Beruf Tackerqueen – Nebenjob Kleinkunstbewacher

Nächte und Tage, wenn man sie sich um die Ohren schlägt, sind wie schmutzige Lappen, die man achtlos auf den Altwäschestapel wirft.

Solche Worte fallen einem nur spät nachts ein. Herr Irgendlink hat gerade den Kleinkunstkontest im Nachbarstädtchen S. hinter sich gelassen – als Arbeiter, nicht als Künstler: fünf Tage, 15 Künstler, die um die Gunst des Publikums buhlten. Von Arroganz bis Charmanz war alles vertreten. Postmoderne Arschlöcher gaben sich ebenso die Ehre wie Poetry-Slamer und Clowns.

Wer es beruflich mit Künstlern zu tun hat, trägt ein schweres Kreuz. Insbesondere Bühnenkünstler gebärden sich manchmal äußerst anspruchsvoll, zickig, neigen zu Selbstüberschätzung – an dieser Stelle tun sich besonders hervor die Bühnenkünstler, deren Eltern auch schon Bühnenkünstler waren, und die nun in den viel zu großen Fußstapfen der Eltern bei einem schockierten Publikum um Anerkennung buhlen.

Müde und leer sitzt Herr Irgendlink in der Wohnung, Led Zeppelin lullt. Am Freitag nimmt das Festival sein Finale. Man darf gespannt sein, wer das Rennen macht.

Das Bild zeigt die beiden symphatischen und herrlich pflegeleichten Schwaben G. (links) und M. in ihrer bizarren Clownshow, im Team sicher einer der Favoriten für den begehrten Kleinkunstpreis.

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Irgendlinks letzte Worte zum Thema Werktätigkeit vs. Künstlertum

Eingelullt von Bowies Starman sitzt Herr Iregndlink in der nächtlichen Künstlerbude. Die Temperaturen haben nun, da es Herbst ist, ein erträgliches Maß angenommen. Geschätzte 15 Grad. Schwärze liegt über dem Land. Wenn Herr Irgendlink die Tür öffnet und lauscht, hört er allenfalls ein paar verirrte Tropfen, die vom Regen des Vortags über das ausladende Dach seiner Künstlerscheune sickern. Soeben handelte Herr Irgendlink im Auftrag des Künstlers, was fast so brilliant klingt wie im Auftrag seiner Majestät. Das Buch 40 Jahre Col – die vergessene Kunstrichtung liegt nun 168 Seiten stark auf der Festplatte. Gut 60 Stunden Scan- und Bildverbesserungsarbeit stecken darin, nicht zu vergessen etwa anderthalb Jahre, die Künstler K. daran gearbeitet hat.

Manchmal wird Herr Irgendlink wehmütig, wenn er an die gar nicht mal ferne Zeit zurückdenkt, als er selbst ein Künstler war. Aber nun, durchwalkt von den Umständen, hat er sich mit dem glücklichen Dasein als Tackerqueen abgefunden. Tagein tagaus in der bizarren Werkstatt kleine kunstlederne Möbel zu fabrizieren gibt seinem Leben eine recht angenehme Wendung. An dieser Stelle soll er noch einmal zu Wort kommen, um den geneigten Lesern die Vorzüge der Werktätigkeit gegen die Nachteile des losen, freien Künstlerdaseins zu erläutern:

„Ich bin eher zufällig in die Sache rein gerutscht,“ konstatiert Irgendlink. „Alles fing letzten Pfingsten an, als ich mich mit ein paar Freunden betrinken wollte und Lammbraten essen. In den Himmel wollte ich starren, Sterne gucken, mir was vorstellen dabei und über die Unendlichkeit, die Imponderabilien und das Leben an sich nachdenken. Wir spielten Boole und da war diese schöne Frau, V., die ich seither nicht mehr gesehen habe. Alles schien nach einem alltäglichen verlausten Künstlerabend. Du spielst den Kreativen, bist es womöglich, bist Teil dessen und jenen, aber so richtig etwas, das bist du nie. Macht auch nix, man hat sich ja im Laufe der Zeit daran gewöhnt … wie auch immer, später sagte einer der Partygäste, „Hey, habt ihr nicht Lust auf nen coolen Job als Berufstacker?“ und zeigte mit dem Finger auf den mittlerweile-Kollegen T. und mich. So kam es, dass ich mich eine Woche später in der Tackerlounge wieder fand … mein Gott, das ist nun schon vier Monate her.“

Und was sind nun die Vorzüge der Werktätigkeit und die Nachteile des Künstlertums, Herr Irgendlink?

