Schicke TOLLPATSCH an die 1279

Zweilinkhandtag

Zweilinkhandtag. Ganz bestimmt. Heute ist Zweilinkhandtag. Wenn ich ein Handwerker wäre, den ich beauftragen müsste, um etwas zu reparieren, die Klospülung oder kaputte Glühbirnen oder eine Wand zu tapezieren, ich würde mich nie und nimmer beauftragen. Nicht heute am Zweilinkhandtag. SoSo und ich scherzen seit unserer Gotthardwanderung immer über diese gewissen Tage, an denen Dinge schief gehen, dass wir morgens versehentlich eine SMS mit der Nachricht TOLLPATSCH an irgendeine Nummer geschickt haben und, ohne es zu wollen, eine Tollpatschflatrate gebucht haben. Was will man auch tun, wenn alles schief geht? Nichtstun geht in solchen Momenten nämlich auch schief. Also ist es am besten, so weiterzuleben wie bisher und so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Mit der Handkreissäge länge ich ein Wandelement für das neue Kunstwerkelager ab, schleppe es zur halbfertigen Wand, versuche die Klickstelle des Klicklaminats mit dem schon festgeschraubten Element zu verbinden und scheitere. Zwischen den Elementen klafft ein halbzentimeter breiter Spalt. Es ist wie Russisch Roulette, an einem Zweilinkhandtag mit der Handkreissäge zu arbeiten. Zwei drei Stunden schufte ich so vor mich hin, verwurstele Ekeldämmstoff mit Hustgarantie und überlege dabei, ob ich nicht besser „Irgendwas mit Computer“ machen sollte, da würde ich weniger Schaden anrichten. Aber dann wird mir plötzlich klar, dass man mit tollpatschig ausgeführtem „Irgendwas mit Computer“ weitaus größeren Schaden anrichten kann, als mit einer Handkreissäge oder einem Hammer.

Besuch vom Burgenblogger 1/10

Letzten Samstag kommt @hagengraf alias @burgenbot, so seine Twitternamen, zu Besuch. Vierzehn Stunden kurvte er über französische Nationalstraßen von Fastspanien bis hier herauf zum einsamen Gehöft. Wir hatten uns über die Bewerbung zum Burgenblogger kennengelernt. Er ist einer der letzten zehn aus 750 BewerberInnen, die zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Ich hatte ihn eingeladen, hier, nur zwei Tagesritte von Burg Sooneck entfernt :-), zu übernachten. Wir Reisenden müssen ja zusammenhalten. Es passiert mir selten, dass ich fremde Leute treffe und es mir sogleich vorkommt, als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen. Bei Hagen war es so (und eigentlich kenne ich ihn virtuell ja schon seit fast zehn Jahren). Webexistenzen sind wir, Engel in globaler Avatarwolke. Wir grillen. Samstag ist der letzte schöne Tag. Über den Bewerbungsmarathon am darauffolgenden Montag auf Burg Sooneck, berichtet Monsieur Burgenbot hier. Die Entscheidung, wer im Sommer 2015 für ein halbes Jahr auf der Burg bloggen darf, fällt am 10. November.

