Ein Vordach von Glückes Hand #UmsLand

Ich hatte mich auf einen gemütlichen Schreibmorgen im Zelt eingestellt. Nieselregen auf die Zeltplane, welch beruhigendes Geräusch. Ebenso wie auch beunruhigend. Auf fast 1200 Metern Höhe ist es nicht mehr so prottig warm wie unten am Genfersee, die Luft klebt nicht mehr, sie ist gut atembar, klar, frisch, schmeckt gut. Nach absoluter Stille in der Nacht – nicht einmal Vögel zwitscherten, die Kuhglocken auf fernen Weiden waren zur Ruhe gekommen und überm Flughafen Genf schien auch Pause zu sein, zieht nun um acht Uhr früh die Alltagsgeräuschkulisse wieder auf.

Die Straße, die ich gestern hier herauf fuhr, war zunächst recht stark befahren. Kurz nach 17 Uhr verließ ich Nyon, hatte zum Glück noch einmal eingekauft – der Nächste Laden liegt auf 1000 Metern Höhe, kann dauern, schaffste nicht vor 19 Uhr und wer weiß, vielleicht schließen die auf dem Dorf ja schon um 17 Uhr. Ich kaufte Fertigsalat, Bananen zwei Dosen Bier und einen Liter Milch.

In Nyon zweigt die Juraroute, die Nummer 7 des nationalen Schweizer Radwegenetzes von der Rhôneroute ab. Man sagt, sie sei die schönste aller Radrouten, aber auch gesegnet mit sehr vielen Höhenmetern.

Schon gleich geht es zur Sache, folge ich einem Weg abseits mit kaum Autoverkehr entlang eines Baches, lande auf der Straße mit Feierabendleuten, Lärm und Gestank, gefolgt von wieder etwas Ruhigem, schon kann ich die Schönwohnanlagenzweckbauten der Gegend sehen, betonene Terrassengebäude mit Parkgaragen darunter, die wie Kletterpflanzen die Hügel hinauf wandern und sich zwischen Weinbergen und Getreidefeldern, Wiesen und Wald verteilen. Erst wenn der letzte Angestellte aus Genf seinen wohlverdienten Feierabend angetreten hat und mit dem Auto nach Hause gefunden hat, wird die Straße dir gehören, sage ich mir. Ich darf nicht klagen, es geht sehr gemächlich zu. Die Überholmanöver sind langsam, vorsichtig, mit genügend Abstand. Nichts im Vergleich zum Höllenritt nach Lugano. Fast vermisse ich den Hauch Gefahr, den ein zwanzig Zentimeter-Rückspiegel-Naherlebnis mit sich bringt. Nicht!

Ab dem Dorf Le Muids wird ruhig auf der Straße. Kurz zuvor ein riesiger Betonneubau, sieht nicht aus wie Wohnanlage für Betuchte und ja, stimmt, scheint zu dem Sanatorium zu gehören, das sich zauberbergesk in die Landschaft schmiegt. Ab Bassins gehört die Forstroute praktisch mir alleine. Nur ein Bub von vielleicht acht Jahren kurvt mit dem E-Roller seine Runden, die Mama am Wegrand beäugt ihn besorgt und warnt hie und da. Auf der durchweg geteerten Strecke ist Autofahren verboten. Erster Gang, gut radelbar, nicht so anstrengend. Ich könnte ewig so weiter machen. Muss ich auch im Prinzip, denn es geht auf 1300 Meter hinauf, wenn ich die Höhenlinien richtig lese.

Drei Campingplätze sind in der Openstreetmap verzeichnet, allesamt Naturcampings ohne alles, vielleicht gibts Kompotois, Biokomposttoiletten. Vielleicht. Es sind jedenfalls keine Gebäuder verzeichnet. Der erste liegt auf 1000 Metern, der zweite bei 1160 und der dritte, größte auf 1260 Metern. Ich kurbele. Ab und zu doch ein Auto. Vermutlich Anwohner, Jäger*innen, Naturparkrangerinnen.

Ich bin sehr zufrieden. Der Abend klingt ruhig. Ich schaffe etwa 300 Höhenmeter pro Stunde. Früher waren es einmal 400, meine ich.

Kurz hinter dem Ort Bassins weisen Schilder auf die Besonderheit des Gebiets hin und dass man nicht überall zelten darf. In der Schweiz gilt im Prinzip das Jedermannsrecht und man darf wildzelten, es sei denn, es ist verboten und das ist es in vielen Gemeinden. Hier gilt es nur in den ausgewiesenen Zonen.

Die erste Zone stelle ich mir als frisch gemähte Wiese vor, vielleicht gibt es einen Wasserhahn und zwei Komposttoiletten. Ich finde ein von Kühen beweidetes Gelände, daneben ein Schild, dass man hier nach den Regeln der Gemeinde Bassins zelten darf. Hmm. Die Kühe wirken friedlich. Glocken bimmelnd grasen sie. Unter einer Tanne könnte ich zelten. Ich entscheide mich, weiter zu kurbeln. Das ist auch im Hinblick auf den nächsten Morgen gut. Kein Irgendlink mag Höhenmeter am Morgen. Die bringen nur Verdruss und Aua und schlechte Laune. Mein Hinaufklettern nach Klosters fällt mir ein, wie lang ists her? Bald eine Woche. 25 Prozent Schotterschieben, dass selbst ausgewachsenen E-Bikenden das Herz in die Hosentasche fällt.