„Nuja, von Vorzügen der Werktätigkeit kann man als vernünftiger Mensch eigentlich nicht reden, aber die Nachteile des Künstlertums liegen ganz klar auf der Hand: dein Hirn ist Tag und Nacht am Brennen, permanente Dowerpower – sorry, Dauerpower meine ich – du bist ständig im Dienst, hast nie deine Ruhe. Wie Wölfe am Aas zerren deine Gedanken an dir und du durchschreitest Welten, die sich wohl kein herkömmlicher Mensch vorstellen kann. Der herkömmliche Mensch ist einfach. Er kennt die Regeln. Er akzeptiert sie. Somit erkauft er sich eine gewisse Gelassenheit, die dem Künstler gemeinhin abgeht. Der normale Mensch, so es ihn denn gibt, erfreut sich an den banalen Dingen, die den Künstler nicht interessieren. Einkaufen zum Beispiel. Ich habe es selbst ausprobiert. Funktioniert bei mir nicht als Befreuungsmethode. Einkauf ist Verdruss. Einkauf kann aber auch Lust sein oder zumindest Linderung. Man könnte sagen, der Werktätige schafft sich ein kurzes Glück, indem er Geld verdient und es wieder ausgibt. Ein sehr kurzes Glück. Wir Künstler spielen in einer anderen Liga. Uns bringt diese profane Methode, glücklich zu werden nichts. Wir bauen Luftschlösser, wir leben in Luftschlössern, wir reißen sie wieder ab. Das Geheimnis der Luftschlösser ist, dass sie nichts kosten. Um Luftschlösser zu bauen muss man also kein Geld verdienen.“

Und nun, da Ihr selbst werktätig seid, Eure Hochnäsigkeit, wie fühlt Ihr Euch nun?

„Prächtig. Ich fülle Konten mit Geld. Dem herkömmlichen Menschen mag das wie ein Traum vorkommen. Für mich ist ein Konto mit Geld momentan aber nur ein finanztechnischer Verwaltungsakt, über den ich eigentlich nicht gewillt bin nachzudenken. Ich brauche das Geld gar nicht. Kauf bringt mir keine Befriedigung. Sparen keine Sicherheit. Die Werktätigkeit hat aber einen großen Vorteil: Die Gedankenmühle steht endlich still. Wie herrlich. Nie wieder denken. Mein Owner, der Eventmanger, zerbricht sich den Kopf um organisatorische Dinge. Und ich, ich muss einfach nur den Tacker in die Hand nehmen und diese Ledermöbel zusammen schustern. Jenseits des Tackerns breitet sich ein Problem-anderer-Leute-Feld von unfassbarer Größe aus. Obendrein habe ich, bedingt durch meine geringe künstlerische Herkunft, die materielle Not gewöhnt, einen Vorteil gegenüber anderen Werktätigen: wenn die Firma in die Knie geht und ich arbeitslos werde, falle ich auf die Füße. Das einzige, was ich verliere, ist, dass ich das Gehirn wieder einschalten muss um die Gedankenmühle erneut anzutreiben.“

Also: leben jenseits der Selbstbestimmtheit? Ist es das, was sie wollen?

„Ne, das was mir gerade passiert.“

Bitte für Frau N. überziehen

Im stetig wachsenden Archiv von Herrn Irgendlinks Fundzetteln findet sich ein Blättchen mit der handgekritzelten Botschaft: Bitte für Frau N. überziehen. „Welch seltsame Notiz, dachte Herr Irgendlink, „fehlt eigentlich nur noch eine Büroklammer und ein Kondom, schwuppdiwupp, fertig ist das Kunstwerk.“ Eine innere Stimme warnte jedoch: „Du machst es dir ja recht einfach, Mister Superrkünstler, denkst du wirklich, mit der Masche – Kondom mit Büroklammer an Zettel heften – kommste durch? Wo ist deine Seriosität? Was sollen die Leute denken? Wer soll das kaufen? Was wird es kosten?“

Mit dem Schalk auf Du und Du lächelte Herr Irgendlink in die Nacht. Gerade war ein Regengebiet über das Land gezogen. In den Talmulden rund ums einsame Gehöft waberte Dunst. Ein Stern leuchtete hinter Wolkenfetzen. Eine Nacht wie Wolfgeheul. Perfekter Mix aus Horror und Humor. Es herrschte Stille.

Dem geneigten Leser stellen sichgewiss unbeantwortbare Fragen: Wer ist diese Frau N.? Muss man wirklich ein Kondom überziehen? Welch schweinische Dinge gehen in diesem Blog, in Herrn Irgendlinks Gehirn vor?

Die Antwort, Scully, liegt irgendwo da draußen.

Phase 3: Orientierungslosigkeit

Herr Irgendlink ist zu einem abscheulichen Monster mutiert. Die Mutation ist so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr vom Ich spricht. Drei Leben hat er in eines gepackt. Ein gelungenes .tgz-Archiv (Windows-User würden es als .zip-Datei bezeichnen) mit hoher Kompression.