Künstleralltag und Nanowrimo

Der Künstleralltag plätschert so dahin. Tagelang krank gewesen. Husten, Schnupfen, bettlägrig. Dennoch immer irgendwas gewurstelt. Mit dem Nanowrimo, dem National Novel Writing Month, habe ich begonnen. Ziel dieser konzentrierten Schreibaktion, die über ein Internetportal socialmediaesk hunderttausende von Schreibenden weltweit begeistert, ist es, im Monat November 50.000 Worte für eine Novel, also einen Roman zu schreiben. Täglich kann man seinen „Wordcount“ aktualisieren und schauen, wie gut man im Rennen ist. Es gibt Tiere, wahre Schreibmonster, die haben schon über 20.000 Worte geschrieben. Monsieur Irgendlink kränkelt irgendwo knapp unter der Mittelkurve. Wie beim Golf gibt es das Par, den Durchschnittswert pro Tag, an dem man sich orientieren kann. Was lerne ich aus der Sache? Eigentlich eine klasse Idee, um sich selbst zu disziplinieren. Für gemeinhin verschieße ich mein Wortpulver in Blogbeiträgen (wie diesem, 754 Worte) und Tweets, statt mich auf die eine oder andere Geschichte zu konzentrieren, die ich gerne schreiben würde. Ich vermute, der Nanowrimo ist tatsächlich ein wirksames Instrument, ein Schreibprojekt aufzugleisen. Eine Großoffensive gegen den inneren Schweinehund. Ich konzentriere mich auf den „Europenner“ mit Abstechern zu meinen bauesoterischen Krimiskizzen Circulum Verticalis und Verticulum Circularis. Bewege mich derzeit auf der Plot-Ebene und habe noch kaum eine Szene geschrieben, die auch in eines der Bücher kommt.  Immerhin ist gestern eine erstklassige Kurzgeschichte dabei herausgekommen, auf die ich richtig stolz bin. Ich schreibe meine Nanowrimo-Skizzen natürlich im Blog meist als nicht öffentliche Privateinträge (da verpasst man nichts, ich arbeite zur Zeit ja fast ausschließlich der Metaebene, dies sich mit der Geschichte selbst befasst). Wenn es Öffentliches gibt, gebe ich es hier im Blog bekannt.

Das USA Liveblog Projekt?

Um wievieles einfacher, als ein Buch zu erfinden, ist es doch, es live zu schreiben! Als Nachfolger für die Reise um die Nordsee hatte ich letzte Woche etwas verfrüht  das Projekt Liveblog USA skizziert, um eventuell beim Contest einer Versicherung Geld zu gewinnen. Es gab da gewisse Ähnlichkeiten in den Zielen, dachte sich Monsieur le Künstbüb, moi même. Aber: Die Interessen der Versicherung sind nicht die Interessen von Monsieur Irgendlink! (Um es mit René Polleschs ‚Heidi Hoh‘ zu sagen: Die Interessen der Versicherung sind nicht die Interessen, die Herr Irgendlink hat.) Ich erfuhr es gestern per Mail. Das Projekt wurde nicht unter die ersten Zwanzig gewählt. Die dürfen sich ab Mitte November für eine Woche um Klickzahlen prügeln und wer die meisten Klickzahlen für sein Projekt erhält, der kriegt den Hauptpreis von 5.000 Euro. Ich hasse Klickschlachten. Insofern bin ich froh, nicht mithündeln zu müssen.

Chronik einer Burgenblogger Bewerbung

Umschlag versiegelt mit dem Namen der künftigen Burgenbloggerin

Mitte August 2014

Facebook verpetzt, dass Burg Sooneck am Mittelrhein 2015 für ein halbes Jahr Kost, Logis und ein kleines Salär für einen willigen Blogger bietet. Ob ich mich nicht bewerben wolle, fragen verschiedene Freunde. Ich sage nein, keine Idee. Zwei Wochen lang geistert die Burg, der Job, der Mittelrhein im Hinterstübchen. Unterbewusst schleicht sich die Offerte immer wieder an. Zu den Akten legen impossible.

Anfang September 2014

Ideeeee! Ich schreibe eine witzige Glosse in Form einer Bedienungsanleitung und packe in den Text alles nötige, was die huldvollen Ausschreiber des Jobs wissen müssen. Weberfahrung, Blogkompetenz seit 2001, Nordseeumrundung, Jakobsweg, alles, was man so im Laufe eines Mobilbloggerlebens auf dem Kerbholz hat. Zwei Stunden Arbeit. Besonders gut nach Fipptehlern suchen, wir sind hier nicht auf einer Livereise, auf der man Schreibschludereien einfach so mit ich hab das alles auf dem Handy getippt, ich war müde, es regnete, entschuldigen könnte. Abschicken.