Also rolle ich weiter, mache es, wie es gut ist beim Reisen, teile mir das Große, unbewältigbar Scheinende in kleine Häppchen. Next Exit Wiese auf 1160 Höhenmetern. Zwanzig Minuten Kurbeln. das geht, überlege gleichzeitig, in die Nacht hinein zu kurbeln und bis Vallorbe durchzurauschen, nur so eine Phantasie aus gemütliche Dotwatching-Stundem (am PC sich tracken lassende Langstreckenradlerinnen und -radler beobachten, wie sie von Gerhardsbergen in Belgien nach Meteora in Griechenland radeln (Transcontinental Race)).

Der gestrige Tag war vermutlich neben all den vielen schönen Reisetagen dieser Tour #Umsland Schweiz der allerschönste. Wenn ich von der für mich gefühlt spektakulären Antrittsfahrt ins Juragebirge zuerst rede, so ist dies gewiss meiner Euphorie geschuldet. Das Stück zuvor, von der einen Seite des Genfersees, frühmorgens noch in Frankreich via Genf nach Nyon radelte sich auch wunderschön. Und hatte auch seine Anstiege und Gefälle. Eine Begegnung mit, na ja, einem Gemüsestand möchte ich noch erwähnen. Man rief mich von der Straße weg auf französisch an, ob ich Gemüse kaufen wolle, eigentlich nicht, was soll ich mit Kohlköpfen, trotzdem drehte ich um und schaute mir den Mann und die Frau mal an und wir kamen ins Plaudern. Sie hatten Salat, Gurken, Honig und es gab Tee und Kaffee sogar gratis. Stellte sich heraus, dass es sich wohl um einen einmal die Woche immer Mittwochs stattfindenden Verkauf von Gemüse und Produkten aus einer Art Schule handelt, in der junge Menschen an das Gärtnern heran geführt werden. Unglaublich guter kühler Tee, ich meine, sie sagten, etwas mit basil. Basilikumtee? Schmeckt man doch eigentlich. Vermutlich war es eine Mischung. Schwüler Tag, der sich noch entscheiden musste, ob ein Gewitter losbricht oder nicht. Bis Genf müsste ich mit allem rechnen. ich kaufte einen Knoblauch und eine Gurke. Der Verkaufsmann war ganz begeistert vom Radfahren und berichtete von seiner Tour in der Ostschweiz, die er zusammen mit seinem gehbehinderten Sohn gemacht hatte.

Genf durchradelt sich sicher, hektisch, voller Menschen, voller Kultur und Kunst, und auf der Nordwestseite des Sees gleich gegenüber der berühmten Fontaine gibt es einen wunderbaren Park voller uralter Bäume, Zedern und andere Bäume mit weit ausragenden dicken Ästen.

Schließlich doch noch Gewitter und zwar ausgerechnet, als ich auf eine Kirche mit großem, offenem Vorbau zuradele, als würde sie mir von Glückes Hand geschickt. Ich verbringe dort eine Stunde, bis das Wetter besser ist. Der Ort liegt direkt in der Einflugschneise zum Genfer Flughafen. Im Fünfminutentakt landen die Jets. Ich mache ein paar Filme mit der Gopro, wie sie direkt über der Kirche und dem Dorf dahin röhren. Nicht schön, aber faszinierend.

Der heutige Tag? Ich werde wohl das Zelt nass abbauen müssen. Immer wieder regnet es ein bisschen, so wie es sich anhört nicht sehr stark und wohl gut radelbar. Für den Nachmittag sind Gewitter vorausgesagt. Will mal hoffen, dass mir vom Radreisendenschicksal dann wieder ein Vordach von Glückes Hand bereit gestellt wird.

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Verharren – #UmsLand

Kleiner weißer Hund angeleint an einem Gitter hinter einem Geranienblumentopf steht wartend und schaut in die Kamera

Der Reisende kennt tausend Möglichkeiten des Verharrens. Verharren, um ein Bad im Genfersee zu nehmen, zum Einkaufen kühler Getränke, zum Verweilen an einem schönen schattigen Plätzchen, verharren, um eine Reifenpanne zu beheben, zum Hängematte aufspannen in einem Park direkt neben einem Barfußpfad, verharren, um in der Einflugschneisse des Flughafens Genf alle fünf Minuten einen Flieger zu beobachten, einen Regenschauer aussitzend unterm Vordach einer Kirche, zum Verweilen in der Sonne. Und und und.

Die gestrige Etappe brachte noch ein paar Abwärtskilometer mit sich auf dem Rhonedeich nahe Martigny, wo der Fluss einen Knick macht, als wolle er das Montblanc-Massiv verschonen, im Laufe der Jahrzehntasende ausgewaschen zu werden. Mein Lagerplatz zwischen Bahntrasse und Autobahn war nicht so übel. Sauber und gemütlich, nur eben der Lärm, der auch nachts kaum nachlässt. Weshalb ich früh im Sattel sitze, die Gegend an mir vorbei fliegen lasse. Die Rhone hat an dieser Stelle dreißig Kilometer vor dem Genfersee immer noch Gebirgsflusscharakter, ist wild, zwar kanalisiert, aber in sich selbst ungebändigt voller Wirbel, Wellen und Stromschnellen. Trübes Wasser, dem man ansieht, dass es viel Sand mit sich bringt. Insbesondere dort wo andere Flüsse zufließen sieht man wie stark getrübt die Rhone ist im Gegensatz zu den Zuflüssen, die meist sehr klares Wasser in die Mischung beitragen. Faszinierend ist die blasenartig mal kühle, mal schwülwarme Luft. Zunächst wunderte mich das, bis mir klar wurde, dass direkt über der Wasserfläche eiskalte Luft mitströmt, die durch den starken Wind mit der normalen Luft über Land verwirbelt und sich ein inkonsistentes Gemisch aus Luftmassen im Tal bewegnt.

