Straße von Gibraltar vs. Straße nach Gibraltar

Jetzt ist es so weit: Das Blog wird gefunden, wenn man nach Straße von Gibraltar sucht. Nicht meine Absicht. Wie trügerisch die Suchmaschine doch ist. Die Begriffe verwässern. Wenn ich nach Straße von Gibraltar suchen würde, würde mich interessieren, wie breit sie ist, wieviele Affen auf dem Felsen hausen, Tiefe, Hoheitsgewässer etc. pipapo. Die Information, da war mal jemand, der ist mit dem Fahrrad dorthin, hat alle 10 km gestoppt und ein Foto in Richtung Reiseziel gemacht, würde ich nicht suchen (wäre aber froh, sie zu finden).

Wie auch immer. Liebe Straße-von-Gibraltar-Suchende, herzlich willkommen in diesem Reisebericht.

Kurzinfo: Die Straße von Gibraltar ist eine Meerenge zwischen Europa und Afrika, genauer zwischen Spanien und Marokko. Der Felsen in Europa ist Britisches Hoheitsgebiet. Länge des Engpasses zwischen Mittelmeer und Atlantik 60 km, engste Stelle 14 km, max. Tiefe 286 m. Mehr Info bei Wikipedia.

Es gibt eine spannende Sequenz in dem Film Das Boot, in der ein dt. U-Boot im 2. Weltkrieg die Meerenge unter starkem Beschuss britischer Zerstörer die Straße von Gibraltar durchquert.

Die Straße nach Gibraltar führt über winzige Straßen quer durch Frankreich über die Pyrenäen nach Spanien …
Morgen gehts weiter mit dem Bericht.

Straße nach Gibraltar 015

Freitag, 21. April 2000, Camping Municipale, Autun
anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)

Und also schrieb ich in mein Tagebuch

Neun Uhr früh. Zum ersten Mal nehme ich die Glocken wahr. Sie schlagen laut. Keine Ahnung, wie man sie überhören kann. Vielleicht sind sie nachts abgeschaltet. Im dicken Feierabendverkehr gestern Abend über die N 81 die Stadt erreicht. Für eine Nationalstraße ziemlich ruhig. Die Nacht war warm. Von Westen hatte es sich bewölkt. Nun ein trüber Morgen. Der Himmel ist vollends grau. Hatte ich gestern gehofft, das Wetter würde dauerhaft gut werden, belehren mich nun drei dicke Tropfen aufs Zeltdach eines Besseren. Der Campingplatz erwacht. Der hohle Klang von, sich bewegenden Menschen in ihren fahrbaren Alukisten. Wohnwägen sind eine seltsame Erfindung. Die Ausgeburt der kleinen Träume von Menschen wie du und ich. Sie geben Geborgenheit. Das Gefühl von Heimat in der Fremde. Kunststoffgeschirr klappert. Standheizungen brummen. Das Verwaltungsgebäude hat ein Reetdach. Sehr schick. Die Plätze sind mit 2,5 Meter hohen, dichten Hecken umgeben. In der Nähe des Campingplatzes ragen zwei uralte Römerruinen in die Höhe. Triumphbögen oder Stadttore. In der Nacht waren sie von gelben Flutlichtern angestrahlt.

Es ist beklemmend, schlafwarm, aus dem Zelt zu kriechen in den kühlen Morgen. Ich bin lustlos. Ein Blick auf die Karte lässt eine wenig erbauliche Tagesetappe erahnen. Aus Autun hinaus führen fast nur Nationalstraßen. Ich werde dem Flüsschen Arroux Richtung Südwesten folgen. Nagelneue Landkarte vor mir. Sie ist im Gegensatz zu meiner alten Karte, die ich schon seit Jahren besitze, anders. Die Städte sind größer. die Straßen sind roter. Rote Straßen sind stark befahren. So kam es, dass ich aus der alten Karte heraus auf einer gelben Departementsstraße geradelt bin, um mich in der neuen Karte auf einer roten Nationalstraße wiederzufinden. Die Zeiten ändern sich.

Karten: ein Blick in die Zukunft, mit vielen Wegen, von denen du einen auswählen darfst. Aber auch ein Blick in die Vergangenheit, mit der eingezeichneten Reiseroute.