Kurze Zeit später 2014

Die Sache wird viral. Facebook- und Twitteraccounts zum Thema Burgenblogger sprießen wie Pilze. Uralte Facebookseiten, die völlig verwaist waren sind plötzlich wieder in Betrieb. Nigelnagelneue Blogs werden registriert. Die Bewerberzahl nimmt zu. Mit Burgenblogger und Mittelrhein als Schlagwort auf die erste Googleseite zu kommen, wird zunehmend schwerer. Videoblogger und Facebookträumer geben sich in den sozialen Medien die Klinke in die Hand. Likebettelei und Retweetwahnsinn machen sich breit. Von Seiten der Veranstalter läuft es bestens. Mit Ihren Socialmediapräsenzen schütten sie hektoliterweise Öl ins Feuer. Monsieur Irgendlink kommt in die Bredouille. Muss mitbloggen. Das Blog umstricken. Kategorie Mittelrhein einrichten, sich mit Rheinromantik beschäftigen.

7. September 2014

Dass es auf der Burg laut ist, ein Steinbruch nebenan, das ohnehin lärmgebeutelte Mittelrheintal am Bein usw. sickert durch. Madigmacher schreiben von miesbezahltem Job (und bewerben sich vermutlich dennoch).

Umschlag versiegelt mit dem Namen der künftigen Burgenbloggerin
Umschlag versiegelt mit dem Namen der künftigen Burgenbloggerin

8. September 2014

Eigentlich ist die Sache gelaufen. Ich weiß, wer Burgenbloggerin wird, notiere den Namen auf einem Zettel und packe ihn in einen versiegelten Umschlag.

Eine Woche später 2014

Schon über dreihundert Bewerbungen, twittert die Rhein-Zeitung. Wau. Die Bedingungen für den weiteren Verlauf der Bewerbungsphase werden bekannt gegeben: zuerst werden fünfzig Bewerberinnen und Bewerber in die engere Wahl genommen, dann zehn. Wozu erst fünfzig, dann zehn? Wieso nicht gleich nur zehn? Mir schwant übles. Ich versuche mich in die Lage der Ausschreiber zu versetzen. Es dämmert.

14. September 2014

Am letzten Tag der Bewerbungsphase rotiert Twitter mit einer Bewerberzahl nach der anderen. Vierhundert, fünfhundert, darf’s ein bisschen mehr sein? Bis zur Deadline um 23:59 Uhr sind es über siebenhundert. Chappeau Mailserver!

15. bis 29. September 2014

In Kleinburgenbloggersdorf herrscht völlige Verwirrung. Die Veranstalter geben schon wenige Tage nach dem Ende der Frist bekannt, dass sie die Burgenblogger-Fifty ausgewählt haben. Aber niemand wird informiert. Ein gefühltes Mittelalter vergeht, bis am 29. September endlich die Nachricht kommt, haben soeben achthundert Mails versendet mit den Zu- und Absagen.

29. September 2014

Über Twitter jubeln und weinen die Zu- und Abgesagten im Minutentakt, dass es nur so eine Art ist. Juhuuu und oh ich bin so traurig. Irgendlinks Postfach ist leer. Und leer. Und leer. Auch im Spam ist nichts zu finden. Monsieur Irgendlink hatte zuletzt seine unendliche Geduld bewiesen, als er vom Gotthard heimkehrte und nicht wusste, wer Fußballweltmeister ist. Nonchalant flüsterte er, ich muss es nicht wissen. Spätestens bei der nächsten WM werde ich es erfahren.

29. September, eine gefühlte Spätromantik später 2014

Ich muss das jetzt wissen! Schreibe Mail an die Bewerbungsadresse. Autoresponder, nichtssagend. Nie wirst du unter der Kontaktadresse je etwas erfahren. Tot. Twitter fragen. Drei weitere Burgenblogger haben auch keine Mail erhalten. Schrödingers Burgenblogger? Ein quantenphysisches Experiment? Die anderen verpetzen irgendwann die magische Adresse vom Onlineredakteur, der die Strippen in der Hand hält. Zu müde, um da jetzt noch zu mailen. Dornröschenschlaf.

