissen? Schwere Sache.

Hum? Ich weiß: ich verlinke gar keinen Blogbeitrag aus dem Archiv und empfehle stattdessen, den Begriff „Jazz“, in der blogeigenen Suchfunktion zur Rechten, zu verwenden und sich auf die Artikel vor dem 25. März 2007 zu konzentrieren. Da ist passabler Stoff mitbei, finde ich.