In Saint Maurice bewundere ich das Kloster, das eine Station der Via Francigena ist, die nach Rom führt. Auf einer Tafel ist eine Liste aller Orte der Umgebung von Ornans im französischen Jura bis zum Ende der Schweiz eingezeichnet. Ich befinde mich auf einem uralten Pilgerweg.

Es ist heiß. Es ist sehr sehr heiß und schwül. In jedem Brunnen, der sich mir bietet, nässe ich mein T-Shirt, streife es fröstelnd und schreiend über, denn angenehm ist dieser Moment der Transition in einen fahrbaren Kühlschrank nicht. Der Effekt hält je nach Schattenlage etwa eine halbe Stunde. Dann ist das Shirt wieder trocken.

Am Genfersee angelangt, schlage ich die südliche Küste ein, weiche ab vom Rhoneradweg, der durch die Schweiz führt, befinde mich schon bald in Frankreich. Bis Evian-les-Bains führt teils ein eigener Radweg, der einer ehemaligeen Bahntrasse folgt, jedoch nicht im Gleisbett, sondern ein bisschen abseits und entsprechend mit Aufs und Abs gesegnet. Trotzdem bin ich froh. Die Straße lärmt, stinkt, nervt, ist teils gefährlich und sollte mir an dem Tag mehr als nicht erspart bleiben.

Trotzdem ist ein Fernradweg ausgeschildert: Tour du Léman. Léman ist der französische Name des Genfersees. Die Infrastruktur der Tour du Léman ist fragwürdig. Immer wieder stößt man auf Radwegefetzen, manche nur hunderte Meter lang, um wieder auf der Straße zu landen. An einer Stelle besteht die wunderbare Radlerinfrastruktur aus einem Schild an der Hauptstraße, das auf schnellen und viel Verkehr hinweist und einen zig Kilometer weit alleine lässt im Dieselrußgesstank und Lärm, gepeinigt von den Druckblasen der LKWs.
Ab und ane Baustellen zeigen aber, das wird, man baut Radwege immerhin, kleine Brücken, eigens geführte Trassen für die Radtouristen und -touristinnen.

Unweit von Evian nehme ich ein Bad im See, verharre, packe die Solarzelle aus, lade das Telefon. Später kaufe ich in Evian ein, schufte mich hinauf in die Hügel, folge der Radroute TDL, was in der Open Cycle Map das Kürzel ist für die Tour du Léman. Wird besser mit schlimmen Passagen immer wieder. Ein Zuckerbrot und Peitschenradweg. Trotzdem wunderschön.

Jenseits von Thonon-les-Bains mache ich auf der Karte gute Wildzeltmöglichkeiten aus. Schon bin ich auf Kurs, schon passiere ich einen winzigen Campingplatz in der Art à la Ferme, nur eben à la Neubaugebiet in Weinbergen. Nur etwa acht Stellplätze gibt es und die Besitzerin ist zufällig noch vor der Tür, lässt mich ein, erklärt mir die Restaurants und was man eben so als Tourist alles benötigt, Seezugang usw. und mit einen Schlag wird mir bewusst, wie weit außerhalb ich der Gesellschaft schon bin, wie abnorm meine low-Budget-Reise. Seit sieben Tagen nur wild zeltend unterwegs, mich in Bächen und Teichen waschend, nur von Brot und Käse und Wurst lebend. Ein Europenner wenn man so will.

Trotzdem tut der Platz gut. Mit 10,20 Euro vermutlich im normalen Preisrahmen, ein monetärer Ausweg aus der Drangsale, die die panoptische Gesellschaft mit sich bringt, deren Augen allüberall übel wildzeltend Pack vermutet …

ich schweife ab. Der Gedanke der Panoptik beschäftigt mich, seit ich jüngst einen Vortrag über einen französischen Philosophen gesehen habe, sein Name fällt mir gerade nicht ein, in dem es um die Entwicklung unserer heutigen menschlichen Gesellshaft ging hin zu einer sich selbst optimierenden, sich und die Mitmenschen immerbeäugenden Masse.

Mein Campingplatz lag genau gegenüber Nyon, etwa 40 kilometer bis Genf.

Ich schreibe diese Zeilen verharrend im Eingang einer Kirche in Genthod. Dem Tempel von Genthod. Kam gegen halb neun am Morgen los und radelte bis ins quirlige Genf und folge seither wieder der Rhoneroute. Allerdings aufwärts. In Nyon werde ich die Juraroute einschlagen.