Zeitlos skeptisch 2014

Wieso fünfzig, dann zehn und dann die eine? Monsieur Irgendlink zieht sein Jurykostüm an, läuft im Kreis, um sich besser in die Denkweise einer Jury versetzen zu können. Plötzlich fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Wickie-esque ich hab’s rufend: wenn ich Jury wäre, würde ich mir die tolle Viralkampagne doch nicht versauen, indem ich gleich die Karten auf den Tisch lege. Ich würde die fünfzig besten Pferde im Stall erstmal schön im Glauben lassen, dass sie dabei sind – das macht über einen Monat gratis Twitter, Facebook, sich den Wolf bloggen – und so das Projekt schön in den Medien halten, das würde ich tun! Auf dem Schreibtisch liegt der Umschlag, den ich am 8. September versiegelt habe, mystisch glimmend, fast wie im Film.

Ein Jahrhundert später, 30. September 2014 – 20:47

Sehr geehrter Herr Irgendlink,

vielen Dank für Ihre Nachfrage. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie gestern ganz offensichtlich keine Mail bekommen haben.

Mein Kollege Lars W. und ich haben jede Bewerbung einzeln gesichtet und uns die Vorentscheidung nicht leicht gemacht. Es galt, 50 besonders geeignete Bewerbungen auszuwählen – aus weit mehr als 700 Einsendungen.

Leider müssen wir Ihnen heute eine Absage für Ihre Bewerbung mitteilen. Wir möchten uns für Ihre Bemühungen ganz herzlich bedanken. Und wir würden uns freuen, wenn Sie auch weiterhin unsere Berichterstattung über den Burgenblogger verfolgen.

Mit freundlichen Grüßen

1. Oktober 2014.

Ich bin endlich wieder frei.

Revolutionäre Projekte zum Thema #Burgenblogger und #Mittelrhein

Mittelrhein Grafik Karikatur

Was macht eigentlich der Knopf Kreativmodus an meinem Burgherrenkit Irgendlink?

Er schaltet die Einheit auf zufällige Wiedergabe. Entweder werden Sie verstört die Ergebnisse beobachten, oder vor Entzücken in die Luft springen.

Aus meiner Bewerbung zum Burgenblogger – Bedienungsanleitung für eine Ritterburg

Oder anders gesagt: wenn man dem Künstler nicht sagt, was er tun soll, dann macht er was er will. Treibt Schabernack. Lässt die Ideen sprudeln. So entstehen grotesk-phantastische Ideen auf dem weiten Feld zwischen Dada und Karikatur, zwischen Ironie und bissigem Humor.

Natürlich spielen die Reize, die die Umwelt auf einen ausüben eine große Rolle. Zum Beispiel das Bild, das die Rheinzeitung in ihrer Ausschreibung zur Burgenbloggerei verwendet hat. Es zeigt Burg Sooneck, auf der der Burgenblogger dereinst residieren und arbeiten soll, mit einem riesigen hineinmontierten Pfeil, der auf den Burgturm zeigt. Schon von Anfang an hat mich dieser Pfeil gestört. Er will und will nicht in das romantische Bild einer Ritterburg über dem Mittelrhein passen. Kann mal jemand den doofen Pfeil vor meinem Burgfenster wegnehmen, war einer meiner ersten Gedanken. Schrei’s laut hinaus. Als ob man, wenn man auf Burg Sooneck einzieht, immer diesen Pfeil vor den Augen hätte. Ha.

Kurzerhand habe ich das Bild aus dem Netz kopiert und durch Halftone auf dem Smartphone genudelt und einen Cartoon gebastelt, auf dem aus dem Burgturm eine Stimme in die Sprechblase schreit, Kann mal jemand den doofen Pfeil vor meinem Burgfenster wegnehmen.

So weit so gut. Der nächste Schritt wäre gewesen, auf den Teilenknopf zu drücken und das Bild zu Facebook, Google und Twitter zu portieren, aber halt halt halt, gibt’s da nicht noch so etwas wie ein Urheberrecht? Und, verflixt, wer hat überhaupt das Bild gemacht? Ist das ein Stockfoto? Ist es gemeinfrei? Darf ich es verwenden? Schnell mal nachschauen. Ach und tatsächlich, unter dem Bild steht ein Name: Ulrich Pfeuffer. Google fragen. Es gibt ja so viele Pfeuffers. Welche mit drei F. Und Ulrichs. Welche mit zwei L. Auch diesen Ulrich Pfeuffer gibt es. Fotograf in Koblenz. Mittelrhein. Könnte passen. Klasse Seite. Besonders gut gefallen mir seine Ostsee-Bilder in der Rubrik Unterwegs. Sie sind so schön still. So unprätentiös. Ein Augenschmaus.