Straße nach Gibraltar 014

Donnerstag, 20. April 2000

anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)

Der 20. April war ein kühler Tag. Am Morgen weckte mich eine Ente, die auf der Suche nach Schnecken oder Abfall im Vorzelt wühlte. Der Himmel war blau. Ich kochte einen Kaffee, aß Baguette vom Vorabend mit viel Butter und Marmelade. Die Marmelade machte mich wehmütig. Selbstgemachte Johannisbeermarmelade von meiner Oma. Ich sah sie gebückt über Sträuchern, emsig sammelnd wie nur alte Frauen es tun: akribisch. In diesem süßen Traum vertrauter Heimatlichkeit vergaß ich den Kaffee. Die Bäume zeigten wunderbare Knospen. Gegen 10 Uhr war der gesamte Reisehaushalt auf dem Fahrrad verschnürt. Die letzten Münzen reichten gerade, um die Campingplatzrechnung zu bezahlen. Mit dem großen Fotoapparat, welcher mit einem Zoom-Objektiv ausgestattet ist und einen DIA-Film enhielt, machte ich nun erstmals Bilder.

Nun, sechs Jahre später, hier am heimischen Schreibtisch sitzend, erscheint es mir seltsam, nach vier Tagen unterwegs erst mit der sogenannten Lustfotografie begonnen zu haben. Der Kunststraßenbau ist ein merkwürdiges Geschäft. Es ist eine strenge Pflichtfotografie, die ich mir 1995 ausgedacht habe. Die Parameter lauten: Immer Schwarz-Weiß. Immer in Richtung Reiseziel. Immer mit einem Objektiv, das die Realität ähnlich abbildet wie das menschliche Auge (ca 50 mm Brennweite). Nicht zuletzt die Bildabstände, welche bei der ersten Kunststraße zum Nordkapp genau 10 km betrugen. Später hatte ich mit anderen Maßstäben gearbeitet: Zwischen Mainz und Wiesbaden ist die 11 km lange Kunststraße mit 200 Schritten Bildabstand sehr detailgetreu. Eine Strecke, die mich Jahre vor der Gibraltarreise nach Dijon geführt hatte, führt etwas weiter östlich, als die Straße nach Gibraltar in 5 km Abständen. Bei der Straße nach Gibraltar steckte ich das Raster auf 10 km, jedoch mit dem Ziel, auch in jedem Dorf, das ich durchqueren würde, ein Bild zu machen.

Eine Kunststraße als konzeptuelle Fotoinstallation sieht aus wie eine überdimensionale Carrerabahn. Auf einem Bildträger von 50 cm Breite mit zahlreichen Kurven kleben die Straßenbilder. Die Wände werden geziert von verfremdeten, großformatigen, bunten Bildern in DIA-Sandwichtechnik.

Man entschuldige diesen kleinen Ausflug in die Kunststraßenhistorie. Aber es scheint mir an dieser Stelle wichtig, ein bisschen näher auf das System einzugehen. Denn es ist wohl der Hauptgrund, warum ich in Dijon bar jeglicher Mittel nicht den Rückweg angetreten habe. Die Mission lautete: Fahre nach Gibraltar und mache alle 10 km ein Bild der bereisten Strecke.
Auf einer grünen Parkbank kaum 200 Meter vom Campingplatz setzte ich mich, kritzelte ein paar Worte ins Notitzbuch und knipste die ersten bunten Bilder der Reise. In einer möglichen Kunstausstellung, würden sie die Sehenswürigkeiten am Rande der Strecke repräsentieren. ich fotografierte ein Fahrradzeichen auf dem Weg, sowie das Stauwehr, welches den Lac de Kir vom Canal de Bourgogne abgrenzt. Packte den Apparat, enttäuscht von den zu erwartenden Ergebnissen, wieder ein. Noch nicht weich genug geklopft (ein guter Fotograf muss geschmeidig sein. Empfindlich wie Hefeteig, willenlos wie ein Schnitzel, er muss ganz Auge werden).

