anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)
Dienstag, 18. April 2000
Ich erinnere mich an diesen Tag. Er ist repräsentativ für alle ersten drei vier Tage einer Fahrradreise. Wenn man von zu Hause startet und das süße Leben hinter dem Ofen mit all seinen Verköstigungen, gegen das Leben unterwegs tauscht, dann sind die Morgen ganz besonders schlimm: Was könnte ich an diesem Tag tun? Ich habe nicht allzu gut geschlafen auf der Isomatte. Es ist kalt. Nieselregen pocht aufs Zelt, was könnte ich also tun? Zurückfahren! Noch ist es nicht zu spät. Nur 183 Kilometer trennen dich von deiner warmen, gut eingerichteten Wohnung, in der dir jeder Gegenstand vertraut ist und in der du deine alltäglichen Rituale hast, zum Frühstück gibt es dies und dies und das, dann verrichtest du deine Arbeit, mit den lieben Kollegen in die Frühstückspause, Mittagessen, nachmittags noch einen Kaffee, bevor du auf deiner täglichen Rutsche durch den Tag wieder in der heimeligen Wohnung bist. Dienstags ab 18 Uhr laufen im dritten Programm Berichte über ferne Länder, fremde Kulturen. Der Konsum der Fremde ist leichter, als deren Erforschung. Aber er schmeckt fad.
Bei Kilometer 206 erspähte ich auf der D6 in Richtung Darney, just als ich ein kleines Wäldchen durchquerte, einen blauen Fleck am Himmel. Die geschlossene Wolkendecke der letzten Tage zeigte Risse. Der Wind war schwächer geworden und hatte auf Süden gedreht. Die Luft schien wärmer. Ich schwitzte. Es ist schwer zu beschreiben, wie ein solch winziger blauer Fleck einem das Gemüt erhellen kann, beinahe könnte diese Szene aus einer kitschigen Monumentalverfilmung einer biblischen Szene stammen, wie man sie vor Ostern im Fernsehen zu hauf geboten bekommt. Das Licht brach an den Wolken und der helle Strahl Gottes traf den Gerechten. Der Gerechte, das war in diesem Fall ich. Von Gott keine Spur, aber das Licht war echt. Es sollte mein Leitstrahl werden.
Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich, dass die Tour in diesen ersten Tagen ganz besonders auf der Kippe gestanden hat. Obige Gründe, das nahe Zuhause und die Gewohnheit auf der einen Seite, sowie die ungewisse Zukunft meiner Reise auf der anderen Seite waren Faktoren von ungemeiner Kraft, die jede Entscheidung, die ich in diesen erstenTtagen traf gehörig mitbestimmten. Ich gebe zu, ich dachte oft über das Aufgeben nach. Es ist wohl meiner strengen fotografischen Artbeit zu verdanken, schließlich machte ich alle 10 Kilometer ein Foto in Richtung Gibraltar, dass ich trotzdem durchhielt. Als einen weiteren maßgeblichen Zufall erachte ich es, dass ich in nicht wusste, dass ich beim Start der Reise aus purer Schludrigkeit einen großen Fehler begangen hatte. Einen Fehler, der den Freibrief zur Aufgabe bedeutet hätte, wäre er mir nur bewusst gewesen. Doch davon an anderer, so weit von zu Hause entfernter Stelle, an der eine Umkehr nicht mehr möglich war.