Impressum gibt es auch auf der Seite, also Mail an Ulrich, mal nachfragen, wie er die Sache sieht. QQlka, mein Galerist meint zwar, oooch, das kannste verwenden, ist doch künstlerische Freiheit,  Paragraf fünf oder so, wird doch keiner etwas dagegen haben. Aber das ist mir in Anbetracht des Wespennests Burgenbloggerei ein bisschen zu heikel. Und außerdem ist es höflich, zu fragen. Vielleicht lernt man ja nette Leute kennen?

Herr Pfeuffer hat noch nicht geantwortet. Vielleicht findet er diese Art Humor doof. So doof wie ich den Pfeil. Deshalb steht an dieser Stelle nicht das Cartoon-Bild, sondern … muss ich mir noch überlegen, wird sich ja in Irgendlinks Archiven irgendwas finden lassen, das man zurechtbiegen kann, dass es in den Artikel passt.

Schnitt.

Nachts erwache ich mit dem phantastischen Gedanken, ich könnte mein Alterego, den MudArt Künstler Heiko Moorlander zum Burgenblogger bewerben. Der hat sowieso viel mehr Charisma als ich. Und Geld wie Heu. Der könnte ein revolutionäres Projekt ausrufen, das das Mittelrheintal auf einen Schlag weltberühmt macht. Ein Dorado für Taucher und MudArtisten soll es werden. Der Rhein in Schlammen war geboren, in Anlehnung an die jährlich stattfindende Veranstaltung Rhein in Flammen.

Okay, es ist sicher keine gute Idee, sich als Burgenblogger zu bewerben mit einem Projekt, das das Rheintal ab Koblenz unter Wasser setzt und zweihunderttausend Menschen umsiedeln will. Aber revolutionäre Kunstideen fordern nunmal ihren Preis.

Vielleicht wäre es besser, wir würden die Staumauer im Binger Loch machen, sagt QQlka. Wir sitzen auf der Südterrasse des einsamen Gehöfts und lassen die Ideen sprießen. Man könnte das Tal trocken legen und eine 65 Kilometer lange Shoppingmall daraus machen. Ein Paradies für die kaufkräftige junge Mittelschicht. Dach drüber. Shops in den Felsen meiseln, fast wie Andorra. Gute Idee, sage ich. Die ist von dir, sagt QQlka. Von uns, beschwichtige ich. Ideen sind immer das Zusammenspiel vieler. Ideen sind produktiv gewordene Kommunikation.

Ab hier wird es vielleicht ein bisschen philosophisch in diesem Satireartikel, aber der Beweis, wie der Zusammenschluss von Ideen funktionieren kann, liegt ja ungeschminkt vor uns. Die Burgenbloggerkampagne nimmt ihren Lauf durch die sozialen Medien. Die vielen Bewerberinnen und Bewerber inspirieren sich gegenseitig, beflügeln einander. Eigentlich ist das virtualisierte Mittelrheintal durch die Kampagne ein fruchtbarer Acker geworden, auf dem theoretisch wir alle, die wir darüber schreiben, denken, hoffen, mitfiebern, wer denn nun der einzige Burgenblogger, die einzige Burgenbloggerin wird, prima leben können.

Auch ich habe viel gelernt. Die wenigen Profijournalistinnen (ja, tatsächlich konnte ich nur Frauen finden, die vom Fach sind und das Zeug hätten zur Burgenbloggerin), haben mich mächtig inspiriert und mir mit ihren offen gelegten Bewerbungen die Dinge klar gemacht, die ich zwar ahnte, aber die ich bisher nicht so im Fokus hatte. Durch die offene Darstellung unserer Bewerbungen und Ideen, haben wir uns gegenseitig weiter gebracht. Das war nicht nur ein kollektives Hose runterlassen. Das war gemeinsames Schaffen an einer großen Sache. Für den Kunststraßenbau und die nächsten Projekte konnte ich vor allem eins mitnehmen: höchste Blogdisziplin und tiefe Einblicke in die Promotion von Projekten. Ich werde es auf den nächsten Livereiseprojekten gut gebrauchen können.