Von Agno durchs Centovalli, durch den Simplon ins Wallis #UmsLand

Picknicktisch mit einer Flasche Milch, einem runden, dunklen Brot in Plastikfolie, halb ausgepackt und dem Stativ einer Actionkamera

Tag zehn und elf der Reise rund um die Schweiz. Mein heutiger Schreibort dürfte hundert oder zweihundert Kilometer vom letzten Schreibort (unweit von Agno im Tessin) entfernt sein. Eine Picknickgarnitur aus Holz direkt an der Rhône. Ich blicke nach Osten, wundere mich, dass die Sonne so steht wie sie steht, müsste sie nicht eher überm Fluss aufgehen, achje und es ist ja Sommer, fast Mittsommer gar, da dreht der Feuerball ja eine dreiviertel Runde, somit blicke ich wohl nach Nordosten.

Auf dem Tisch Frühstücksutensilien, die GoPro, ein Tetrapack Milch, Haselnusscreme und eines jener typischen Walliser Brote. Rund, bemehlt, Dunkel. Wie ein schöner großer Keks und ziemlich schwer. Vom Geschmack her ein bisschen wie Komissbrot, viel edler natürlich, schwer zu schneiden, fürs Beißwerk auch nicht gerade einfach. Das Walliser Brot bleibt ewig frisch, wenn man so will. Als ich gestern durch den Coop-Markt in Leuk spazierte, konnte ich nicht wiederstehern. 4,5 Franken kostete es.

Im Kern der beiden vergangenen Reisetage steht sicher das Thema Warten. Inwieweit Warten eine sinnvolle Tätigkeit ist, was es mit einem macht. Ich hatte gestern früh um kurz nach zehn in Domodossola ein Ticket nach Brig gekauft. Durch den Tunnel. 16 Euro für mich und das Veloticket solle ich im Zug kaufen, sagte die Bahnmitarbeiterin. Hätte ich den Fahrplan besser studiert, den mir Frau SoSo per Kurzmitteilung gesendet hatte, hätte ich mich vielleicht etwas beeilt. Meine Rutsche den Berg hinab wäre sicher viel hektischer gewesen, ich aufgeregt zudem, wie ich es eigentlich vor jeder Terminschleuse bin. Sei es nun ein Fahrplan, Arbeitsbeginn, oder irgendwann irgendwo sein müssen zu einem Zeitpunkt.

Wäre die Zugfahrt nicht, wurde mir plötzlich klar, wäre die Reise weiterhin in einem unförmigen, aber wohligen Zeitstrom ohne jegliches Zeitempfinden verlaufen. Das war mir sonntags bewusst, diese Zeitlosigkeit. Sie stellte sich dadurch ein, dass ich nicht einkaufen musste, weil ich es auch nicht konnte. Ein Gefühl des ‚alles ist genug, du brauchst nichts‘ stellte sich ein. Ich hatte zwar ein Ziel oder besser eine Richtung, nämlich durch Locarno ins Centovalli und rüber nach Italien, aber kein Zeitkorsett. Zunächst folgte ich der Schweizer Radroute 3 Richtung Bellinzona. Auf dem Pass jenseits von Rivera war ich kurz versucht, einen als gestrichelte Linie und mit Via Romana eingezeichnete Abkürzung steil den Berg hinab zu nehmen, um auf den Locarno-Radweg zu kommen. Die drei macht an dieser Stelle nämlich einen unmäßigen Schlenker, warum, sollte ich sogleich feststellen. Doch zunächst plauderte ich mit einem Briten auf dem Weg nach Como, nein, er könne mir auch nicht sagen, ob die Via Romana gut zu radeln ist. Drei Rennradler fuhren gerade hinunter und ich weiß nicht, was mich geritten hat, Vernunft? Das kann nicht sein, dass die Abkürzung taugt, sieh dir mal die Höhenlinien an. Der Brite sagte, die Route drei fahre sich sehr gut, sogar den Berg hinauf, wie sie gekommen waren, und ich muss ja nur hinunter und was sind schon fünf Kilometer mehr, wenn man sie in Gewissheit tut, im Vergleich zur Ungewissheit der Abkürzung. Die drei Rennradler waren mittlerweile verschwunden und ich radelte mit fünfzig, sechzig Sachen hinab auf der frisch geteerten Landstraße. Wieder so ein Pass, bei dem ich mir beim Abrollen nicht vorstellen konnte, ihn je hinauf geradelt zu sein.

Ein, zwei Stunden später baumelte ich in der Hängematte in Tenero, als die drei Rennradler an mir vorbei radelten. Ich weiß nicht, ob sie die Räder die Via Romana hinunter tragen mussten oder auf halber Strecke verzweifelt umgekehrt waren.

Bewusst nutze ich meine Hängemattenbaumelpausen, um auch die Akkus per Solarzelle zu laden. Da diese einen Wackelkontakt hat, kann ich sie nicht zuverlässig auf dem Gepäckträger betreiben. Das gibt aber meiner Ruhe auch eine gewisse Legitimation. Gegen Abend Einstieg ins Centovalli. Ab Ponte Brolla etwa zweigt der gut gemachte Radweg ins Valle de Maggia ab und ich muss wieder auf die Landstraße. Zum Glück nicht zu stark befahren und zum Glück auch mit halbwegs unriskanten Überholmanövern. Wegen der vielen Kurven kann man ohnehin nicht schnell fahren.

Bei einem Stausee überlegte ich, zu zelten, sah gut aus, entschied mich dann doch dagegen, da mir die Vorstellung nicht behagte am frühen Morgen gleich schon wieder Steigungen zu erklimmen. Ich meine, der Stausee war bei etwa vierhundert Metern und der Pass bei Santa Maria ist etwa 750 meter hoch. So genau erinnere ich mich nicht mehr. Das letzte Mal, dass ich durchs Centovalli radelte war 2001.

