Facts about Kunststraßen 3

Wenn ich den Kunststraßenbau geschichtlich ordnen müsste, würde ich drei Phasen nennen:
1994-2001 die wilde Anfangszeit.

Arbeit als enthusiastischer Jungkünstler mit der geradezu kunstbübchenhaft naiven Hoffnung, mit der schwer vermittelbaren Konzeptkunst berühmt zu werden und davon zu leben. Diese Phase gipfelte in einer Ausstellung, die von der Stadt Zweibrücken und vom Kultursommer Rheinland-Pfalz unterstützt wurde: Die ‚Kelf‘, Kunststraße Nummer 11, zeigte im Mai 2001 in einem für die Ausstellung reservierten Parkhaus ein etwa zehn Kilometer langes Wegstück quer durch Zweibrücken.

2001-2010 die Realisierung.

Die Realisierung, dass es schwer möglich ist, als Künstler in der Provinz mit einem schwer verständlichen Konzept in den Kunstmarkt zu kommen. Dennoch entstanden zahlreiche Kunststraßenprojekte, die allerdings nicht als Rauminstallation realisiert wurden.

2010-2017 Digitalisierung und Virtualisierung – Appspressionismus.

  • Faszinierend, wie sich zwischen 1995 und 2010 die Technik entwickelt hat. Fotos sind digital. Bilder enthalten Geokoordinaten. Blogsoftware ermöglicht das spartenübergreifende Darstellen von Kunst.
  • Alle Arbeitsschritte der Literatur und der Kunst lassen sich auf einem Smartphone erledigen, weshalb ich enthusiastisch den Begriff Appspressionismus prägte.
  • Auf dem Jakobsweg schrieb ich im November/Dezember 2010 mein erstes Buch live auf dem Touchscreen eines iPhones 3 GS. Erstmals war der Kunstprozess in Echtzeit verfolgbar. Täglich folgte eine kleine, eingeschworene Gemeinde den Blogberichten, die nachts in zugig kalten Pilgerherbergen entstanden. Der Artist in Motion, der Künstler in Bewegung war geboren.
  • Ab 2012 entstanden systematisch Blogbücher, Bloggeratur, Kunstwerke, die sich nur schwer in Ausstellungen darstellen lassen, Bücher, die dank multipler Inhaltstypen nicht druckbar wären. Die genreübergreifende Art des künstlerischen und literarischen Ausdrucks, macht es schwer, es in die klassischen, bisher bekannten Formate (Buch oder Kunstwerk oder Film oder Ton) einzuordnen. Der große Vorteil eines Blogs ist die Chance, Sujets nach Belieben zu mischen und etwas Neues daraus zu kredenzen.

 

Eigentlich kann man ja immer nur hinterher wissen, was war, wie es sich auswirkte, was es veränderte, zerstörte, verbesserte, heilte und selbst das ist trügerisch, so dass es einen geradezu irre machen kann, wenn man sich vorstellt, dass überhaupt nichts so ist wie es ist, dass es weder Fakten, noch Postfakten gibt, stattdessen jede Menge Alternativen, die sich, je nachdem wie man es sehen will oder muss, zu einer Art Wahrheit formuliert, die neben vielen anderen Wahrheiten durch Zeit und Raum mäandriert, ohne jede Chance (zumindest für einen ganz normalen kleinen Menschen) diesen gebündelten, zum Kabel verdrillten Strang aus Wahrheiten einmal aus allwissender, göttlicher Perspektive zu sehen.

Facts about Kunststraßen 2

  • Die zweite Kunststraße führte 1995 von Mainz Richtung Nordkap.
  • Freund QQlka hatte in Mainz die Galerie Walpodenstraße gegründet.
  • Gemeinsam planten wir eine Ausstellung als Rauminstallation in dem 160 qm großen Kellergewölbe in der Mainzer Innenstadt.
  • Die Fotoinstallation bestand aus den Kunststraßenbildern, die ich Richtung Nordkap in Abständen von zehn Kilometern fotografierte.
  • Wir erreichten unser Ziel nicht.
  • In Alta, knapp 250 Kilometer vom Nordkap entfernt gaben wir auf und flogen zurück.
  • Die Reise im Juli und August 1995 dauerte sechs Wochen. Im Dezember 1995 wurde die Fotoinstallation eröffnet.
  • Auf einer carrerabahnähnlichen Konstruktion konnten die Besucherinnen und Besucher die 3600 Kilometer lange Strecke abschreiten.
  • Die Kunststraßenkonstruktion mündete in einem Plan ihrerselbst, auf dem die Ausstellungskonstruktion als Bauzeichnung skizziert war.
  • Schon 1995 zeichnete sich das Reisekunstkonzept, die Mischung von dokumentarischen, nüchternen Streckenfotos mit per Dia-Sandwichtechnik veränderten Kunstfotos und Texten ab. Ich ahnte nicht, dass es wenige Jahre später möglich wäre, das Konzept der multimedialen, die Kunstsparten übergreifenden Inhalte in einem Blog darzustellen.
  • Erst 2015 erreichte ich im vierten Versuch (und als live im Blog verfolgbare Reise) das Nordkap per Fahrrad (Ans Kap)

