Die Siegessäule ist es nicht wert, als erstes und einziges Bild aus der großen Stadt gepostet zu werden – obschon im Glanz des gestrigen Tages eine schöne Hipsta-Collage gelungen ist. Unterwegs am Rikschastrich, umschwirrt von zahllosen Rikschataxis, erhalten wir von einem gewissen Christoph eine Gratis-Einführung in knapp 150 Jahre Siegessäulengeschichte. Dass sie zunächst am Brandenburger Tor stand und viel kleiner war und erst 1938 erhöht und verstellt wurde und man höhnisch den Kanonen, die zuoberst nachträglich aufgestockt wurden, die Köpfe verbogen hatte, so dass sie ohne Brille betrachtet, wie erektionsgestôrte Penisse wirken. Rikschamann Christoph gabelt uns auf einer Parkbank im Tiergarten auf, seine Geschichte ist gratis, gehört aber zum Lock- und Verkaufsgespräch. Nachher, unzählige Rikschafahrtenanbandelungsgespräche später, meine ich den Rikschastrich zu durchschauen. Die Fahrer sind alle selbständig, mieten die Rikschas. Es gibt akkugestützte Rikschas mit Carbonrahmen und gute alte, schwere Dinger, ohne jeglichen Komfort. Alle haben eines gemeinsam: es passen zwei Touristen rein und vorne sitzt ein Fahrer, der seine Haut verkauft. Christoph macht in „architektonische Stadtführung“. Ein anderer macht in „Berliner Schnauze“ usw.
Die Siegessäule liegt in einem riesigen Verkehrskreisel. Durch zwei Tunnel kann man sie zu Fuß von Osten oder Westen erreichen. Für Geld darf man bis ganz nach Oben steigen. Was wir uns, nicht zuletzt wegen der Doppeldeutigkeit dieses im Grunde kriegerischen Denkmals sparen. Auf dem Fundament wird auf vier etliche Meter langen Bronzetafeln die Geschichte des Sieges im Krieg 1870/71 erzählt und die Geburt des dt. Kaiserreichs. Erschöpft knien die Verlierer und reichen den hoch-zu-rossen Siegern die Kapitulationsurkunde. Das Bronzerelief ist durch die beiden Weltkriege mitgenommen. Schusslöcher. Abgerissene Köpfe, Spuren ewig schwelenden Konflikts.
Ich will nicht weiter auf das Denkmal eingehen. Seine zwei Seiten jedoch sind faszinierend – Sieger und Verlierer- spontan nenne ich es Verlierersäule. Soso, die als Ausländerin völlig unbeleckt in die deutsche Geschichte schliddert, nennt es schlicht „der Engel“. Man sieht eben nur die Flügel. Der marode Hintergrund und die Querelen bleiben meist verborgen. In den Tunneln sind gläserne Lichtinstallationen angebracht, die auf die Bewegungen der Durchlaufenden reagieren. Wenn man ganz nah an der Wand entlang läuft, oder sie mit der Hand berührt, leuchtet sie und es entsteht, auf den etwa 12 Metern ein Licht – Schattenspiel der Passanten. Fasziniert stehen sie vor der Wand, betasten sie, machen Faxen usw. Nicht ahnend, dass die Lichteffekte durch Sensoren auf der gegenüberliegenden Seite des Durchgangs erzeugt werden. In Abständen von ein paar Metern sind unscheinbar auf Kopfhöhe kleine Quadrate. Wenn man die Hand davor hellt, strahlt die gesamte Wand.
Eine wunderbare Analogie an die Zweideutigkeit und die Verworrenheit allen Seins. Sieg und Niederlage, Licht und Schatten, aufgeschlossene Rickschafahrer, die scheinbar nur dich kennen und wenn du ihnen eine viertel Stunde später zuwinkst, wenn längst andere Gäste in ihren Rikschas sitzen, starren sie dich mit hohlen Augen an und im Frühlingswind säuselt ihr individuelles Lied von der Schönheit der Stadt.