Beklommen war mir dennoch ein bisschen, denn in der Erinnerung ist die Strecke zwischen Domodossola und Locarno eng, kurvenreich, steil und es gibt noch nicht einmal Stellen, an denen man anhalten könnte, um mal eben zu Pinkeln oder ein Foto zu machen. Denkste. Ab dem Ort Re (Link zu Wiki) öffnet sich eine Art Hochtal und ich finde massenhaft Wiltdzeltplätze, so dass es fast schon schwierig wird, sich für einen zu entscheiden. Die Wahl fällt auf eine verlassene Kuhweide. Die Zäune sind schon abgebaut, direkt an einem Nebenfluss, der eine Art Wasserfall bildet, der sich über eine betonierte Kante stürzt. Wenn es mir gelänge, die drei Meter hinunter zu klettern, könnte ich sogar duschen. So aber bleibt nur ein Bad und ein im Fluss gekühltes Bier.

Montag, Transfertag, gestern. Ich bummele, drehe meine Runden in den Bergdörfern. Bis Santa Maria waren denn doch noch etwa 100 Meter zu klettern. Das Dorf liegt auf über 800 Meter. Dann stürzt sich die Straße hinab ins Tal und in weniger als einer halben Stunde stehe ich in Domodossola am Bahnhof, kaufe des Ticket, habe drei Stunden Wartezeit bis der Bimmelzug nach Brig fährt. Ich bummele durch die Stadt, sitze in der Fußgängerzone, esse eine Banane. Auf der Bank neben mir sitzt ein junger Mann, liest ein Buch. Ich grüße ihn Buongiorno, er grüßt zurück, liest und liest. Meine Solarzelle liegt auf dem Gepäckträger und pumpt das Handy voll. Ich nichtse so vor mich hin, denke übers Warten nach. Über Zeitpunkte und wie sie die Herrschaft über mein Leben, über unser aller Leben ausüben. Abstrakte Marker in einer streng getakteten Welt. Ab und zu stehe ich auf, gehe zum Radel, richte die Solarzelle aus. Ein Presslufthammer wummert. Nicht zu laut. Die Turmuhr schlägt zwölf. Noch eindreiviertel Stunden, dann gehts durch den Simplontunnel. Der junge Mann steht auf, sagt Arrivederci und geht. Ich packe zusammen und radele ein bisschen durch die Stadt. Fotografiere, lande in einem Park. Halb eins. Zwei Kleintransporter fahren über die Wiese bis zum Schatten unter Bäumen. Drei Männer steigen aus, machen es sich auf den Bänken neben einem Spielplatz bequem, quatschen Arbeitermittagspausendinge, essen ihr Lunchpaket. Ich richte hin und wieder die Solarzelle aus, müde bin ich, wenn ich einschlafe, verpasse ich vielleicht den Zug, stelle den Wecker auf 13:30. Eine Viertel Stunde sollte reichen bis zum Bahnhof zu radeln, denke über Zeit nach, verflixt, der nächste Zug, falls ich diesen verpasse, fährt um 15:48 und dann noch einer, ein paar Stunden später, und mein Ticket gilt bis 22. Juni. Ich könnte also wartend in Domodossola verbringen, die Hängematte zwischen den beiden Bäumen neben dem Bolzplatz da hinten aufbauen und ein Buch schreiben. Vom Warten in Dodo, wie ich Domodossola kumpelhaft nenne.

13:48 sitze ich im Zug. Die Schaffnerin wundert sich, dass mir die Schalterbeamtin kein Veloticket verkaufen wollte, druckt mir eins für 8,20 Franken aus. Somit habe ich diese Zugfahrt sowohl in Euro, als auch in Franken bezahlt.

Schwüle Hitze trifft mich mit Wucht, als ich den Bahnhof Brig verlasse, mich auf den Radweg verirre, der auf der rechten Rhôneseite in Naters verläuft. Aber ab da ganz gut beschildert. Zunächst mit Gegenwind –nein, Sturm sogar – bergab, bis ein Gewitter die Luft etwas klärt, dass der Sturm aufhört, sich in Rückenwind – gar Sturm – wandelt. Das Gewitter sitze ich unter dem Betondach eies Sportlerheims aus, wie auch zwei Rennradler, die sich im besten Walliserdütsch unterhalten und ich mich als ‚Tschugger‘-Fan (‚Tschugger‘ ist eine Krimiserie, die im Wallis spielt) zu erkenne gebe.

Campingplatztipps. Radlergeschichten. Dass der Simplonpass derzeit nicht fahrbar sei per Radel wegen einer Baustelle ganz oben bei den Galerien. Zu gefährlich. Ein Spießrutenlauf.
Alles richtig gemacht, Herr Irgendlink.

So folge ich nun der Rhôneroute Nummer 1 meist auf geteerten Dammwegen. Die Schweiz hat nicht nur ein nationales Radwegenetz, sondern auch ein Skatenetz. Und das ist auf der 1 oft deckungsgleich mit dem Radweg, was bedeutet, dass fast alles geteert ist. Doch auch die Pisten mit feinem festgefahrenem Split fahren sich ganz gut.

So wundere ich mich abends, dass ich schon fast in Martigny bin. Hätte mit zwei, drei Tagen Fahrt gerechnet bis zum Genfersee, doch nun sind es noch etwa 20 km bis Martigny und vielleicht 50 bis zum See.