756 k

Es gibt keinen Internettarif mehr ohne ‚Entertain‘-TV. Zumindest war im Backend des Anbieters unter der Rubrik Tarifänderung nichts zu finden. Wochen zuvor war ein technischer Mitarbeiter im Haus wegen irgendeines Defekts, der sich wie eine Grippeerkrankung letztlich ganz von selbst löste. Der Router sei schuld, hatte der Mitarbeiter gesagt und Tage später kam ein Entschuldigungsschreiben vom Anbieter, die Sache täte ihnen unendlich Leid, so dass ich argwöhnte, sie haben selbst irgendwo Mist gebaut und der Techniker hatte den Router zu Unrecht im Verdacht. Egal, jedenfalls erwähnte der Techniker, das die 756 Kilobyte-Leitung, die unter dem Label DSL 1000 läuft, doch viel schneller wäre, wenn man den Einwahlknoten weit unten in der Stadt wechseln würde, so dass er etwas näher am Haus wäre. Bei dem anderen Knoten wäre ohnehin Glasfaser verfügbar. Der Techniker notierte, dass ein Berater oder eine Beraterin anrufen könne, um uns einen neuen Vertrag aufzuschwätzen, ich sagte ja und als das Telefon klingelte, ignorierte ich es beflissentlich tagelang, bis die Beraterin oder der Berater von selbst aufgaben. Stattdessen durchsuchte ich das Netz nach Möglichkeiten, die Sache online zu erledigen, ganz ohne Menschenkontakt. Da kam mir der Knopf ‚Tarif ändern‘ unter die Finger und ich klickte mich durch die Menüs und Verfügbarkeitschecks bis hin zu den Angeboten, wow, DSL 16000, also ‚bis zu‘ wenigstens, das klingt doch ganz anders, als DSL 1000, bis zu und dabei 756 k zu erhalten. Zudem sei das Angebot viel billiger. Und blieb es auch bis fast zum finalen Tarifwechselknopf, wo dann eine Fehlerseite ausgegeben wurde mit Entschuldigung, dass der Tarif doch nicht geht, aber man habe da eine Alternative, ebenfalls DSL 16000, die Option Entertain TV ließ sich nicht streichen und ich loggte mich aus, schloss die Webseite und fand mich mit der langsamsten Internetverbindung Deutschlands ab, Hauptsache, die lassen mir ihre Ruhe mit dem Gewirre voller Schlangen und Fallen in ihrem düsteren Tarifdschungel.

Gestern stand plötzlich ein Wagen im Hof, der Fahrer hupte und als ich die Tür öffnete, kurbelte er das Fenster runter und fragte, ob der Hund eingesperrt sei, ja, also stieg er aus und fuchtelte mit dem Laptop, sie wollen Glasfaserkabel legen vom schnellen Knoten unten am Stadtrand, der mit dem das Haus hier noch nicht verbunden ist, weil es ja über den anderen, den alten 756 k Knoten viel weiter unten in der Stadt verdrahtet ist, Glasfaserkabel über die Landstraße, zweieinhalb Kilometer bis direkt vor die Haustür und weiter, vorbei am Nachbarhof bis hinauf zum Funkmast, der neben den neuen Windrädern aussieht wie ein Wicht. Wem gehört das Grundstück, fragte der Mann, weiß nicht. Und das, zeigte er auf seinem Laptop, weiß ich auch nicht. Und der Weg? Gehört der Stadt. Und er streichelte den Monitor und sagte, sie würden demnächst alles aufgraben und das Glasfaserkabel verlegen. Seltsam, dass er sonntags um die Mittagszeit hier auftaucht, sein Name sei Spietz, aha und er arbeite für den anderen Telefongiganten. Ob sie sich denn nicht mittels Grunddienstbarkeiten und notariellem Zeug absichern wollten, bevor sie die Kabel legten, fragte ich, was er irgendwie unbeantwortet umschiffte. Und dass da auch Gasleitungen und Stromleitungen vergraben sind, sagte ich, aber sein Auftritt war so definitiv, dass ich fast schon die Baukolonne vor mir sah, wie sie sich Meter um Meter von der Stadt bis hier hoch gräbt und ihre Glasfaser legt, hey, das wäre prima, dann könnte man ja auch hier so eine Art Business-Internet haben mit Schnell und Alles. Vielleicht war der Mann ein Hochstapler, der sich nur ein bisschen umschauen wollte, ob es etwas zu stehlen gibt?

Facts about Kunststraßen 1

In Serie ‚Facts about Kunststraßen‘ poste ich wöchentlich Infos über mein Kunstraßenkonzept, das ich seit 1994 verfolge.

Quadratisches grüngraues Straßenbild. Man sieht Teer, Bewuchs beiderseits und Gummispuren.

  • 1994 kam ich auf die Idee, während einer Fahrradreise alle 10 Kilometer anzuhalten, mich auf die Straße zu stellen und ein Foto Richtung Reiseziel zu machen.
  • Die erste Kunststraße sollte von Mainz nach Berlin führen.
  • Wegen schlechten Wetters kehrten wir in Fulda um und radelten deshalb nur um den Vogelsberg im Taunus.
  • Das Bild dieses Artikels ist aus dem Reisekunstprojekt Flussnoten 2016. In den Flussnoten, zu Fuß und per Rad rheinabwärts, habe ich leider keine Kunststraßenserie erfasst, da das Projekt als reines Livereise Literatur Projekt ausgelegt war. Das reut mich nun ein bisschen. Das Foto ist am Bözberg in der Schweiz aufgenommen auf dem Schweizer Radweg 54.

Ich möchte diese Infoserie wöchentlich mit Beiträgen über das Kunststraßenkonzept fortsetzen.