In knapp zwei Tagen endet die Bewerbungsfrist für den Posten auf der Burg. Ich bin gespannt, wieviele sich beworben haben und wie es weiter geht.

Oh, und ehe ich’s vergesse, Blogartikel will Bild. Nehmen wir doch diese kleine Karikatur zu den Mitteln der Burgenblogger: Herzblut und Ideen:

Mittelrhein Grafik Karikatur
Das hier ist der Mittelrhein, da fließen unsere Mittel rein – die Mittel der Burgenblogger: Ideen und Herzblut

Rheinromantik 2.0 – Kratzen am Mythos Burgenblogger

Die fliehenden Stunden des Lebens - Sonnenuhr
Die fliehenden Stunden des Lebens – Sonnenuhr

Jetzt, jetzt und nochmal jetzt! Das ist das Credo des modernen Bloggens, hart am Wind der unmittelbaren Gegenwart, kaum erlebt und schon im Netz. Die mögliche Zeitempfindung auf einen einzigen Punkt konzentrieren und versuchen, sich der Gegenwart so weit wie möglich zu nähern. Aber gibt es das Jetzt überhaupt? Unser Hirn verhindert das angeblich (aber es kommt verdammt nah ran). Es mischt Erinnerungen und Hoffnungen zu einem berauschenden Gebräu, das uns nur vorgaukelt, wir leben im Jetzt, obwohl wir stets in unserem Erleben und Empfinden einen Sekundenbruchteil dem Jetzt hinterherhinken. Haben wir womöglich gar keinen Einfluss auf unser Handeln? Schalten wir eine Stelle weiter in die virtuelle Welt, in der wir ja auch eine Unmittelbarkeitsvermutung hegen, so geht die Gaukelei weiter und es mischen sich noch weitere Substanzen hinzu in dieser höchst modernen Form der Alchemie. Wahrheit und Unwahrheit, die in den Kommentarsträngen der sozialen Medien aufeinander knallen, wie Krieg auf Basis von Gerüchten, Geglaubtem und arglos als wahr Angenommenem. Der moderne Blogger im Allgemeinen und der Livereisende im Besonderen ist Teil eines Verwirrspiels, schlüpft, gewollt oder nicht, in die Rolle eines lebenden Avatars, einer Abenteuerfigur, die für Couchpotatoes oder Überarbeitete und Gelangweilte erlebt, filmt, berichtet und sie ein gut Stück mitleben lässt in seinem – es steht ja im Internet, es ist wahr – kleinen, subjektiv zusammengeschusterten Leben. Das Dasein als lebender Avatar, als selbst ernannter Held subjektiv erlebten Alltags, bietet ein unglaubliches Potential. Nicht nur, dass man der Sehnsucht nach dem Jetzt hart auf den Fersen ist, man ist auch dem Produkt, das man schafft, sehr nahe. Und das in einer Zeit, von der man sagt, dass der produzierende Mensch sich immer weiter von seiner Arbeit entfremdet.

Schon Schlegel hatte es prophezeiht: der Burgenblogger dokumentiert sich selbst

Bloggen ist eine sich selbst dokumentierende Kunstform. Durch die Vielfalt der zur Verfügung stehenden elektronischen Mittel (Video, Foto, Sound, Text) entsteht ein unmittelbarer und durchaus miterlebbarer Bericht. Vielleicht ist es so ähnlich wie einst Friedrich Schlegel mutmaßte, ein Produkt, das dazu dient, das Produzierende darzustellen. Anfang des 19. Jahrhunderts bereiste der Schriftsteller das Mittelrheintal. Er gilt als bedeutender Vertreter der Rheinromantik. Kaum vorzustellen, dass die sechzig bis siebzig Kilometer lange Engstelle zwischen Bingen und Koblenz einmal ein beschauliches, stilles Stück Gegend war, das Tausende von Sehnsüchtlern anlockte. Rau und wild. Auf der Suche nach Abenteuer, Ruhe und gleichzeitig auf der Flucht vor der einsetzenden Industrialisierung, wandten sich die Rheinromantiker der Natur und der Vergangenheit zu. Das verwunschene, damals kaum erschlossene Mittelrheintal, dem sich zudem die Niebelungensage gut andichten ließ, war der ideale Ort dazu. Der Romantiker vor 200 Jahren, wurde durch eine abenteuerliche Fahrt auf einem schwer schiffbaren Abschnitt des großen europäischen Stroms belohnt. Burgen, Stille und viel Grün inklusive.

