Klüger werden, auf Augenhöhe kommunizieren

Vielleicht habe ich etwas gelernt, als ich gestern Dichterin E. lauschte. Zwei Jahre lang hat sie beinahe täglich Notizen in Oktavhefte geschrieben. Assoziative Texte wie direkt aus dem Kopf. Diese gut vierhundert Elemente verarbeitet sie nun in ihrem neuen Buch. Ich will ehrlich sein: man sollte keinesfalls erpicht sein, das Zeug zu verstehen. Es handelt sich um wilde Satzbauten, die jeglicher Logik entbehren. Assoziative Literatur bedeutet nunmal den eigenen Weg zu gehen und sich keinen Deut darum zu scheren, ob überhaupt je ein Mensch den selben Weg gehen kann. Ich finde das gut. Menschen sollten ihren Weg gehen, ohne sich ständig umzudrehen und zu grübeln, ob sie verstanden werden. Es braucht viel Mut, zu riskieren, nicht verstanden zu werden. Wenn man sich mit Einsamkeit abfindet, ist Nicht-verstanden-werden jedoch eine ziemlich interessante Lebenshaltung.

Ich weiß nicht, ob ich Dichterin E. verstanden habe. Vermutlich nicht. Mein Problem war, dass ich Dichterin E.s Lyrik den Zeitungslesern erklären musste. Wie erklärt man etwas, was man selbst nicht versteht? Gibt man vor, es zu verstehen, und gaukelt den lieben Leuten eine Spiegelfechterei vor? Oder steht man dazu, assoziiert frei, wie die Dichterin selbst und schert sich einen Dreck, was sie überhaupt schreibt? Ich glaube, das wäre ehrlich. Außerdem dürfte es doch im Interesse der Dichterin sein, Denkanstöße zu liefern, Systeme zu erzeugen, die sich von ihren Interessen vollkommen lösen und etwas Eigenes werden. Das ist Wachstum. Das ist Evolution. Nur ein aufgeschnapptes seltsames Wort, und man wird selbst zum Dichter.

Also habe ich für den Artikel eine freie Form, basierend auf Vermutungen gewählt, wurde zum Dichter im Dienste der Leserschaft. Ich glaube, das ist gerecht.

Ich hänge den Artikel einfach mal an. Er ist vielleicht ein Beispiel, dass man als Mensch keine Hemmungen zeigen sollte im Umgang mit anderen Menschen und deren Äußerungen. Er folgt dem Auf-Augenhöhe-Prinzip.

Keiner ist besser als der Andere. Und keiner sollte danach streben, sich über dem Anderen stehend zu fühlen. Das gilt für den Lyriker wie für den Zeitungsschreiber wie für Dich und Dich und Dich.

Rohfassung Artikel Elke E., Lesung im Herzogssaal Z.

Zweibrücken im Winter 2007/2008. Mirnichts dirnichts ragen Birnbäume aus dem Boden. Kahle Pflanzen mit wuchtigen Stämmen, die sich ab etwa anderthalb Metern Höhe in mehrere Äste verteilen, welche wiederum kleinere Äste bilden bis hinauf zu den feinsten Zweigen, an denen im Herbst wunderbare Früchte wachsen. Dass Birnbäume auch eine Wurzel haben, dürfte hinreichend bekannt sein, aber kaum ein Mensch hat diese Wurzeln je gesehen. Was aber hat ein Birnbaum mit moderner Litertur gemeinsam?

Auf Einladung des literarischen Vereins Z. in Zusammenarbeit mit Volkshochschule, Stadtbücherei und Bibliotheca B. gab die Berliner Lyrikerin Elke E. am Sonntag eine Lesung neuer Werke im Z.er Herzogssaal. Wer aber klassische Gedichte erwartet hatte, die sich reimen und einem strengen Versmaß folgen, wurde enttäuscht. Satt dessen kamen kurze, assoziative Texte zum Vortrag, bei deren Gestaltung Elke E. den Worten freien Lauf ließ. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat die, in Sch. in der Eifel geborene und in H. aufgewachsene Dichterin so genannte Notate, kurze, fünfminütige Notizen in Oktavheften gesammelt, welche die Grundlage bilden für ihr nächstes Buch Sonanz. Aus 400 dieser Notate kreiert sie in einem zweiten Arbeitsschritt ein zusammenhängendes Werk, findet beim Wiederlesen Leitmotive, welche sich wie Äste eines Birnbaums durch das Buch ziehen. Eines dieser Leitmotive ist die Kante. Blitzartig assoziiert man zu Kante etwa Tisch, dicht gefolgt von Kegel, welcher, der Mathematiker weiß Bescheid, ein Kreis ist, über den sich eine Unzahl von Kanten stülpt, die sich in einem Punkt an der Spitze treffen. Elke E. präsentiert eine schnelle Literatur. Kaum gedacht, finden die Worte einen Platz in ihrem Oktavheft, um sogleich ins Reich des Vergessens zu geraten, denn der große Assoziator, das menschliche Gehirn, Elke E.s Gehirn spuckt schon das nächste Wort aus. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass auch die Gäste der Lesung still lauschend, ihren eigenen Assoziator einschalteten. Sicher saß manch einer, für Sekunden in Gedanken verstrickt, um Worte später zurück zu kehren und in den Fluss der Lesung einzutauchen. Weg ist ein weiteres Leitmotiv in den Notaten. Wege sind unberechenbar. Sie kreuzen sich, driften auseinander, vereinen sich wieder. Warum sollte das physisch greifbare Netz aus Straßen und Pfaden nicht auch auf Gedichtetes zutreffen? Worte sind wie Kreuzungen, an denen jeder individuell entscheiden muss, welche Richtung er einschlägt. Elke E. gibt in ihren Texten Hinweise, wohin sich ihre Leser und Zuhörer orientieren können. Trotzdem mag jeder seinen eigenen Weg einschlagen.

Auf charmante Art las die Autorin die meisten der vorgetragenen Notate zwei Mal, unterbrochen von kurzen Kommentaren oder der Aufforderung: „Es ist gar nicht so schwer, probieren Sie es aus, sie werden erstaunt sein über die Ergebnisse.“ Mit ironischem Augenzwinkern präsentierte sie etwa folgendes Wortpaar Schweinemast – Elektromast. Was wirr erscheint, fügt sich, kommentiert mit einem Lächeln, zu plausiblen Möglichkeiten. Ähnlich wie die scheinbar willkürlich wuchernden Äste eines Baumes, entsteht, mit zusammen gekniffenen Ohren gehört, daraus ein wohlgeformtes Bild, schön wie ein Baum. Und die Wurzel, des Menschen tiefgründiges Unterbewusstsein, welches noch nie ein Mensch gesehen hat, ist die Lebensader, aus der sich der Lyrikbaum nährt.

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