Ich komme mir vor wie ein verbissener Automechaniker, der schon wochenlang unter seinem Auto werkelt in den dunklen Ecken jenseits der Motorhaube. Bloß, dass das Auto „irgendwas mit Computer“ ist. Langsam geht es voran. Sehr langsam. Gestern bin ich an einem erneuten Versuch, ein Newsletter-Plugin im Blog zu installieren gescheitert. Nicht etwa am Newsletterplugin selbst, sondern an den Rahmenbedingungen. Das Plugin würde wahrscheinlich bestens laufen, wenn ein geeigneter Mailserver konfiguriert wäre. Meine Versuche, es auch ohne hinzukriegen, müssen ähnlich abenteuerlich wirken, wie die Idee, in einem 2CV (Ente), der in der Wüste liegen geblieben ist, statt Motorenöl eine Banane zur Schmierung zu verwenden, oder den gerissenen Keilriemen eines Opel Kadett mit einer Damenstrumpfhose zu ersetzen. Gegen Mittag ziehe ich mich wegen der technischen Querelen vom Computer zurück und begebe mich in die echte Welt. Das Radel, das über Winter im Atelier stand, kriegt endlich einen neuen Vorderreifen. Der gute Schwalbe, der mich nun seit 11.000 Kilometern treu begleitet hatte, ist noch immer nicht kaputt, aber schon sehr sehr abgefahren. Ich werde ihn in kleine Stücke schneiden und unter der Rubrik „Reliquien eines Europenners“ zu Kunst reifen lassen (wie schon geschehen mit der Nordseeumrundungskette). Apropos: wenn die Hände schon mal dreckig sind, kann ich auch gleich die Kette wechseln und die Bremsklötze, die ich an der Scottish Border, ich glaube in Berwick, aufgezogen hatte. Das Bremsklotzwechseln erweist sich als störrische Arbeit. Die Verriegelungen, die das Gummi an der Halterung halten, wollen und wollen nicht durch das winzige Loch passen. Also lasse ich sie kurzerhand weg. Die alte Kette hat ungefähr 2000 Kilometer in den Gliedern (im Vergleich: die Nordseeumrundungskette hat über 8000 km durchgehalten. Aber ich musste danach den gesamten Antrieb auswechseln). Hier ist es noch nicht so spät, hoffe ich. Es wird vielleicht ein bisschen knarren zunächst mit der neuen auf den alten Zahnrädern … anyway … gegen Einbruch der Dunkelheit beende ich die Arbeit mit pechschwarzen Fingern und im Hirn gaukelt die Idee, bei dem schönen Wetter zu einer kleinen Tour aufzubrechen. Seit zwei Wochen sammeln sich auf dem Sofa Reiseutensilien. Aber irgendwas hält mich zurück. Ist das Angst? Oder nur eine allgemeine Zersiedelung, ein Ausbreitversuch eines in die Jahre gekommenen seltsamen Internet-Fahrradmechanik-Kunstbüchen-Ichs, das in alle Richtungen gleichzeitig fließt. Ein zäher Brei von Mensch, der nach und nach alles überzieht, womit der Geist, der ihm innewohnt, sich sein Lebtag lang beschäftigt hat.
Der Hauptstuhler Hochsitz-Strich
So müssen sie sich in Jurrassic Park I gefühlt haben, als sie morgens aus ihrem Baum über die Lichtung blickten und eine Herde friedlich grasender Vegetariersaurier entdeckten: eine Herde friedlich grasender Hochsitze auf einer Lichtung nahe Hauptstuhl (es reicht fast für einen Mini-Bildband Kanzel III)
Die schrecklichen Folgen des Nicht-Bloglesens
Schon vor fünf Jahren warnte Monsieur Irgendlink vor den schrecklichen Folgen des Nicht-Bloglesens!
https://irgendlink.de/2009/05/06/die-zittrigen-finger-der-nichtleser/
Homo Discolonius – das zersiedelte Ich im Internet
Der zersiedelte Mensch, das sich selbst auflösende Individuum, die Fragmentierung des digitalen Ichs auf verschiedenen Plattformen … wenn die Lateiner dafür ein Wort gewusst hätten, hätten sie vielleicht den Begriff Homo Discolonius, Unterart Homo Discolonius Oppidiensis geprägt.

Soziale Medien sprießen wie Pilze aus dem Boden und wer etwas auf sich hält oder auch einfach nur mithalten will in dem kommunikativen Massenwahn, muss sich permanent auf neue, heilversprechende Plattformen einlassen. Facebook hier, Twitter dort, WhatsApp jenerorts, Tumblr, WordPress, (wer kennt noch wer-kennt-wen?). Nicht genug: zu den reinen Kommunikationsplattformen, diesen Mittelaltermärkten der Moderne, kommen auch noch jede Menge Fun- und Hobby-Communities, Geocaching, diverse Spieleportale, Sport hier, Nachrichten dort. Zu guter Letzt die Selbstvermarktungsplattformen für Ebooks, T-Shirts, Kunst, Fotos, Unmengen geistigen Eigentums, die zu Fuße des Ecommerz-Gletschers sich zu einer Endmoräne aufwerfen. Stehen wir vor einer Art Babylonischer Identitätenverwirrung?