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Gewohnheiten #UmsLand

Ein Fähranleger am Lago die Como. Kunstvoller Bau mit Spitzbogen und Flügeln. Dahinter der See und dahinter zackige Berge

Nachts wach, weil etwas im Unterholz raschelt. Etwas Großes, aber es grunzt nicht. Das ist gut. Dann ist es kein Wildschwein. Mit Füchsen, bilde ich mir ein, werde ich fertig. Aber Wildschweine? Die sind der Endgegner, wenn sie aufgeregt, in die Enge getrieben, ihre Jungen bedroht sehen. Ich liege gut auf weichem Waldboden unter uralten Kastanien. Ein Wunder, dass ich den Platz am gestrigen Abend noch fand. Ich war drauf und dran mich bis Agno durchzukämpfen, was nicht so einfach ist im Tessin. Lugano verlassen ist an sich nicht einfach als Ortskundiger. Nun, da ich dies schreibe, kann ich nur empfehlen, die Straße nach Agno einzuschlagen oder die Seestraße weiter zu radeln. Ich habe alle Fehler gemacht, die man beim Verlassen von Lugano begehen kann. Ich folgte einer Radroute mit einem abgebildeten Berg und einem Stern, so vermute ich, die in einen Ort namens Paradies führen sollte. Tut das nicht, bzw. nur, wenn ihr in einen Ort namens Paradies fahren wollt.

Die Route war schön, mäßig beschildert, steil, steil steil. Am Ende verließ ich die ausgeschilderte Strecke, weil mir ein paar offene Flächen in der Nähe des Ortes Montagnola lukrativ erschienen. Ich stellte mir gemähte Wiesen vor, freundliche Bäuerinnen und Bauern bei der Arbeit, die man fragen könnte, ob man das Zelt aufstellen darf. Null Problemo also. Doch zunächst Schiebstrecke. Ich schätze, ich hatte am gestrigen Tag meinen ersten 30-Prozenter gefunden und zwar nicht zu kurz, mehrere hundert Meter windet sich die Straße hinauf nach Montagnola. Durch dichten Wald. Die Zeltplatzwiese und der freundliche Landwirt wollen bitter erschoben werden. Ruhige Sträßchen, auf denen hin und wieder solche Karossen daher kommen – mit stark betontem »solche«. Oben angekommen finde ich die Zeltwiesen, die ich mir erträumt hatte, von schicken Villen bebaut, und begrüßen mich Privatbesitzschilder und Überwachungskameras. Also doch weiter rollen nach Agno zum Campingplatz. Eine Hundegassigängerin grüßt freundlich. Sie trägt ein papageienbuntes Outfit wie nicht von dieser Welt, über die Maßen parfümiert und geschminkt. Eine wirklich sehr sehr feine Dame, der man ansieht, dass sie es sich leisten kann, in einer der Villen zu leben. Hund von Rasse, pudelklein und frisch frisiert. Schätzungsweise, wenn man alle Dinge, die unsere beiden Körper umgeben, der Hund als Ding mitgemeint, wenn man also alles, was nicht menschlich ist an uns beiden wegnehmen und nackt dastehen lassen würde, erhielte man als Erlös der materiellen Aura der Dame ein vielleicht Hundert- oder gar Tausendfaches des Erlöses meiner materiellen Aura.

Die Dame ist freundlich, aber ich merke schon, dass sie eigentlich eher mit einem Bediensteten spricht als mit mir. Nein, nein, nicht diesen Weg einschlagen, sondern den da, runter zur Chiesa, zur Kirche und dann die sinistre, die linke Straße nehmen, da gehts nach Agno.

So irre ich durchs Labyrinth der Reichen. Kein Flecken, an dem man nicht beobachtet ist, kein Plätzchen, kein Bänkchen, kein Park, in dem ich mich trauen würde, die Hängematte mal eine Nacht lang aufzuspannen.

Solche unwildzeltbare Flecken begegnen mir hin und wieder. Nicht oft, immer öfter? Abgeschottet und nicht willkommen.

Die gestrige Radroute war durchwachsen. In Colico am nördlichen Ende des Comersees war erst einmal Schluss mit Eitelradweglein und ich radelte auf der mäßig befahrenen Uferstraße bis Riva, wo die Fähre nach Menaggio ablegt. Eigentlich kein Problem. Bloß die recht dichten Überholvorgänge selbst bei guter Sicht und freier Gegenfahrbahn. Ich kam zu dem Schluss, dass der Verkehr in Italien anders tickt als in Deutschland und dass man mit theoretisch 1,5 Metern Sicherheitsabstand in Deutschland doch recht verwöhnt ist. Ich weiß nicht, ob es diese 1,5 Meter in Italien oder der Schweiz als Vorgabe überhaupt gibt. Wohl eher nicht. Wohl eher lautet die Regel, überhole so, dass du niemanden gefährdest. Zwischen zwanzig Zentimetern und mit Mühe und Not mal 1,5 Metern ist eigentlich alles drin.

Was bist du für ein verwöhntes Nordradelbübchen, denke ich. Viele Radlerinnen und Radler unterwegs und alle scheinen mit einer gewissen Demut die knappen Überholvorgänge zu dulden. Weil sie sich daran gewöhnt haben?

