Die Kunstraße und ihr Künstler

Hier darf ich euch bereits die 41. Kunstraßencollage der „Ums Meer“-Kunststraße präsentieren.

Für neue Bloglesende: Nach immer zehn Kilometern fotografiert Irgendlink die Straße, die er radelt. Bei jedem Wetter. Immer sechzehn Bilder fasst er fürs Blog zu einer Collage zusammen – sie sind seine Hommage an den Weg, den er zurücklegt. Mehr über die Kunststraße als Kunstkonzept: hier klicken.

Km 6400 – Km 6550

Weil die heimische Zeitungen nach neuen Photos vom Künstler schreien, hat sich Irgendlink heute kurzerhand auf der Strecke von TouristInnen und Passanten fotografieren lassen. Aus den Bildern, die er mir für die Presse zugemailt hat, habe ich diese Collage hier kreiert.

Tag 115 – die Strecke

Um Viertel vor neun erreicht mich eine Nachricht von Irgendlink: Bin in Hoek van Holland, will noch ca. fünfzehn Kilometer radeln, auf die andere Seite des Nieuwe Waterweges. Ziemlich industriell hier. Ob es mit Camping klappt, wird sich zeigen. Ich hoffe, die nehmen meinen durchnässten und verfärbten Fünfziger.

Ob da Daumendrücken hilft? Ich hoffe es. Die Banken sind natürlich längst geschlossen.

Am Maasufer zwischen einem Gerstefeld und einem Wäldchen hab ich mein Zelt aufgebaut. Windstill und Vogelzwitschern, schreibt Irgendlink um zehn Uhr. Gut. Zeit für Feierabend, denke ich, gemütlich auf dem Sofa sitzend. Windstill klingt doch gut und die Wetterprognosen sehen auch prächtig aus. Richtiges Radelwetter bis Boulogne-sur-Mer. Perfekt für einen Tourabschluss.

>>> Kennemer Duincamping de Lakens – Wildzeltplatz nach Hoek van Holland: zum Kartenausschnitt der heutigen Strecke: bitte hier klicken!

Und ewig rottert der Damm

Der Campingplatz in den Kenneter Dünen erweist sich als ganz passabel, obschon Herr Oberpienzchen natürlich einiges auszusetzen hat. Die SoSo sagt es am Telefon treffend: Das, was für Dich ein guter Platz ist, das ist für andere völlig unpassend. Und umgekehrt. Es ist den lieben Bloglesenden somit dringend angeraten, meinen zweifelhaften Empfehlungen und Schmähungen nicht Folge zu leisten. Nur selten sprechen die Fakten in diesem Blog, meist sind es höchst subjektive Empfindungen, Launen eines dahintrudelnden Web-Vagabunden, die ein verzerrtes Bild der Welt zeigen. Was nicht negativ sein muss. Alle Bilder sind verzerrt. Sobald ein Mensch den Mund aufmacht, gibt er Unverständliches aus, das von anderen Menschen verstanden wird. Wie paradox das ist. Und doch wie wahr.

Der Wind ist abgeflaut. Sonne dringt durch. Mit 17 Grad relativ kühl – aber für den Langstreckenradler, der bei Temperaturen um den Gefrierpunkt durch England und Schottland bis ins hochsommerliche Norwegen geradelt ist, hinüber ins schlechtradwegige Schweden, durchs vom Regen umzauste Dänemark und das ewig über den miesen Sommer stöhnende Deutschland, ist 17 Grad allererste Sahne.

Die Kunstmaschine rattert. Seit ich weiß, dass ich die Ums Meer-Strecke auf der bedeutendsten Messe für Mobilkunst in Los Angeles zeigen kann, bastele ich an einer filmischen Umsetzung auf dem iPad. Überlege, wie ich in der kurzen Zeit bis 10. August, die Sache noch hinbiegen kann. Per Mail lote ich die Finanzierungsmöglichkeiten aus. Das duale Problem. Keine Zeit, kein Geld. Während sich hinter einer Wand aus Knochen in den grauen Zellen des Künstlers der Film von selbst bastelt. Wie ein Bildhauer meißele ich, rein gedanklich, an einem digitalen Monument. Die Streckenfotos werden in einer Zeitraffertechnik gezeigt, unterbrochen von fünf längeren Sequenzen (den Newslettern folgend, die während der Reise verschickt wurden – in diesen Sequenzen gibt es die Infos über das Projekt mit Karteneinblendung und ein bisschen Text. Vorspann, Abspann und im Kern eine Würdigung der SponsorInnen und Spendenden. I-Tüpfelchen wäre eine akustische Untermalung mit im Kanon gelesenen Passagen aus dem Liveblog – eine Sache, die ich in Sunderland oder in dem kleinen Museum südlich von Stavanger gesehen habe. In vielen Spuren übereinander gelegt, hat ein Künstler eine Textlesung. So dass man eigentlich nichts mehr verstehn konnte in dem Stimmengewirr. Aber die reine Akustik war brillant.

So vor mich hindenkend, merke ich gar nicht, dass ich die holländische Küste entlang rase durch wunderbare Dünenlandschaft auf den traumhaftesten Radwegen des Universums. Sand, Sand, Sand und ein weicher, geradezu eleganter Tourismus. Überall hört man Deutsch. Kaum zu glauben, in einem fremden Land zu sein. Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit die Urlauber hier einfach so darauf losreden. Aber vielleicht ist das nur eine meiner unverständlichen trüben Empfehlungen – ja, ganz bestimmt. Zu Hause reagiere ich ja auch nicht gereizt, wenn jemand mich in breitem US-Englisch anspricht, sondern ich antworte sofort auf Oxfordisch.

