Reinheim

Der letzte Ort vor der französischen Grenze. Dreißig Kilometer bei Affenhitze. Soeben habe ich in einem Haus, an dem groß Laffenclub geschrieben stand, die Wasserflaschen aufgefüllt. Zwei Jungs räumten Bierbänke zusammen, stapelten sie auf einem Anhänger. Hinterm Haus ein Kühlanhänger. Im Haus Bierdunst. Der Boden klebte unter den Füßen. Das muss ja ein riesen Fest gewesen sein, versuche ich ein Gespräch anzufangen. Aber die Jungs sind wortkarg. Immerhin erfahre ich, dass es den Club schon fünfzig Jahre gibt.

Panorama in Reinheim
Die ersten vier Kunststraßenbilder: Kilometer null, zehn, zwanzig und dreißig. Das Gegenlicht macht das Fotografieren zur Herausforderung.
Vier Kunststraßenbilder

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Künstler in Bewegung sollten in Bewegung sein

Verflixt! Mein Rucksack ist mit einem Kontaktgift eingeschmiert. Wenn man das 60 Liter große Wandertäschlein anfasst, verspürt man die unstillbare Lust, ihn nach Santiago zu tragen. Frühmorgens packe ich allmögliches Zeug, Computer, Klamotten, Buch, Verderbliches aus dem Kühlschrank, ein Ecken Brot. Eben all die Dinge, die der zeitgenössische Künstler in Bewegung benötigt, um ein paar Tage bei seiner schweizer Freundin zu überleben. Da das Auto in längst überfälliger Reparatur ist, testet Monsieur le Reisekünstler die Regionalbahn auf Tauglichkeit. Including Fahrradmutnahme. Sechs Stunden Fahrzeit sind gutes Mittelmaß. Die schnellste Verbindung würde 4:20 Stunden dauern und 77 € kosten und man könnte kein Rad mitnehmen. Im Auto würde die Strecke bei 33ct Kilometerpauschale knapp 100 € kosten. Der gewählte Bummelzug kostet 42 € (ohne Fahrrad).
Zurück zum Rucksack. Erinnerungen an 2010 werden wach. Im Zug via Paris nach Saint Jean Pied de Port in den Pyrenäen. Dann 35 Tage bis Santiago (zu finden unter Jakobsweg2.0).
Rucksack mit Kontaktgift … tse. Das klingt fast so abstrus, wie Freund Journalist F.s Behauptung, das neue iPhone sei mit einer süchtig machenden Substanz bestrichen, die jedem, der es anfasst ein Verlangen nach dem neuesten Modell eintrichtert … tse.
Schreiberisch bin ich ein wenig aus der Übung, spüre aber schon, wie dieser unheimliche Schaffensdrang sich aufdrängt, als müsse der „Künstler in Bewegung“ in Bewegung sein, um etwas künstlerisch zu bewegen.

Nenn mich Bob, für 8,50 die Nacht

13 Uhr am gestrigen Tag komme ich endlich los. Es gibt ja immer soo viel zu tun, ehe man ruhigen Gewissens das Haus verlassen kann. Mensch sein ist verdammt anstrengend, denke ich, als ich meinen Katze „Mietz“ ein letztes Mal streichele. Das Vieh war den ganzen Morgen damit beschäftigt, eine Maus zu stellen, die sich gut im Altpapierstapel versteckt hatte. Nun rollt sie auf dem Betonboden meiner Außenküche hin und her, in der warmen „Toscana“ auf der Südseite des einsamen Gehöfts.

