Einmal Helgoland ist für jeden Deutschen Pflicht! Dass ich meinen Dienst auf der rundum zollfreien Insel schon Mitte der 1970er Jahre geleistet habe und meine größte Angst darin bestanden hatte, dass Erwachsene mir auf den Kopf kotzen oder Möwen darauf defäkieren, hätte ein Warnsignal sein können.
Alleine der Slogan „Konferenz auf Helgoland“ was klingen sollte wie ein künstlerisches Manifest oder wie die Konferenz von Jalta, hatte SoSo und mich veranlasst, uns in den Wahnsinn zu begeben. Weitere Konferenzgäste sind Freund und Kunstmanager F., seine Freundin F., unvorhergesehene Gäste sind die blassen Männer, Frauen, Kinder, Rentner, desperate Mittvieriger wie ich. Von der Funny Girl gibt es nach dem Ablegen in Büsum kein Entrinnen. Und so treiben wir im Tagesstrom der Touristen auf Deutschlands einzige Hochseeinsel und passieren die seit Jahzehnten vorgesehenen Schleusen.
Der Touristrom nach Helgoland funktioniert wie Ebbe und Flut. Ab 12 Uhr steigt die Touritide bis ca. 13 Uhr. Dann haben sämtliche Fähren das „fleischige Gold“, wie man auf Helgoland hinter vorgehaltener Hand sagt, abgeladen und die Gäste werden durch die Gässchen der kleinen Gemeinde bis zum Aufzug getrieben. Ein Spalier aus Souvenirs-, Zigaretten-, und Schnapsläden, sowie Restaurants. Am Hafen grüßt die grün patinierte Büste Hoffmanns von Fallersleben. Kaum vorstellbar, dass der Mann das Lied der Deutschen ausgerechnet auf dem Affenfelsen in der Nordsee gedichtet hat.
Kunstmanager F. hat sein Schiff in Cuxhaven verpasst, so dass die beiden Konferenzteilnehmer mit der Schnellfähre kurz vor 13 Uhr eintreffen. Vor einem Restaurant namens „Bunte Kuh“ knipst ein Rentner seine ahnungslose Frau und auch Kunstmanager F. dirigiert uns vor den Laden.
Die Helgoländer und Helgoländerinnen haben einen eigenwilligen Charme. Auf einem Eisberg aus unterschwelligem Hass auf die Touristentide thront ein weißer Gipfel gezwungener Freundlichkeit. Scheint mir. Vom Ausbooten – also dem Umsteigen unter Lebensgefahr von den ohnehin schaukelnden Fähren in winzige Nussschalen, die die Touris an Land bringen – bis in die Läden und Restaurants kriegt man hinter einer kalt lächelnden Maske immer wieder zu hören, so sind wir nunmal in Helgoland. Wie groß muss der Hass sein auf die tägliche Flut zwischen 12 und 15 Uhr.
Ungebremst drückt sich der Menschenstrom in die Gassen, die nur von Fahrrädern und Elektroautos befahren werden. Zwei rundliche Teenies verteilen Duftstreifen, mit denen sie die Weibchen aus dem Touristrom anlocken, um den Umsatz von zollfreiem Parfüm zu steigern. Die Insel ist eine Ausgeburt der Perversion modernen Konsums. Containerweise werden Waren herangeschafft in Schaufenstern drapiert, um tütenweise mit dem wohligen Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben, wieder ans Festland getragen zu werden. Nirgends wird der Wahnsinn des Genussmittelgüterkreislaufs ungeschminkter gezeigt.
Die Helgoländer haben schon seit jeher vom Warenumschlag profitiert. Zur Zeit der Kontinentalsperre durch Napoleon war die Insel britische Kronkolonie. Waren im Wert von 10 Millionen Mark lagerten Anfang des 19. Jahrhunderts in den Kontoren.
Ein ganz besonderes Nadelöhr ist der Inselaufzug, mit dem man von der Unter- in die Oberstadt gelangt. Die Aufzugsführerin ist der wohl mürrischste Mensch, dem ich auf der gesamten 6000 km langen Radeltour begegnet bin. „Wenn sie das nächste Mal ihre Fahrkarten nicht auseinanderreißen und sie mir zusammengelegt geben, geht es schneller mit dem Abknipsen“, schnauzt sie uns an. Es wird kein nächstes Mal geben, bin ich versucht zu sagen. Dass die kernige Frau kraft ihrer Existenz ein weiteres Detail für meinen bauesoterischen Roman liefert, den ich irgendwann schreibe, kann sie nicht ahnen. Danke, mürrische Aufzugtante, Dankeeee!
Auf dem Rückweg beim Wieder-Einbooten schaue ich in das ängstliche Gesicht eines alten Mannes, der vermutlich auch zum letzten Mal auf der Insel war. Mit vereinten Kräften wuchten die Bootsleute den Mann zurück in die Funny Lady.
Zwei Stunden zurückschaukeln mit einer Idee im Kopf, die „mechanische Funktionsweise“ der Insel, ihr pumpenhaftes Anmuten für die bauesoterische Geschichte zu nutzen. Nirgendwo treffen die drei Grundmuster der Bauesoterik, die mein Freund QQlka und ich, 1995 als Bodenleger arbeitend, ins Leben gerufen haben, deutlicher aufeinander als in Helgoland: vertikal, horizontal und zirkulierend ist die Insel. Sonst nichts. Sie gehorcht den unumstößlichen Gesetzen der Bauesoterik.
Wer weiß, vielleicht stehen ja die Büste Irgendlink und die Büste QQlka dereinst neben der von Hoffmann und ewig kreischt die Möwe und scheißt und scheißt.
(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