Das Mittelrheintal, Brücke „zwischen zwei Romantiken“

Und heute? Der moderne Mensch will vor allem eins: Von A nach B. So schnell wie möglich. Und noch eins: Südfrüchte, Fahrräder, Autos und Energie und somit will er auch, dass diese Waren transportiert werden. Noch immer ist das Schiff das Verkehrsmittel Nummer eins, wenn es darum geht große, schwere Lasten zu transportieren. Tag und Nacht im Einsatz, ist es nicht einmal ein so langsames Transportmittel, wie man vermutet. Ihm zur Seite kreischt die Bahn und unisono im Chor jault Gummi auf breiten, wohlasphaltierten Bundesstraßen. Schluss mit ruhig. Als Nadelöhr zwischen Nord und Süd hat der Mittelrhein ein schweres Los. So schnell wie möglich will man hindurch; und verweilen, so wie früher, will kaum einer mehr. Wenn man näher hinschaut, ist das aber auch der Trend der Zeit weltweit. Die Hatz von A nach B, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit.

Rheinromantik 2.0 – die Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln

Auf die kürzlich ausgeschriebene Stelle als Burgenblogger (die Bewerbungsfrist endet am 14. September) haben sich mittlerweile schon mehr als 300 Bloggerinnen und Blogger beworben. Kurzerhand aufgesetzte Twitter und Facebookaccounts spriesen wie Pilze aus den sozialen Medien. Videofreaks, Twittericonen und alle möglichen Derivate von Webexistenzen rangeln um den ruhigen Posten auf Burg Sooneck im Welterbe Mittelrheintal. Der Sturm vieler vor der Ruhe eines Einzelnen. Irgendwie ist das signifikant für die Schizophrenie unseres Seins.

Ich fürchte, die Rheinromantik 2.0 hat mit der Rheinromantik vor 200 Jahren nicht mehr viel gemein, wie auch die Welt selbst sich gewandelt hat. Schneller, schneller, schneller und mehr, mehr, mehr sind die Zauberformeln, nach denen wir heute leben. Wir müssen uns beeilen, rangeln, müssen bestehen im täglichen Konkurrenzkampf um Jobs, Materielles und Begehrliches.

Protokolle am Fluss – Next Exit Mittelrhein

“Ich möchte ein Buch über den Rhein schreiben. Protokolle am Fluss soll es heißen. Ich will über Schiffe berichten, Fahrradfahrer und Menschen, die mit ihren Hunden gassie gehen. Ich will den Fluss von der Quelle bis zur Mündung bereisen und ihm in jeder Minute so nah sein wie nur möglich, damit ich nichts verpasse”

In einem Artikel aus dem Jahr 2009.

Langsam ist die Irgendlink’sche Roadmap länger, als das zu erwartende Restleben. Mit voller Wucht rüttelt mich die Mittelrhein-Idee und weckt ein uraltes Projekt, das seit – ich musste nachdenken – 1996 in meinem Hirn gaukelt: Die Protokolle am Fluss. Ein Buch über den Rhein. Ha! Als ob es nicht schon genug davon gäbe. Die alten Romantiker haben die Wiese doch längst abgefressen. Schon vor zweihundert Jahren! Aber Gras wächst bekanntlich nach.

Burgenblogger am Mittelrhein werden – Fluch oder Segen?