Die Rennradler haben immerhin noch Warnbliklichter direkt unter dem Sattel, was mitunter lustig aussieht, weil es grell rot direkt aus dem Po zu blinken scheint. Radeln im Polichtmillieu, dichte ich einen Tweet, der niemals abgesendet wurde.

Nachdem ich das Dorf Montagnolo hinter mir gelassen habe, strebe ich Richtung Agno. Dort gibt es Campingplätze, was ja auch kein Fehler ist. Mich mal eine Nacht lang wo einmieten, Duschen, statt Brunnenwäsche oder Flussbaden. Müde bin ich, achtzig Kilometer in den Beinen, schon freue ich mich auf einen Campingplatz, schon finde ich ein verlassenes Grundstück in einer Kurve, schon will ich weiter radeln, schon leses ich das Schild, das an einer Kette hängt, die die Zufahrt versperrt, Müll abladen verboten, okay, das klingt wie nicht privat, nicht Zelten verboten, schon wuchte ich das radel über die Kette und werde im hinteren Teil des urigen Geländes fündig, eim wunderbarer Platz auf blättrigem weichem Boden unter Kastanienbäumen. Topfeben, fast wie Camping. Entgegen meiner Gewohnheit mitten im Wald.

Gewohnheiten ist der Arbeitstitel dieser Zeilen. Es gaukelte mir schon lange ein Artikel zu dem Thema im Kopf, nun bin ich doch ins Reiseplaudern gekommen, habe das Thema nur knapp mal angeschnitten. Man muss es ja nicht erzwingen, denke ich.

Heute, Sonntag, dürfte der zehnte Radelreisetag sein – vier Tage Elsass bis in die Schweiz und nun der sechste Umrundungstag.

Nachdem ich das Kastanienzeltlager verlassen hatte, war ich nach wenigen hundert Metern auf der Straße nach Agno, neben der – tadaaa! – ein schöner breiter Radweg führt. Ich weiß nicht, ob er bis Lugano durchgebaut ist, will es auch nicht erkunden, freute mich des Morgens. Ein bisschen Sonne gabs auch, doch nun trübt es sich ein. Soll wohl gewittern am heutigen Tag.

Ich befinde mich seit Agno auf der Radroute 3, der Via Romea Francigena. Ich glaube, sie führt nach Bellinzona. Falls es von dort weiter ins Wallis geht, werde ich sie womöglich weiter verfolgen. Falls nicht, fahre ich vielleicht durchs Centovalli und nehme in Domodossola den Zug nach Brig.

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Tage sieben und acht #UmsLand

Großer Fluss neben felswand zur Linken und mit Flachem Ufer zur Rechten. Der Fluss hat an einer Stelle mächtige Stromschnellen

Es gab vermutlich einen  leichteren Weg, vor vielen Mannsattelstunden am Rhein. Der holländische Weg rund um die Schweiz. Er folgt strikt den drei nationalen Radrouten Rhein, Rhône und Jura. Soweit ich es überblicke, wären in den Alpen nur der Oberalppass und der Furkapass zu überwinden. Sonst nichts.

Im Schweizer Passgewirre kann einem schon recht schwindlig werden. Vor allem als Radler läuft man Gefahr, sich in einem Tal zu verirren, auf eine Felswand zuzufahren, schlimmstenfalls auf einer stark befahrenen, engen Passstraße. Dehalb halte ich mich am liebsten an ausgewiesene Fahrradrouten, obschon auch die nicht Garant sind für eitel Radelfahren auf ebener Piste ohne Fernverkehr.

Pässe sind nunmal Nadelöhre. In Landquart traf ich vorgestern die Entscheidung, die Rheinradroute zu verlassen und der lokalen Route 21 Richtung Klosters und Davos zu folgen. Die Radroute führt zwar laut Open Cycle Map nur bis Klosters, ich war aber zuversichtlich, dass es irgenwie weiter geht. Bis Davos, dann ein Pass, der Flüela? Wie auch immer.

Gute Strecke auf ehemaliger Straße, und direkt am Fluss namens Landquart. Spektakuläre Felswände im Gleichklang mit Katarakten im Fluss. Wiesen. Abends vorbei an einem Schützenhaus, wo der Radweg gesperrt war und umgeleitet wurde, damit niemand verletzt wird. Wie oft so in der Schweiz. Es stehen Fahnenmasten vor den Schützenhäusern, die gehisst werden bei Schießbetrieb.

Ich fand einen schönen Zeltplatz ein paar Kilometer hinter der Umleitung, auf Kies, direkt am Fluss, konnte mich waschen. Zum Baden war das Wasser zu kalt.

Tags drauf, gestern, ging es direkt nach dem Packen schon richtig zur Sache 25 Prozent Steigung zum Frühstück. Das Tolle daran: auf 100 Metern Strecke schafft man sich 25 Meter höher. Im Kriechgang. Und überhaupt laufe ich ja auf der Hypothenuse und die 100 Meter gelten für die Gegenkathete zu den 25 Metern, alles klar? Schiebeschwitzmathematik bis Klosters, auch die späteren zehn bis zwölf Prozente kein Amüsement, zumal oft Kies. Das geht selbst Schieben schwer.