Fahrrad-Tetris
„Das ist das erste und das letze Mal, dass ich das Fahrrad im Zug mitnehme“, sagt ein italienischer Reisender. Nur weil ihm in den letzten zehn Jahren insgesamt fünf Fahrräder an Bahnhöfen geklaut worden sind, hat er es dieses Mal probiert, es im Zug mitzunehmen. Das Abteil füllt sich in Offenburg rasant. Acht bis zehn Radler garniert von Kinderwägen und einer behäbigen Frau in schwerem Rollstuhl. Von Station zu Station mehr Leute, die sich mit Gepäck tetrishaft im Abteil stapeln. Eigentlich wäre genug Platz für alle. Aber die Unbedachtheit, manchmal auch der Egoismus jedes Einzelnen … ganz wie in der großen weiten Welt. Mit dem Jungen neben mir gehe ich einen Pakt ein. Wir opfern unsere beiden Sitze und machen Platz für zwei Räder. Man müsste das Ganze noch viel besser organisieren. In meinem Schädel brennt der kleingeistige Ruf nach einem starken Mann, der hier mal ordentlich aufräumt. Einem weisen, gütigen Schaffner, der uns alle sinnvoll stapelt. Wer als letzter raus muss, dessen Rad kommt nach Hinten. Schon bastele ich an einem Nummernsystem, wobei jeder Bahnhof der Strecke eine Nummer kriegt. Und jedes Rad kriegt auch eine Nummer. Monsieur Kleingeist Süperadministratör.
Die Frau im schweren Rollstuhl verzieht sich drei Haltestellen weit in die Toilette. Als sie raus kommt, ist das Abteil verschachtelt überfüllt. Quengelndes Kind. Die Mutter versucht ihm den Schnuller in den Mund zu stopfen. Wie eine Schmeißfliege schwirrt ihre rote Hand vor dem Kindergesicht. Ein Kerl telefoniert über eine Entbindung. So detailiert, dass, wenn ich die Vorlesung zu Ende gehört habe, ich in der Lage sein werde, eine Zwillingsgeburt zu begleiten. Ich Hebamme der modernen Blogliteratur. Das Mädchen soll Bente getauft werden, ja, Be, E, En,Te, E, buchstabiert der Hobbygynäkologe, ein nordischer Name, der sowohl seiner Frau, als auch ihm gut gefallen habe. Derweil setze ich meine gynäkologischen Erkenntnisse direkt in die Tat um, indem ich einem Jungen helfe, sein Fahrrad von ganz hinten bis zur Tür zu bringen. Eine transporttechnische Steißgeburt. In Freiburg leert sich der Wagen und während der fünf Minuten Aufenthalt kommen andere Radler herein, eine Frau mit Rollstuhl, die resolut einen Sitzplatz einfordert. Gut so. Sie strickt. Kinder drehen durch. Ein Geplärr wie Wahnsinn. Als würde der Zug ausatmen und wieder einatmen. Die Luft anhalten bis zur nächsten Haltestelle, Ausatmen, Einatmen. Ich bin ein Fremdkörper, eine Thrombose, die den Stoffwechsel behindert. Den letzten Atemzug wird die Regionalbahn in Basel tun. Endstation. Da muss ich ein letztes Mal umsteigen. Nun an einigen Haltestellen vorbei mit seltsamen Namen: „Augen“ und „Haltingen“.
Und warum?
Weil am Rhein!
Quer durch’s Land
Irgendlink macht den Quer durch’s Land Test – mit Bahn und Fahrrad von Zweibrücken bis Bad Säckingen.
Aktuell rollt die Regionalbahn Richtung Karlsruhe, wo es zum dritten Mal „Umsteigen“ heißt. Sechs Stunden dauert die knapp dreihundert km lange Tour. Fünf mal umsteigen. Um Punkt 9:27:42 spuckte der Automat in Zweibrücken das 42€ Ticket aus. Plus fünf € fürs Radel. Am Automat blinkten Warnlichter, im Großraum Stuttgart sei mit Zugausfall und Verspätung zu rechnen. Eine Horrorfahrt im völlig überladenen Regionalexpress zwiscgen Karlsruhe und Offenburg kommt mir in den Sinn …
Der „Kleine Uhu“ des Reiselebens
Wenige Stunden vor dem Start zur Nordseerunde liegen alle Europenner-Reiseutensilien auf dem Tisch im Atelier. Es erinnert mich an den Kult-Modellflieger der 70er Jahre, den kleinen Uhu. Balsaholzbausatz. Explosionszeichnung.
Auf der Südseite des einsamen Gehöfts koche ich Kaffee in der Sommer-Draußenküche. Nervös. Meisen ziehen Insekten aus der Rinne des Scheunendachs.
Ich sollte endlich diese vielen Gegenstände komprimieren. Besonderer Augenmerk auf die Kreditkarten. Nicht dass es mir so geht, wie am 17. April 2000, als ich versehentlich ohne Geld losgeradelt bin, weil die Bankkarten beim feinsäuberlichen Packen unter den Schrank gerutscht waren.