Im Mahlstrom des Reisens

Wir haben keinen Reiseführer. Noch nicht einmal eine anständige Karte haben wir. Deshalb ist uns wohl das Felsenloch bei Steinkjer entgangen, von dem uns ein einsamer Münchner mit Spitzbart erzählt hat. Den Gletscher bei Mo i Rana haben wir absichtlich links liegen lassen. wenn man einmal auf dem Küstenweg ist, fällt es schwer, ins Landesinnere zurück zu kehren. Auf der Küstenstraße etliche Fähren und Tunnel. Der längste von ihnen 7 km. Schäbige düstre Röhren ohne Seitenstreifen, was die Durchfahrt zum Abenteuer macht. Keine Ahnung, wie die an die 100 Radler, denen wir zwischen Steinkjer und Bodø begegnen, da heil durchkommen. Wenn ich da durch müsste per Rad, würd ich versuchen, nachts zu fahren. Ich erinnere mich 1988 einen 5km-Tunnel auf der E6 durchradelt zu haben. Damals konnte man die Haupt-Nordkap-Strecke im Landesinneren noch mit dem Rad fahren.
Unsere Reisetipps beziehen wir per iPhone aus der Geocaching-Datenbank. Erdverstecke an touristischen, mal auch weniger touristischen Orten, die von Menschen wie du und ich veröffentlicht werden. Geheimtipps auf der Durstrecke zwischen den touristischen Gemeinplätzen. Die Gemeinplätze werden einem ja, auch ohne Reiseführer, auf den Schmelzpunkten des Reisens, auf Fähren, Rastplätzen, Campings, eben überall dort, wo sich der Mahlstrom des Nordlandtourismus verwirbelt, von anderen Reisenden mitgeteilt: „Wart ihr schon da und habt ihr auch dies und das …, und das ist ein Muss-gesehen-haben …“
Die Geocaching-Datenbank führt einen darüber hinaus zu manchmal sehr seltsamen Plätzen.
Bild: ein Geocache, der den Aussichtspunkt zum Hafen von Ørnes markiert, liegt versteckt hinter Betonpfeilern direkt unter dem Parkdeck.

Mit Designerkaffeemaschine am Polarkreis

Die Kasseler Wohnmobilistin. Wie sie in die Campingplatzküche kommt, ihr Blick auf das blaue, brodelnde Ding auf dem Tisch fällt, Kaffeeduft in der Luft. Es soll Regnen, tagelang, das sei hier oben manchmal so. „Oh, gibts die Dinger jetzt auch in blau?“ Sag ich: ja und in gelb auch, schon bin ich versucht, ihr vom Styles-Outlet-Center zu erzählen und ein bisschen anzugeben, alles sei günstig und Markenware und die Italiener karren jede Woche einen 40-Tonner über die Alpen voll mit blauen und gelben Kaffeemaschinen. Da wird mir die Verrücktheit der Weltpumpe bewusst, wie große Firmen, die jedweden Gegenstand in Massen produzieren können unsere Wohnzimmer und Küchen mit der jeweiligen Mode des jeweiligen Jahres vollpumpen. Der Konsument entscheidet bei Leibe nicht, was in seinem Haus landet.
Wegen des miesen Wetters haben wir uns für 350 Kronen in einem schimmligen Apartement eingemietet, schön warm mit Küche xirekt auf dem Polarkreis. An Hand des 50er-Jahre-Sessels, auf dem ich sitze und diese Zeilen hacke, wurde mir die Weltpumpe der Konsumgüter wieder ins Bewusstsein gerückt. In den 50ern gab es einmal eine Firma, die ikeagleich die Wohnzimmer dieser Erde mit diesen Möbeln mit dem rauhen, olivgrünen Stoff und den Opel-Kapitän-ähnlichen Kanten bestückt haben muss. Ein Hoch auf den italienischen Designkaffeekocherhersteller.
Bild: Hafen von Nesna.

Exorbitant, exorbitant, exorbitant

Sag ich zu D.:“Auf den Anblick habe ich 20 Jahre gewartet.“
Sagt D.: „Dafür sind wir über 2000 km gefahren.“
Punktlandung am Fjord. Wir sitzen auf einer Picknick-Bank, hinter uns ein hölzerner Pavillon, vereinzelte Seevögel kreischen, keine Mücken, ein leiser Zeltplatz südlich von Bodø. Sonnenuntergang. Das kann dauern. Wie zäh doch Romantik im Norden ist. :-)
Surfen im Campnet, D. hat den Laptop auf den Picknicktisch gestellt. Nprwegerfamilie hämmert bis 11 Uhr an ihrem Haus.
Der Campingplatz hat einen Aufenthaltsraum mit Küche, in dem ich nun sitze, diese Zeilen hacke. Nach und nach trudeln die unterschiedlichsten Bewohner hier ein, erzählen ihre Reise-, gar ihre Lebensgeschichte. Ein Mün hmer allein im Skoda, eine Kasselerin, die die Telefonnummern aller Skandinavienfähren kennt, ein grauhaariger Franzose aus (…) belle Air mit Zweitwohnsitz in Barcelonette in den Alpen.
Einen dreimonatigen Sommertag müsste man hier in dieser Küche verbringen und all die Geschichten notieren.
Protokolle am Fjord.

Wifi am 65ten Breitengrad

So gegen 22 Uhr sitzen D. und ich am Nordmeer, beobachten den Sonnenuntergang. Friedlicher Zeltplatz bei 65,5 Grad nördlicher Breite. Gemurmel der Gäste, leichter Wind, T-Shirt-Nacht. Seevögel quietschen. Licht verändert sich minütlich. Vermutlich so viele Photos heute gemacht, wie in den Tagen zuvor zusammen.
Letztes Bild: Blick vom Zeltplatz Richtung Norden.