Jemand erklärte mir den Weg zum nächsten Kreditinstitut. Gleich drüben am anderen Ende des Stauwehrs befände sich die Banque Municipale de Talant, man könne sie nicht verfehlen. Um Halb 12. Betrat ich den Schalterraum. Nicht ganz sicher, ob es in Frankreich üblich ist, die Tür erst zu öffnen, nachdem der Kunde durch die Glasscheibe ausgiebig beäugt wurde. Die Angestellten waren ratlos wegen meiner Reiseschecks. So als hätten sie so etwas noch nie in der Hand gehabt. Sie tuschelten. Telefonierten, ließen mich eine viertel Stunde warten. So dass ich mir vorkommen musste wie ein Betrüger. Schließlich jedoch überreichten sie mir 670 Franc ohne jegliche Gebühr zu verlangen. Ein leises „Ich bin wieder da“ trällernd ging ich meines Weges.

Was gibt es Schöneres, als mit viel Geld in der Tasche und bei strahlendem Sonnenschein und erstarkendem Frühling mit dem Fahrrad auf dem gut ausgebauten Treidelpfad entlang des Canal de Bourgogne zu radeln? Ein Glücksgefühl überkam mich. Der Kanal folgt, wie jeder französische Kanal, einem Bachbett, welches in Hundertausenden von Jahren den Weg gegraben hat, scheinbar eigens, um dem Menschen das Reisen zu erleichtern. Der Bach hieß L’Ouche und krümmte sich rechts des Kanals in vielen Windungen durch die Wiesen.

Bei einer Abbaye, einem Mönchskloster, stoppte ich und erfreute mich des verzierten, in hunderten von Jahren durch Mönchshand gepflegten Gartens. Besonders imposant waren die uralten Bäume, welche mit speziellen Techniken zu Krüppeln gewachsen wurden. Das Kloster La Bussiere strahlte Frieden bis zu jenem Moment, als in der Küche ein mächtiger Streit durchs offene Fenster zu hören war. Französiches Schimpfen klingt zwar charmant. Jedoch bröckelte meine Phantasie, es handele sich bei diesem Ort um ein Kloster. Stattdessen strukturierte sich ein straff geführter Wirtschaftsbetrieb, welcher sich zum Ziel gesetzt hatte, reichen Menschen aus aller Welt einen Urlaub in alten Gemäuern zu ermöglichen.

Seltsam, wie variabel doch die Realität ist. Später auf dem Fahrrad dachte ich darüber nach, wie falsch mein Bild von dieser Welt doch ist und wie sehr es von Zufällen abhängt. Hätte der Koch im Kloster nicht den Küchenjungen beschimpft, hätte ich wohl nie wahrgenommen, dass es eine Gourmet-Küche gibt und wäre nicht auf die Idee gekommen, es könne sich bei La Bussiere um ein Luxushotel handeln. Mir wurde klar, dass meine Reise nur ein sehr unscharfes Abbild der Wirklichkeit ist. Jedes Foto, das ich machte, war unpräzise, denn es zeigte schließlich nur eine 125tel Sekunde in der Ewigkeit der Zeit. Würde ich den selben Ort an einem anderen Tag besuchen, herrschten andere Lichtverhältnisse, wären Bäume ohne Laub, Bäche ohne künstlichen Kanal, nur 1000 Jahre zurück, gab es an dieser Stelle keine Straße. In weiteren 1000 Jahren wird die Straße wieder verschwunden sein. Die Dinge sind nicht wie sie scheinen. Jeder trägt seine eigene, situationsbedingte Realität.

Straße nach Gibraltar 013

anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)

Zunächst hatte ich versucht, mein Zelt mit Blick auf den Lac de Kir in Dijon aufzubauen. Dann könnte ich in der Morgendämmerung hinusschauen aufs Wasser und den Dunst beobachten, wie er steigt und in der Luft aufgeht, oder wie er fällt und wieder zu Wasser wird. Doch es erwies sich als unmöglich, jenseits der Buchshecke, welche den Platz abgrenze zu zelten. Ich stellte mein Zelt auf Platz 32, unweit eines niederländischen Wohnmobils, in dem ein Rentnerpaar wohnte
Bei den üblichen Abendverrichtungen war ich unruhig: Essen kochen und schnell verzehren. Eigentlich wollte ich gerne den direkten Kontakt nach Hause aufzunehmen, um die Misere mit den Kreditkarten zu klären. Das günstigste Szenario wäre: die Kreditkarten liegen in meiner Wohnung auf dem Fußboden. Dann wäre wenigstens das Konto sicher. Schnell schlang ich eine Portion Spaghetti mit Tomatenmark und einigen rohen Karotten. Reiseessen ist einfach und zweckmäßig. Trank eine Kanne Tee. Dann wanderte ich hinüber zur Rezeption, wo zwei Telefone unter grellen Neonröhren hingen. Ich wählte meine Eltern an, doch niemand ging ran, also rief ich schweren Herzens bei S. an, in der Hoffnung, sie würde mir in meiner kritischen Kreditkartensache voll und ganz zu Diensten sein. „Hallo,“ klang sie fröhlich, um, nachdem ich mich zu erkennen gegeben hatte, in einen missmutigen Ton zu verfallen. Trotzdem erklärte ich ihr mein Anliegen: „Du hast doch noch den Wohnungsschlüssel, könntest Du nicht mal eben schnell …“ Herzklopfen und Stille. Es dauerte knappe fünf Franc (knapp 1Euro), dann sagte sie „Ja, ruf mich gleich zurück.“ Sie legte auf.