Vorbei am Birnbaum, der das erste Foto dieser Kunststraße ist, durchquere ich Zweibrücken, vom Schwarzbach zum Hornbach, adieu Matschinski-Denninghoff-Skulptur, adieu Bismarckdenkmal, Bahnhof Baumarkt, Pi, Pa, Po. Am Hornbach, steht am Betonfundament, auf dem die Autobahn fußt, groß Schüsch-ZW, so, als hätte jemand, der nuschelt, sagen wollen „Tschüss Zweibrücken“. Das passt, denke ich. Ich bin sentimental. Mit einem Schlag wird mir bewusst, dass ich 6000 km von zu Hause entfernt bin, wenn ich das Ding mit der Nordseerunde durchziehe. Nicht etwa die fünf Kilometer, die mein Tacho zeigt. Die Richtung, mein Lieber, murmele ich in den Frühling, die Richtung ist es, die das Leben bestimmt, und nicht etwa dein Standort. Das gilt zumindest für den Menschen in Bewegung, wobei Bewegung im übertragenen Sinn gesehen werden muss.

Durchs Bliestal und das Würzbachtal verschlägt es mich irgendwie nach Sankt Ingbert – ähm, ich verirre mich im Wald hinter Annahof, gestehe ich zu meiner Schande, bin heilfroh, als endlich die kleine Kapelle Geistkirch auftaucht und bemühe das GPS, denn SoSo hatte im Vorfeld ja einen Sponsoren aufgetan, Sarcom, dem ich einen Besuch abstatten könnte, wenn ich zufällig in der Nähe bin. Herr S. und Frau S. empfangen mich so herzlich. Wir machen Fotos, sie drücken mir vier Baseballmützen in die Hand. Und zur Krönung verspricht mir Herr S., dass ich jederzeit anrufen könne, falls es Probleme gibt. Hat er eben gesagt, sie schicken notfalls einen Hubschrauber?, reibe ich mir später die Schläfen. Das Zauberwort heißt wohl: Ich bin ein Künstler, holt mich hier raus :-) Ich Daniel Kübelböck der modernen Blogliteratur, ich.

Die Strecke Sankt Ingbert-Saarbrücken und noch ein bisschen weiter, ist nicht besonders schön, wenn man auf Natur, Blümchen und Stille steht. Insbesondere westlich von Saarbrücken führt der Saarardweg direkt zwischen Autobahn und Fluss, manchmal sogar unter der Autobahn. Die Szene wird von kilometerlangen Walzwerken geziert. Viele Radler und Skater unterwegs an diesem Tag. Und wie sie mich anlächeln! Fast, als würde ich in einen Trichter aus Lächeln hineingesaugt. Ich glaube, einen besseren Tourrstart hätte ich nicht haben können.

Kurz vor Saarlouis bei Kiloemter 70 der Tour etwa, überholt mich eine Fahrradtruppe, in deren Windschatten ich mich nassforsch einklinke. So unfit kann ich ja nicht sein, wenn ich mit denen mithalten kann. Ha. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Herren und Damen vom Club Roter Biltz (oder Pfeil) Saarwellingen, am Ausrollen sind. Was deren Ausrollen, das mein Spitzentempo. Hum. Wir schwätzen ein bisschen und nach und nach wird die Truppe immer kleiner, weil jeder in seinen Wohnort abbiegt. Phänomenal. Radler schmelzen nach der Tour wie Schnee. K., die einzige Frau des Teams, erklärt mir den Weg zum Campingplatz Saarlouis, wo ich mich für 8,50 Euro einquartiere. Ich erhalte einen Schlüssel fürs Badhaus, mit einem Anhänger „Bob“. So sei es. Heißt du also Bob für 8,50 pro Nacht. Ich werde vielleicht heute noch in Deutschland sein, weil ich einen weiteren Weg einschlage – auf Anraten von Radlerin K., den Flüssen folgend, der Saar bis zur Mosel, dann der Mosel aufwärts bis zur Alzette, an der ja wohl Esch-sur-Alzette liegen muss. Obwohl mir nicht klar ist, ob die Alzette überhaupt ein Fluss ist. Vielleicht ist es ja eine Hochebene?

Alternative Titel: Vier Henkersmahlzeiten und ein Tourstart; Vier Baseballkappen und ein Tourstart

Vor der Sarcom-Zentrale in Rohrbach bei Sankt Ingbert.

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Vor dem Eventhaus Alte Schmelz, Stippvisite bei Jazzorganisator Journalist F. und den Ex-KollegInnen vom Amt ohne Wiederkehr

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