So nudeln die Tage. Herbst senkt sich über das Land. In der dreiviertel Stunde, die Herr Irgendlink täglich hinüber radelt zu seiner Arbeitsstätte, fühlt er sich wie im Urlaub. Seine Augen kratzen am Horizont und schummeln dem Geist ein fremdes Bild; Geschmack von Ferne auf Grund multipler Erinnerungen an Früheres, denn der Horizont – wenn man ihn genau betrachtet und alles vergisst, was man weiß – ist ein Vorhang vor dem Fremden. Gut und gerne wäre es möglich, dass hinter Dingen, von denen man glaubtzuwissen, nicht das liegt, was man denkt, dass es dort liegt. Somit erhebt sich das Dörfchen K. in den Status einer fremden, geheimnisvollen Gemeinde, verschlafen irgendwo in einem nordischen Fjord. Man schmeckt die See und ein eiskalter Wind aus Nordwest suggeriert Arktis oder noch ein wenig mehr.  Ach, das Dörfchen K.! Dort kehrt Herr Irgendlink allmorgendlich ein und kauft der dicken Bäckerin vier Brötchen ab und manchmal auch ein paar Pralinen, die er dem Kollegen T. auf die Arbeit mitbringt. Die Dinge gaukeln wie im Hamsterrad und so Vieles wiederholt sich im tägIichen Rund. Es wäre da zum Beispiel der kleine schwarze Hund zu nennen, ein fieser Schnapper, der das letzte Haus in der Lieselottenstraße, mitten auf Herrn Irgendlinks Arbeitsweg, bewacht: täglich das unisone Spiel wie er Herrn Irgendlink anbellt und sogleich sich die Vorhänge hinter dem Fenster bewegen, Herrchen kurz nach dem Rechten schaut und sich vermutlich wundert: „Schon wieder dieser werktätige Penner, die Uhr könnte man nach dem stellen.“ Aber der Hund kapiert das natürlich nicht.

Ignorierend die fetten Nebel in den Tälern der Saarpfalz strampelt Herr Irgendlink alltäglich seines Weges und der Computer in der Fahrradpacktasche und die schwere neue Kamera und all die Klamotten, die er mitschleppt, fühlen sich an, als sei er schon seit Wochen unterwegs. In der Tat hat Herr Irgendlink in den letzten Wochen, pendelnd per Rad zur Arbeit, gut 2000 km zurück gelegt. Deshalb ist er nur noch Haut und Muskeln und seine Umgebung sorgt sich um ihn.

„Musst doch was essen, Junge“, bemuttert man ihn.

Dann lächelt Herr Irgendlink und antwortet: „Gewicht schwankt.  Das ist ganz natürlich.“

Was die Orientierung betrifft, ist Herrn Irgendlink klar geworden, dass es sie gar nicht gibt. Denn alles beruht auf Annahmen und willkürlichen, bzw. mehr oder weniger gewachsenen Vereinbarungen. So könnte man natürlich behaupten: der Mann fährt nach Westen. Aber bitteschön, er kann doch nur nach Westen fahren, weil irgendwann jemand den Westen erfunden hat. Gäbe es keinen Westen, so müsste es heißen, der Mann kommt aus Osten. Aber auch hier ist das Dilemma vorprogrammiert: Hätte man vergessen den Osten zu definieren, woher käme dann der Mann und wohin führe er?

Oder die Minute, sechzigstel Untertan der Stunde (hier beißt sich Chronos mit Kairos; mit Kairos hat Herr Irgendlink durchweg gute Erfahrung gemacht, Chronos hingegen ist leidig), gewiss ließe die Minute sich mathematisch begründen und aus der Konstante Pi herleiten. Es führt zu weit, sich weiter darüber auszulassen. Nicht jetzt, nicht in Phase 3, Orientierungslosigkeit.

Phase zwei: Verneinung der Werktätigkeit

Der Owner probt die wundersame Mitarbeiterverdopplung, was zur Folge hat, dass die Tackerqueens (Kollege T. und ich) nie vor 20 Uhr aus der Werkstatt kommen. Selbst die heilige Morgenmüßigkeit ist gestern gefallen und wir waren wie normale Werktätige schon um acht (statt üblich neun-Uhr-X) auf der Arbeit.

Beim Treffpunkt Lieselottenstraße in der Kreisstadt H. saßen wir ein paar Minuten auf einer Mauer und schwätzten – eilig haben wir es ja nicht – und ich eröffnete T.: „Nun sehe ich die Welt mit anderen Augen. Um halb acht ist diese Welt nämlich anders als um halb neun. Ein Gemetzel! Schulbusse, Schulkinder, Autos mit nur einem Fahrer, alle streben in die selbe Richtung hin zur großen selben Firma. Es herrscht Krieg. Die Menschen sind wahnsinnig oder stumpf oder einfach nur müde. Vielen graut es vor der Arbeit, weil sie ein scheiß Betriebsklima haben oder von den Kollegen gemobbt werden oder Kollegen mobben müssen. Nee, keine gute Stimmung, ich fühl‘ sowas.“ Weiters fabulierte ich einen Spruch, mit dem ich mich negativ über diese Werktätigen äußerte wie sie täglich hin und her hetzen – „ein Hamsterrad“, sagte ich.

„Deine Logik hat aber einen Fehler,“ grinste T., “ du bist Werktätiger.“