Direkt am Bahnhof Klosters Platz angelangt, fackele ich nicht lange – es steht ein Zug nach Scuols am Gleis –, kaufe eine Fahrkarte, der Zug fährt mich zum Inntal, denke ich, ahne ich, bin nicht ganz sicher, frage Menschen, ja, sagen sie, Scuols ist am Inn. Dort ist wieder ein Radweg eingezeichnet, dem ich folgen möchte. Karte gekauft, im Zug sitzend, fällt mir auf, dass es noch Zwischenstationen gibt. Ich hätte gar nicht bis Scuols durchbuchen müssen, kostete 23 Franken nochwas, Lavin die zweite Station nach dem Tunnel hätte gereicht, aber egal. Bei der ersten Station, die noch einen Tick höher im Inntal liegt, hätte es keine Brücke bis zum Radweg gegeben und ich hätte über Lavin oder Zernez auf der Landstraße radeln müssen.
Alles klar?

Passwirrwarr. Ich weiß nun, dass der Flüela von Davos nach Zernez führt und dass der Ofenpass von Zernez nach Irgendwo führt, sowie der Innradweg auf dem Malojapass endet, von wo aus die Route sich noch durch ein paar Schweizer Orte bis zur italienischen Grenze in die Tiefe stürzt.

Das hatte mir ein radelndes Paar aus Scuols erklärt, auch wie es sich mit den beiden Engadins verhält, dem Ober- und dem Unterengadin und überhaupt, sei die Gegend so schön, so abenteuerlich, so kulturell und pittoresk, da lohne sich Langsamkeit, schauen, sich driften lassen.

Tue ich auch, unterhalte mich kurz vor Zernez mit einem Norweger aus Tromsø, der lange in der Schweiz lebte und nun wieder zurück siedelt. Er hat einen dreibeinigen Hund, der den Knochenkrebs überlebte, nun aber eben nur noch drei Beine hat, ein glückliches Tier mit weißem Fell, das in der Wiese herumtollt. Fürs Radeln und Wandern gibt es einen Auflieger am Fahrrad, wo der Hund sich halb auflegen, halb auf den verbliebenen Hinterläufen laufen kann.

Zernez. Die Wolken jagen mich talaufwärts. Bombastischer Rückenwind. Entgegenkommende Radlerinnen und Radler keuchen im Anblick des Dusters im Tal. Ich hab stets einen Streifen Sonne vor mir, Lücken in den Wolken. Vor Sankt Moritz wirds nochmal steil, aber letztlich führt der Innradweg wie ein ganz normaler Flussradweg bis zur Passhöhe in Maloja bei 1815 Metern Höhe.

Dann nur noch abrollen. Ich kann es nie glauben, wenn ich Pässe übberwunden habe und wieder abwärts fahre, dass ich hinauf geradelt bin. Kann mir bei fünfzig, sechzig Sachen nicht vorstellen, dass man das überhaupt radeln kann.

Etliche Kilometer bis zur italienischen Grenze gibts keinen Radweg und der Verkehr ist auch nach 19 Uhr noch ziemlich stark. Langsam zwar und die Straße ist breit, und abwärts bin ich ohnehin genauso schnell wie der Mahlstrom der Motorisierten.

Gleich nach der Grenze beginnt ein Radweg, gut beschildert, keine Autos, der laut Karte weiter und weiter und weiter führt. Fährt sich bestens, geteeert, nur ab und zu Straßenquerungen, superschön. Eine Tanzgruppe mitten auf dem Weg und kurze Zeit später eine Reifenpanne. Dichter Tag. Ich repariere eher lustlos mit Notfallkit. Statt zu warten, bis die Kautschukmilch sich ins Loch setzt, radele ich weiter, hab nach fünf Kilometern wieder platt, muss also doch noch eine Schwarze-Hände-Session einlegen. Auf einer Bank beim Stadion fange ich an mit der Reparatur. Ein Radler kommt vorbei, stoppt, schaut mich fragend an. Ob er helfen kann? Ich winke ab, krieg ich schon hin. Aber der Junge bleibt und schaut zu, und gibt schließlich Tipps, als die uralte Luftpumpe nicht funktionieren will. Nichts geht. Das Ding ist Schrott. Ich hätte es gar nicht mitnehmen dürfen.

Da ich kein Italienisch kann und der Junge kein Deutsch, reden wir mit Händen und Füßen, irgendwann bedeutet er, ich soll einen Moment warten, setzt sich aufs Rad, kommt nach zehn Minuten wieder mit einer Profiluftpumpe, so eine Standluftpumpe mit Druckanzeige.

Perfekt. Also ob mir ein Engel geschickt worden wäre.

Wieder im Sattel die nächsten Engel. Drei Männer auf einer Wiese rollen Heuballen auf einen Anhänger. Ich muss nur bitten und mir wird gegeben: Darf ich hier zelten?, frage ich und sie sagen ja, winken mich am Zaun vorbei zur Einfahrt der Wiese.

Einzige Wermutstropfen, um kurz vor sieben Uhr morgens lärmt mich ein Motorsensentrupp der Gemeinde aus dem Zelt, sie mähen die 500 Meter Grasstreifen entlang des Radwegs just gegenüber meiner Wiese.

Nun bin ich schon am Comersee. In der Nähe von Colico, dreißig Kilometer in den Beinen. Die Menschen strömen halbnackt ins Strandbad. Surfbretter werden montiert. Motorräder, Autos, Badeschlappengeräusche.

Der Radweg hat Lücken, ist aber noch relativ gut. ich hoff, das bleibt so bis zum Hafen nahe Bologna, ab dem ich die Fähre nehmen möchte. Ich hoffe, das Schiff nimmt mich mit Radel mit. Bis Menaggio.

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