Was nun? An der Wand lehnen und warten. Die seltsame Kälte erloschener Liebe kroch, sie bemächtigte sich meiner. Andererseits, was hatte ich erwartet? Wir waren im Zwist auseinander gegangen. Vieles blieb ungeklärt. „Es wäre besser, wir sehen uns eine Weile nicht“, hatte sie gesagt und mich denoch zu ihrem Geburtstagsfest eingeladen (aus purer Höflichkeit hatte ich daran teilgenommen).

Nun stand ich in einer tristen Telefonzelle mitten in Frankreich und zählte die zehn Minuten, die sie benötigen würde, um zu meiner Wohnung zu fahren und den Fußboden nach den Kreditkarten abzusuchen.

Langsam verstrich die Zeit. Der Holländer kam in die Telefonzelle nebenan. Fröhlich meldete er die wunderbaren Abenteuer, die man als Reisender alltäglich erlebt nach Hause. Ich spitzte die Ohren. Er redete vom Wetter, und dass es Morgen besser werden sollte. Endlich Frühling. Ich versuchte, zu erfahren, mit wem er telefonierte. Vermutlich ein Mann, denn er flakste. Sein Burder? Vielleicht sein Vater. Es war eine Wohltat, einen glücklichen Menschen mit einem glücklichen Menschen beim telefonieren zu belauschen.
Im Lac de Kir plätscherte eine Fontäne. Die Stadt emittierte ein permanentes Hintergrundrauschen. Ein Martinshorn jaulte. Ein Schwarm Zugvögel zog mit 30 Stundenkilometern über den Campingplatz gen Süden. ihr Kreischen war unheimlich, wie nicht von dieser Welt.

Nach endlosen zehn Minuten wälhlte ich erneut S.s Nummer. Sofort ging sie ran, sagte: „Da ist nichts.“ Und noch ehe ich etwas erwidern konnte, legte sie auf.

Die Liebe kann ein einseitiges Geschäft sein. Ich gestehe, dass in dieser Nacht Tränen flossen. Auf dem Lac de Kir waberte der Dunst. Ein Maulwurf bohrte seine sture Nase direkt neben meinem Zelt durch die Erde. Die Luft roch gut.

Der Drive des Jazz

Die Spätnachtschichten der letzten Tage haben ihre Nachwirkung. Ich bin (1 Uhr) putzmunter.

Erinnere mich, in einem ruhigen Moment vorgestern mit Journalist F. vor der Tür des Backstagebereichs gestanden zu haben. Regen prasselte auf den Ü-Wagen des Rundfunks. Dicke Kabel waren, unter Blechen verborgen, bis auf die Bühne gestrippt. Wir rauchten eine Zigarette. Journailst F. atmete tief durch. Ich sagte: „Wir haben Glück. Man hat mir zwei Autoschlüssel in die Hand gedrückt. Von Neuwagen, die ich umparken muss, falls sie im Weg stehen. Man könnte sie über die Grenze bringen und verhökern.“ Journalist F. trumpfte: „Ich habe 12 Hotelzimmer von der Bigband. Die wollen später noch heim.“ Da konterte ich: „Hab nen Generalschlüssel von der Halle, man sagt, er passt auch für den Tresor.“ Wir lachten und pusteten den Rauch in die vernieselte Luft. Was waren wir reich. Auf der Bühne röhrte die Improvisation und dröhnte das Koks. Einige Alphamusiker hatten sich mit ihren Freundinnen im Backstageraum eingenistet. Es gab viel zu tun.