In den Badeorten an der holländischen Nordseeküste herrscht, synchron zum Wetter, beste Stimmung. Dass hier viel Geld ausgeschüttet wird, sieht man alleine schon an der üppigen Ausstattung mit Skulpturen, meist Bronce, oft auch Beton, selten Holz. Kupferoxidgrün und wohlgeformt.

In einem Café in Katwijk kann ich das Fon laden, Bilder durchs Wifi an die Homebase schicken. Und einen schnell gehackten Blogbericht schreiben. Weiter, weiter, weiter durch die Dünen. Alle Länder, die ich bisher bereist habe auf der Runde um die Nordsee, haben ihren ganz persönlichen Stil und ihren Reiz. Aber wenn Ihr fragt, wo es radlerisch am schönsten ist: Niederlande, dicht gefolgt von Dänemark. Landschaft, Leute und Radwegenetz sind in den beiden Ländern einfach perfekt.

Auf dem zweispurigen Dünenradweg um Den Haag herrscht reger Betrieb. Zig Rennradler in Trikots jagen dahin, ganz normale Tagestourer runden das Bild ab, barfüßige Mädchen in Neoprenanzügen mit einem Surfbrett unterm Arm kurbeln zum Strand. Ein Marathonläufer ohne Haare und Augenbrauen sprintet mit knapp zwanzig Stundenkilometern – für eine Weile überholen wir uns gegenseitig, da ich Fotostops einlege, und es entsteht ein zerhacktes Gespräch während der Überholphasen. Woher, wohin, und Den Haag sei eine wunderbare Stadt, man merke nicht, dass es eine Großstadt ist, nur fünf Minuten muss er noch joggen und er ist mitten in der Stadt, wo er ein Appartement besitzt.

Später blockiert ein Hund namens Siggi den Radweg. So dass ich bremsen muss und anhalte. Putziges Tier. Armes Tier. Das Herrchen ist erbost und zerrt den Pudelmischling am Halsband in die Höhe, lässt ihn eine Weile auf den Hinterpfoten stehen, zischt leise ermahnende Worte in seine schlappen Ohren. Hundchen japst. Ein Fall für die schnelle Tierschutzeinsatztruppe.

Aber ich bin nur ein dahin gondelnder Web-Vagabund, der das alles beobachtet und aufschreibt. Tse. Die Welt so bunt. Der Mensch so vielfältig. Das Miteinander und das Ohneeinander so zwiespältig. Den Haag geht fast nahtlos in Hoek van Holland über. Der England-Hafen. Von hier aus ist vor zwei Wochen Ray zurück auf die Insel gefahren. Die Maas mündet hunderte Meter breit in dem Nieuwe Kanal in die Nordsee. Hochseetaugliche Wasserstraße. Containerschiffe. Am Südufer glänzen in der Abendsonne unzählige Bassins, weiße, runde Dinger, in denen sich vermutlich Öl befindet. Dazwischen Windräder. Dank Abendlicht wundervoll anzuschauen. Ich versuche, mir die Szene bei Mieswetter vorzustellen. Die Industrie südlich und westlich von Hoek muss dann bedrohlich, kalt wirken. Auf einer schnurgeraden Straße jenseits des Deichs höre ich in rhythmischen Abständen das Kreischen von Motorrädern. Das niederländsiche Männlein bei seiner Freitagsabendbalz. Beschleunigungsrennen. Wieder einmal bin ich fasziniert bis angewidert von dem Gebaren aufmerksamkeitsbedürftiger Männer mit latentem Minderwertigkeitskomplex. Jedes Land, das ich bereist habe, hat eine eigene Männleinkultur.

Von Hoek van Holland führt eine Fähre auf die Südseite der Maas – gerade zu Feierabend erreiche ich den Anleger. Die Fährfrau erklärt mir den Weg zur Schleuse, der als Alternativroute dient. So passiere ich die Innenstadt in Flussnähe, ein Stadtfest, das nicht so recht in Gang kommen will. Schon nach 20 Uhr und vor der Rockbühne steht eine Handvoll Menschen, Bierbecher in den Händen, mit den Köpfen wippend. Die Hälfte von ihnen ist Staff oder Sicherheitspersonal. Aber die Band rockt gut ab und ich bleibe eine Weile stehen, das Radel zwischen den Beinen, mir vorstellend, auch mal wieder dazu gehören zu wollen und ein ganz normales Alltagsleben zu führen mit Feierabend und Wochenende und nichts tun, und einfach nur Spaß haben. Bis mich das so sentimental macht, dass ich weiter radele durch die traurige, abgesperrte Volksfeststraße, in der es aussieht wie in einer Geisterstadt, so leer.

Ein paar Kilometer östlich finde ich zwischen einem Gerstenfeld und einem Wäldchen ganz nahe bei der Maas einen prima Lagerplatz. Die Bahnlinie tickert im Halbstundentakt und das Brummen der Dampfer am Fluss, der daraus folgende Wellenschlag am betonbewehrten Ufer, ein Mofa ab und zu auf dem Radweg jenseits des Wäldchens und ewig rottert der Damm.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Tag 116 – die Strecke

Bin auf der Fähre nach Breskens. War ein ganz schöner Speedtag heute!, schreibt Irgendlink um acht Uhr.

Später muss er lange ein geeignetes Nachtlager suchen. Erst kurz vor der belgischen Grenze wird er fündg. Im Minicamp Beer Ostije.

>>> Wildzeltplatz nach Hoek van Holland – Minicamp Beer: zum Kartenausschnitt der heutigen Strecke: bitte hier klicken!