Die Zeit vor der Zersiedelung des Ichs, kurz vor der Geburt des Homo Discolonius
Als junger Blogger hatte ich einmal die Illusion, einfach nur Ich bleiben zu dürfen im Netz. Ein Mann ein Blog! Und nur eine einzige Internetadresse! Das war um die Zeit, als Facebook gegründet wurde und noch niemand wusste, was das ist. Ich postete täglich Texte und Bilder auf einer Blogplattform namens myblog.de, die nach einigen Crashes von 20six.de geschluckt wurde und das junge WordPress war gerade am Aufkeimen, weshalb es nahe lag, auf einen eigenen Server zu ziehen, und WordPress auszuprobieren (welches auch heute noch auf dem Irgendlink-Server zum Einsatz kommt). Ach hätte ich nur geahnt, dass das der Beginn meiner Zer-Ichung war. Anfänglich gab es tatsächlich nur eine einzige Seite, eine einzige Internetidentität, ein einziges, gutes, gediegenes Ich, hinter dem noch echtes Fleisch und Blut stand. Was ist daraus geworden? Mittlerweile betreibe ich ca. zehn verschiedene Webseiten, habe das Ich in mindestens drei unterschiedliche, mehr oder weniger reale Identitäten gesplittet, wobei Monsieur Irgendlink, moi-même, noch verdammt nah dran ist an dem guten alten Blogger von einst.
Um voran zu kommen im Netz und mithalten zu können, ja, um überhaupt wahr genommen zu werden – so suggeriert man uns täglich – müssen wir bei diesem oder jenem sozialen Medium unbedingt vertreten sein. Die Blogsoftware macht es glücklicher Weise einfach, mittels Share Buttons (Teilen-Schaltflächen), das eigene Blog, bzw. die Einzelartikel zu verknüpfen, so dass eine Verschneidung der Sphären oder besser gesagt, eine Verknüpfung, nicht das Problem darstellt. Schwieriger wird es körperintern, also auf die Person aus Fleisch und Blut bezogen, die man einmal war, das ganze zu verstehen. Der Homo Fleischikus Blutiensis nämlich kennt nur sich selbst, er greift mit der linken Hand rüber zur rechten und spürt, ah, du bist noch da. Sein Hirn jedoch erlaubt die Zersiedelung. Das macht ein Rollenspiel möglich und die Technik unterstützt ihn dabei.
Aus Eins mach‘ Viele – inflationäre Ich-Vermehrung bringt den Homo Discolonius hervor
Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, heutztage, in die Unzahl von Möglichkeiten hineinzuwachsen? Wie ist das Leben einer Person, die nie gelernt hat, Ich zu sein, weil sie sofort viele Ichs sein konnte. Weil sie dem Kampfnamen Dragor bei WOW antritt, auf Twitter sich @bumsdiddelda nennt, in Facebook den Namen verwendet, der in der Geburtsurkunde steht, zum Beispiel Kevin_Müller148, ein Xingprofil hier, ein Katzenblog betreibt unter wundervollegruenekatzen.wordpress.com … und sich überall regelmäßig einloggen muss, überall seine Rolle finden muss, Kreise schließen, Freundschaften? Obendrein den massiven Forderungen, die die jeweiligen Systeme an ihn (oder besser an die vielen Ichs) stellen, gerecht zu werden, wie fühlt sich das an? Denn eins ist klar, wer sich einer Community anschließt, der muss ihr auch dienen. Er muss sich den Manipulationen unterwerfen, die die digitalen Plärrplattformen im Netz ihm angedeihen lassen, muss die Werbung verinnerlichen, die man ihm ins Hirn reibt. Eine Zerreißprobe.
Ich Irgendlink moi-même beendet nun diesen Artikel. Er muss sich als Heiko Moorlander bei Facebook einloggen, vorher noch schnell nen Twitterspruch als @irgendlink, mal schauen, was die Ebook-Umsätze so machen, unbedingt ein Bild posten auf einer Polanoid-Retro-Community … so verbleibe ich ich ich ich denn mit einem dreifach schallenden „wir mailen“.
Reiselustwetter – wie einstmals auf der North Sea Cycle Route
Wenn man bedenkt, dass dieser Tage das Wetter in der Westpfalz ungefähr so freundlich, bzw. unfreundlich ist, wie bei der Nordseeumrundung (North Sea Cycle Route) 2012, kann es fast ein bisschen die Reiselust wecken. Das Bild zeigt das Artist in Motion Gefährt im April 2012, ca. 2000 Kilometer nach dem Start zur Radreise auf dem Nordseeküstenradweg. Die Humberbridge wird bei starkem Wind für Radler gesperrt, wie man an dem roten Eisentor erkennt. Wenn man mitten auf der Brücke absteigt, spürt man, wie der Koloss aus Beton und Stahl unter dem Lastverkehr wankt. Der Blick über die Humbermündung ist atemberaubend, beängstigend die Tiefe. Jenseits in Kingston upon Hull setzte Regen ein, der bis zum Abend nicht mehr endete – aus Kingston führt ein Bahntrassenradweg hinaus Richtung Nordsee, den ich jedoch nicht finden konnte. Stattdessen ging es irrend im Zickzack über Countryroads. Der gute alte Spruch, was nass wird, wird auch wieder trocken, gilt in England nicht (zumindest nicht in jenem April). Was nass wird, bleibt nass.