Irgendwie meine ich Harmonien zu erkennen zu der Ausschreibung des Jobs als Burgenblogger auf Burg Sooneck im Mittelrheintal. Kongruenzen, teilweise Deckungsgleichheiten. Das Hirn mag die Sinne trüben und Geld oder die Aussicht darauf tut sein übriges. Und so schustert man sich seine Welt zurecht, ist es nicht so: Junger Mann zum Mitreisen gesucht! Versprochen wird die here, freie Welt der Gaukler, generös flitzt du in deinem Boxauto der Illusion durch streng abgestecktes Terrain. Der Mittelrhein ist nicht der Rhein, sondern nur ein Teil davon. Ein sechzig siebzig Kilometer langer, unwegsamer Abschnitt voller Gefahren. Das womöglich länglichste UNESCO Welterbe der Welt. Einst eine der bizarrsten und urwüchsigsten Landschaften Deutschlands, nun zu einem hochentwickelten Trampelpfad geworden, durch den die Leute zwar auf Teufel komm raus durchwollen, aber nicht verweilen. Es muss laut sein dort. Die Züge brettern im Minutentakt – Tag und Nacht – habe ich in einem Fernsehbericht vor einigen Jahren gesehen. So dass man noch  nichtmal einfach auf der Straße stehend ein Schwätzchen halten kann, ohne zig Sekunden lang abzuwarten, bis man dem Gegenüber den nächsten Satz erwidert. Schienen sind unbarmherzig und das Geräusch schleifenden Metalls auf asbestversetzten Bremsklötzen ist erbarmungslos. Kürzlich gab es eine Kostprobe, wie sich das in „echt“ anfühlen mag. Bei unserer Wanderung hinauf zum Gotthard folgten wir ab dem Vierwaldstättersee einer immer wilder werdenden Reuss in ein immer enger werdendes Tal, das sich gen Göschenen so sehr verengt, dass der Wanderweg durch das Idyll mittels komplizierter Brücken, Tunnels, Stege und Treppen zwischen Autobahn, Schiene und Landstraße jongliert. Der Lärm ist allgegenwärtig und wird nur dadurch gemildert, dass der Fluss von Natur aus das meiste übertönt. Der Mittelrhein ist im Vergleich dazu lammfromm. Er übertönt nichts. Und er wartet mit zwei Bahnlinien auf und mit zwei Bundesstraßen und es tuckert dort Europas Schwerlast auf riesigen Schiffen.

Beim Flugplatz Oppenheim saß ich oft am Rheinufer, lehnend an einer Pappel oder Weide – weiß nicht mehr, welche Art Baum das war – und starrte hinüber ins hessische Ried und beobachtete die Schiffe. Fast zwanzig Jahre her. Die Kunststraße zum Nordkap war gerade fertig geworden und meine allererste Ausstellung debütierte in der Mainzer Galerie Walpodenstraße. Ich hatte keinen Computer. Das Internet hatte eben erst sprechen gelernt. Handys waren schwere Knochen mit vielen Knöpfen. Von einem flächendeckenden Mobilfunknetz keine Spur. Fotoapparate enthielten Kleinbildfilme. Wenn man in die Fremde wollte, nutzte man Karten zur Orientierung. Ein Gerät fast ohne Knopf, auf dessen Minimonitor man Texte tippen, mit dem man telefonieren, sich orientieren und fotografieren kann, war Science Fiction. In A5-großen Kladden notierte ich die Bildstandorte meiner Kunststraßen: „Hundert Meter hinterm Ortsschild, Feldweg rechts“ oder „Ortsanfang Dorf soundso“. Die ersten Kunstreisen, die durch Fotos in zehn-Kilometer Abständen dokumentiert wurden, waren nicht viel mehr, als Planwagenpioniertaten der feinen Künste. Ich glaube, das Leben war ruhiger damals. Sicher bin ich mir nicht. Als Mensch ist man im Strudel der Zeit ähnlichen Problemen unterworfen, wie der legendäre Frosch, der in einem langsam erhitzten Glas Wasser zu Tode kocht, ohne es zu bemerken.

Mit dem Rücken an einem Baum Schiffe beobachten und der Welt beim Nichts-passieren zuzuschauen, hatte einen gewissen Reiz.

Rheinschiff Witha 1996 - DIA Sandwichtechnik
Rheinschiff Witha 1996 – DIA Sandwichtechnik – ob sie auch heute noch durchs Mittelrheintal tuckert?