Entdigitalisierung

Diese brillianten Tage. Gut, dass es die Nacht gibt, in der man surfen, arbeiten, spinnen kann. Die Tage vergehen im Wald. Unten in der Schlucht haben wir etliche Eichen und Pseudoakazien zerkleinert. Der Linkenhof  platzt vor Brennholz. Gut 100 Raummeter trocknen unter den Vordächern und in der Brennholzhalle. Wenn man bedenkt, dass der Ster ofenfertiges Brennholz dieser Güte 60 bis 80 Euro kostet, eine gute Vorstellung. Hofbewohnerin P. weiß allerdings zu berichten, dass man im nahe gelegenen Frankreich, für 35 Euro pro Ster, Holz ähnlicher Güte kaufen kann. Man muss es nur mit dem Unimog über die Grenze schaffen. Ob Holzschmuggel unter Strafe steht?

Die Arbeit mit der Kettensäge ist ähnlich wie die Arbeit mit Computer und Tastatur eine Herausforderung an den Geist. Wobei es beim Holzfällen darum geht, Zug- und Druckzone in einem Baumstamm abzuschätzen und mit gekonntem Einsatz von Fällkeilen eine problemlose Zerkleinerung des Brenngutes zu erreichen. Ich liebe diese Arbeit. Obendrein ist sie – Diätfanatiker werden begeistert sein, die am meisten Fett verbrennende Tätigkeit überhaupt (1 Stunde Holzfällen entspricht etwa 10 Stunden Jogging oder einer Woche Sex oder zwei Monaten Wäschebügeln).

Zurück zum Geist: Beim Computerarbeiten muss man versuchen, abzuschätzen, welche Ressource benötigt wird, insbesondere in der Bearbeitung riesiger Bilder wie etwa untigem Verboten Bild auf dieser – für die Computerzeitrechnung uralten – Maschine. Der Gimp leistet einen grandiosen Dienst. Da ich in letzter Zeit nicht mehr mit Photoshop arbeite, weiß ich nicht, ob er besser ist. Wenn er nicht gut wäre, würde ich ihn nicht benutzen. Was die Aufgabe der Freistellung von Bildelementen betrifft, ist er Photoshop überlegen. Ich hege die Vermutung, dass Photoshop eine bessere Speicherverwaltung hat.

Ich habe ein neues Zelt gekauft. In weniger als einem Monat werde ich auf der Straße leben. Ein bisschen Komfort muss denn doch sein, deshalb neues Zelt. Morgens hantierte ich mit der uralten Analog-Kamera. Ich werde sie neben der Digitalen mitnehmen auf die Reise. Das Vertrauen in die filigrane Digi hält sich in Grenzen. Die alte Nikon hingegen hat sich auf zehntausenden Kilometern, bei Kälte, Nässe und anderen widrigen Bedingungen bewährt. Die Batterie hält ewig. Ich hatte Anfang 2005 vergessen, die alten Batterien herauszunehmen. Sie sind nicht ausgelaufen und der Motor schnurrt, dass es nur so eine Art ist. Das erste analoge Foto, das ich seit drei Jahren gemacht habe, zeigt meinen Vater, wie er sich den Holzfällerhelm aufsetzt. Ich werde Schwarz-Weiß-Filme benutzen.

Unbewusst treibe ich die Entdigitalisierung voran. Die Renaturierung des eigenen Lebens. Die Rückkehr zum Körper – nein, die Wiedervereinigung von Körper und Geist, denn der Geist hat sich in letzter Zeit allzu sehr in der digitalen Welt verloren, Opfer von halbfiktiven Strukturen. Ich glaube, QQlkas beherzter Akt, das BUCH mitzunehmen auf die Berlinreise, hat den ersten Ausschlag gegeben für die Rückbesinnung. Da habe ich mich ernsthaft gefragt, Mann, was tust du denn, wenn du versuchst, in einer, sicher interessanten Form der Life-Reise alles und jedes direkt ins Netz stellen zu wollen, schiebst du nicht einen Riegel vor die Tür zur realen Welt? Was soll das, stets eines Computers habhaft werden zu wollen, um in Weblogs wie diesem direkt irgendwelche Eindrücke ins Netz zu stellen? Können die Dinge nicht auch mal eine Weile ruhen? Muss denn alles und jedes eins zu eins dokumentiert werden? Habe den Mut, zu vergessen! Riskiere Langsamkeit. Mach es wie Karate-Kid: nähere dich in mantrischer Form, beschäftigt mit Nichtigkeiten, den wahren Dingen des Lebens. Wasche ein Auto. Sinnloses ist gar nicht so sinnlos, wie man vielleicht meint. Sinn-los ist nur, wer zu schnell lebt. Das Internet ist zu schnell. Wir jagen einem Stöckchen hinterher, nur um unseren Jagdtrieb zu befriedigen, nur, um als erster dort zu sein, wo – scheinbar – alle anderen auch hin wollen. Motten im Licht. Das passt.

QQlkas Buch ist ein klasse Kunstwerk. Was haben wir darin gekritzelt, gezeichnet, geschrieben, sind darüber zusammen gekommen in diversen Spelunken. Alle möglichen Menschen haben ihre Eindrücke zu den jeweiligen Abenden darin hinterlassen. Direkt, ehrlich, unverblümt. Wie sehr anders geht es doch im Netz zu, wo man zwar auch in Windeseile seine Eindrücke hinterlassen kann – zum Beispiel in einem Weblog wie diesem. Aber die Welt, in der man surft, liest, Fotos betrachtet besteht doch nur aus Einsen und Nullen, ein elektrisches Schaltwerk – nie habe ich einen anderen Blogger gesehen. Gibt es diese, scheinbar realen, Figuren, von denen man alltäglich etwas liest und die im eigenen Kopf eine nicht zu unterschätzende Stelle einnehmen, tatsächlich? (Die Aussage „Nie“ ist falsch. Ich kenne sieben Blogger persönlich. Menschen aus Fleisch und Blut.)

Seid lieb gegrüßt, Ihr blogreichen Sieben.

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