Bästad sonntags

Båstad Hauptstraße sonntags. Ruhige Lücken im steten Autostrom. Schawrzer Mainzer Bulli, zwei zerzauste Jungs, die nicht hier her gehören, sondern ins Nordland zu den Myriarden-Mückenschwärmen. Eine gepolsterte Bank vor der Bouthique gegenüber der Bibliotheque. Für den fein gefönten Herrn, der auf die fein gefönte Frau wartet auf Shopping in der Bouthique. Zwei Motorradeler mit Warnwesten sehen aus wie außerirdisch. Die Wut über den Stau in den einzelnen Fahrgastzellen nimmt zu. Jeder Zebrastreifen der Stadt, an dem man stoppend und goend wütender wird, als hilfoser Autofahrer, dient dazu Dampf abzulassen in Form von ein Bisschen zu viel Gas geben, ein klein wenig lauter. Über mehrere Kilometer stockt der Verkehr duch Båstadt. Ich stelle mir einen konzentrischen Wutkreis vor, in dessen Zentrum die Nerven am Blanksten liegen. Dort passieren die meisten Unfälle, lässt der Wutfahrer das meiste Gummi.

Zwischen den Meeren

Diese vor Menschen und Autos überquellende Stadt. Gerade habe ich mit der Caféterrierin der örtlichen Bibliothek geklärt, ob es üblich ist, so wie bei den Ikealäden in Deutschland, einmal Kaffee zu zahlen und dann „for ever“ nachzuschenken. Lächelnd gewährt sie mir einen zweiten, betont aber, mehr nicht. Båstadt ist so eine Art Kurstadt an der Westküste Skånes. 12 km Sandstrand, frische Seeluft. Weder Nord-, noch Ostsee. Kattegatt, zwischen den Meeren, nicht Fisch, noch Fleisch. Für meine Begriffe ein bisschen zu geschäftig. Es fühlt sich an wie das Bad Münster am Stein meiner Kindheit. Leckeis, Minigolf und Streichelzoo. Vor 30 Jahren konnte ich viele Menschen auf einem Fleck noch gut ertragen. Schlange stehen und Gedränge, Wartezeiten und ab und an ein Krankenwagen, der sich mit schriller Sirene durch die Autokolonnen auf der Durchgangsstraße schlängelt. Die Mehrheit der Touristen am Ort ist im Hirnschlag gefährdeten Alter. Auch ich kratze verdammt an dieser magischen Grenze. Vorhin spreche ich ein paar Live-Gedanken i s iPhone, tue so, als würde ich telefonieren. Das Menschengewusel fasziniert mich genau so, wie es mich abschreckt, pummliges, Kaugummie lutschendes Mädchen mit Pickeln, rebellosch verunsichert. Abgemagerter Typ mit fettigen Haaren, schmutzigen Kleidern, kaum 60 und schon auf einen Rollator gestützt. Mit seiner Augenklappe sieht er aus wie ein Pirat. Heerscharen agiler Golfer, das rosarote Sweatshirt lässig über der Schulter. Ein Wohnwagengespann mit der Aufschrift World Freedom und ganz viele Menschen mit ca. 30 cm hohen bunten Boxen, auf denen gedruckt ist Food of Africa. Die gibt es im örtlichen ICA Markt. Ich habe vergessen, zu recherchieren, um was für ein Produkt es sich handelt.
Unser Zeltplatz ist etwa 4 km außerhalb von Båstad direkt an einem wilden Steinstrand. Ein Club Platz. Die Angestellten, bzw Clubmitglieder tragen rote Pullover. Ihren Anweisungen ist unbedingt Folge zu leisten. Vor der Schranke gibt es ein Alcotest-Pustegerät, das einen nur raus fahren lässt (Schranke), wenn man absolut nüchtern ist. Wir sind per Rad unterwegs, nüchtern auf dem gelbarkierten, ca. 35 km langen Rundkurs des Skåne Wanderwegs, der sich um die Halbinsel schlängelt.
Fipptehler bleiben im Text. Schnell absenden aus dem FreeWland der örtlichen Bib.

Burn -out, -in, -over, -under

Geschrieben Dienstag 26. 7. 2011, einzusortieren vor „Vinslöv“.

Die Lieder sind weg. Die Lohntackerei ist weg. Es gibt keine Sorgen. Nordwestwind vertreibt die dunklen Wolken bzw. zerreißt das stahlgraue Einerlei, das uns seit dem Start in der Pfalz verfolgt. Wie lange ist das jetzt her? Die Zeit hat aufgehört, sich anzufühlen. Es begann mit dem Sekundenzeiger, damals in Rendsburg. Einfach stehen geblieben. Nun stehen auch der Minutenzeiger, verharren Stunden. Alles, was noch vor Kurzem war, scheint mir nun vergessen. Ein gutes Maß für den Grad der Erholung ist das Nicht-Vorhandensein von Lulliefullieliedchen-Gestampfe im Kopf. Die Werberadioliedchen, die ich während der Arbeit höre, fressen sich tief in mein Bewusstsein. Begleiten mich auf Schritt und Tritt. Wenn es nicht mehr stampft im Kopf, bin ich entspannt. Ich kann sehr schnell entspannen, seit meinem Todestag vor fast drei Jahren. Am letzten Überstundentag, letzten Mittwoch, sendeten sie im Radio einen Bericht über das Burn-Out-Syndrom. Besonders Lehrer, Beamte und Perfektionisten seien dafür empfänglich und man solle unbedingt einen mindestens dreiwöchigen Erholungsurlaub einplanen, um dem vorzubeugen. Genau die Woche, die ich dem großen Möbelauftrag geopfert habe, fehlt. Als Tacker gehöre ich aber nicht zur Burn-Out-Risikogruppe.
Ein Kohlweißling ziellos über der Wiese. Packgeräusche einer schwedischen Familie mit zwei halbwüchsigen Kindern und zwei schneeweißen Huskies. Ihr riesiges Hauszelt ist jetzt in einer moderat großen Packtasche, die gesamte Familie in einem roten Volvo- Combi mit Dachkoffer. So tingeln sie von Ort zu Ort. Warum die? Warum ich? Warum die SoSo? Warum sind wir stets besorgt, Strecke zwischen uns und die Vergangenheit oder besser gesagt, unseren Alltag zu bringen? Warum nehmen wir das Eine bereitwillig mit und lassen Anderes nur zu gerne daheim? Abstand. Dem Ausbrennen vorbeugen. Neugier. Und last but not least, das ist jetzt persönlich: weil ich darüber live schreiben möchte. Wieder ist gestern die Sinnfrage aufgetaucht, die ich mir schon während der Caminowanderung gestellt habe: würdest Du auch so enthusiastisch lustvoll reisen, wenn du nicht zu jeder Tag- und Nachtzeit darüber schreiben könntest? Wieder drücke ich mich um eine Antwort, überlasse es spekulativen, mir wohlgesonnenen Kommentaren, „aber ‚tüürlich würd‘ er das machen, der Herr Irgendlink. Er würd‘ eb’n and’re Wege finden, das Erlebte in Kreatives umzusetzen.“
Gestern Abend habe ich gezweifelt. Haderte: du tust es nur noch um des Live-Bloggens willen. Die Kräfte, die dich treiben, sind identisch mit denen, die dich zur Ruhe bringen.
Nur denken, das wirst du immer.